Kleinstadt Schrozberg mit 1000er-Inzidenz
dpa/lsw Schrozberg. Bundesweit steigt die Inzidenz, in Baden-Württemberg ebenso. Die dritte Welle türmt sich nach Ansicht von Experten auf. In Schrozberg ist sie längst angekommen: Die kleine Gemeinde muss sich zur Wehr setzen, nachdem die Zahl der Neuinfektionen geradezu explodiert ist.

Testsets mit Abstrichstäbchen liegen in einem Testzentrum für Corona-Verdachtsfälle. Foto: Jens Büttner/dpa-Zentralbild/dpa/Symbolbild
Birgit Kammleiter kann nur noch staunend auf die Zahlen schauen, die Tag für Tag auf dem Computer-Bildschirm ihrer Apotheke auftauchen. Die Kurve, die im Diagramm die Corona-Belastung ihrer kleinen Gemeinde Schrozberg im Hohenlohischen widerspiegelt, kennt seit Tagen nur eine Richtung: nach oben. Und wie. Innerhalb von nur einer Woche ist aus ihrer Kommune einer der bundesweiten Corona-Hotspots geworden. Und die Spitze ist noch nicht erreicht.
Die sogenannte 7-Tage-Inzidenz verfünffachte sich in nur einer Woche und erreichte am Mittwoch einen vergleichbar astronomischen Wert von 1065,5 Fällen pro 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen. Insgesamt wurden in diesem Zeitraum 62 Neuinfektionen mit der britischen Mutation des Virus in der 5800 Einwohner-Kommune registriert, wie der Landkreis mitteilte. Weitere Großausbrüche sind nach Angaben der Schrozberger Verwaltung nicht bekannt. Aber es seien weitere Infektionen bekannt, sagte Bürgermeisterin Jacqueline Förderer. „Es kommen immer noch neue positive Fälle rein.“ Es gebe aber bislang keine schweren Krankheitsverläufe.
„Es verschärft sich von Tag zu Tag“, sagte am Donnerstag auch Helmut Hüttner, der Hauptamtsleiter Schrozbergs. „Das zieht schon noch Kreise.“ In den benachbarten Gemeinden und Städten sieht es zwar deutlich besser aus, allerdings liegt die Zahl der Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen auch dort stark über dem Landesdurchschnitt.
Der Landkreis Schwäbisch Hall bleibt damit das Sorgenkind im Corona-Land Baden-Württemberg. Mit einer Inzidenz von 292,7 (Stand: Donnerstag, 16.00 Uhr) zählt er zu den Hotspot-Regionen in Deutschland. Um die Ausbreitung des Virus zu stoppen, greift der Kreis nun zu scharfen Maßnahmen. Ab Samstag soll im gesamten Landkreis auch tagsüber eine Ausgangsbeschränkung gelten, wie Landrat Gerhard Bauer am Donnerstagabend mitteilte. Damit sei das Verlassen der Wohnung auch tagsüber nur noch mit triftigem Grund erlaubt. Bislang galt bereits eine nächtliche Ausgangsbeschränkung, weil der Kreis die Schwelle von 100 bei der Sieben-Tage-Inzidenz gerissen hatte.
Ebenso hatte der Kreis bereits beschlossen, alle Kindertagesstätten ab dem kommendem Montag und bis zum 2. April zu schließen. Rund 400 der Infektionen und Folgefälle gingen auf die dortigen Ausbrüche zurück, sagte Landrat Gerhard Bauer. Für die Stadt Schrozberg kommt zudem eine Maskenpflicht für das gesamte Stadtgebiet hinzu. Wer sich ab Samstag in der Öffentlichkeit aufhält, muss demnach eine medizinische Schutzmaske tragen.
Außerdem fährt seit Donnerstag ein Testbus durch den Kreis, in dem erstmals kostenlose Antigen-Schnelltests für Schüler angeboten werden. Zunächst sollte der Bus Crailsheim anfahren, am Freitag wird er in Schrozberg erwartet. Außerdem gibt es eine verstärkte Maskenpflicht in den Innenstädten unter anderem von Schwäbisch Hall und Crailsheim; Geschäfte und Lokale sind geschlossen. Es sind zudem besondere Regeln beim Einkaufen in Lebensmittelgeschäften vorgeschrieben.
Auch in Schrozberg hatten sich zunächst reihenweise Erzieherinnen in einem Kindergarten der Kommune mit der britischen Mutation des Virus infiziert und krankgemeldet, danach legte die Inzidenz von Tag zu Tag zu. Helfen soll unter anderem ein provisorisches Testzentrum, in dem sich Einwohner Schrozbergs, aber auch Menschen aus den benachbarten Gemeinden im Kreis Schwäbisch Hall seit der vergangenen Woche untersuchen lassen können. „Die eine Hälfte meines Personals ist im Laden, die andere in der Stadthalle“, erzählt Apothekerin Kammleiter. Sie hatte das kleine Zentrum mit viel Pragmatismus und Einsatz initiiert. Die Kosten für die Tests rechnet sie über die Kassenärztliche Vereinigung ab.
In acht Umkleidekabinen mit Sichtschutz werden seitdem Dutzende Menschen am Tag getestet. „Das war dringend nötig“, sagte Kammleiter am Donnerstag. „Nach einem Jahr mit dem Virus sind alle müde zu hören, dass sie Abstand halten und eine Maske tragen sollen. Es wurde Zeit, dass wir hier etwas anbieten.“ Allerdings kritisiert sie die bürokratischen Hürden und Fallstricke: „Es ist zeitraubend. Wir haben aber als Ärzte und Apotheker tagtäglich mit dem Thema zu tun, da könnte man uns auch mehr zutrauen.“
Wenig hilfreich sei daher auch das jüngste Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim zu den Quarantäneregeln für Kontaktpersonen von Kontaktpersonen gewesen, sagte Hauptamtsleiter Hüttner. Das Gericht hatte eine Regelung des Landes außer Vollzug gesetzt, nach der Kontaktpersonen von Menschen, die mit einem mit einer Virusvariation Infizierten in Berührung gekommen sind, sich ebenfalls absondern müssen. „Das ist kontraproduktiv. So verlieren wir den Überblick“, sagte Hüttner der dpa.
Auch die Stadt Crailsheim, knapp 30 Kilometer von Schrozberg entfernt, bleibt weiter stark belastet: Dort wurde die Inzidenz am Donnerstag mit 517,4 angegeben (Stand: Donnerstag, 8.50 Uhr), allerdings ist Crailsheim auch deutlich größer. In der Stadt hatten Ausbrüche in Kindergärten und einer Unterkunft für Flüchtlinge sowie in mehreren Betrieben für den deutlichen Anstieg gesorgt. Als Konsequenz haben unter anderem die Grundschulen und die Klassen 5 und 6 nicht wie landesweit auch seit Montag geöffnet, sondern unterrichten frühestens nach den Osterferien ab dem 12. April in Präsenz.
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Häuser sind hinter einer Weide zu sehen. Foto: Marijan Murat/dpa