Nachruf
Arbeiterführer in allerwidrigsten Zeiten
Zwölf Jahre stand er an der Spitze des Gewerkschaftsbundes. Nun ist Michael Sommer im Alter von 73 Jahren gestorben. Die Verletzungen durch einen Kanzler hat er nie verwunden.

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Der frühere DGB-Vorsitzende Michael Sommer wurde 73 Jahre alt.
Von Matthias Schiermeyer
Er war Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes in allerwidrigsten Zeiten – während der politischen Schlacht um die Agenda 2010 und die Hartz-Gesetze. Mit Herz und Seele hat der linke Gewerkschafter Michael Sommer die Schwachen gegen massiven politischen Druck verteidigt – unermüdlich hat er sich für Solidarität und Gerechtigkeit in der Arbeitswelt eingesetzt. „Wir sind parteipolitisch unabhängig, aber nicht politisch neutral”, war seine Grundüberzeugung.
Im Mai 2002 war er auf Dieter Schulte gefolgt – nach zwölf Jahren gab er die Führung an Reiner Hoffmann weiter. Nur Heinz Oskar Vetter war länger DGB-Vorsitzender. Engagiert warb Sommer um gemeinsame Grundsatzpositionen in den eigenen Reihen und trug so zur Wiedergeburt der Einheitsgewerkschaft bei. Bei seinem Abgang 2014 stand der DGB, weithin geachtet, in Kontakt mit allen demokratischen Parteien – zwölf Jahre zuvor war er noch als Insolvenzverwalter einer untergehenden Gewerkschaftsbewegung tituliert worden.
Maßgeblichen Einfluss auf Verdi-Gründung
Vor seinem damals durchaus überraschenden Aufstieg beim Dachverband hatte Sommer als Vizevorsitzender der Postgewerkschaft erheblichen Einfluss auf die Fusion der Gewerkschaften ÖTV, IG Medien, HBV, DPG und DAG zur Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft. Während Frank Bsirske an die Verdi-Spitze rückte, öffnete sich für Sommer die Tür beim DGB, dessen Vize er zuerst wurde, bevor er zur Nummer Eins gewählt wurde. Sommer habe „in einem Jahrzehnt, das von einem neoliberalen Zeitgeist, der Einführung der Hartz-Gesetze und Lohn-Dumping geprägt war, stets entschlossen gegen sozialpolitische Zumutungen und wenn notwendig gegen den politischen Mainstream gekämpft – etwa für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns“, würdigt ihn der heutige Verdi-Chef Frank Werneke.
Von ganz unten gekommen
Sommer kam von ganz unten, das hat ihn ein Leben lang geprägt: Er wurde im rheinischen Büderich geboren, lebte als Kind in einem Waisenhaus und zog später mit seiner alleinerziehenden Mutter nach Westberlin in den französischen Sektor. Bereits als 19-Jähriger trat er 1971 in die Deutsche Postgewerkschaft (DPG) ein und übernahm zunächst verschiedene ehrenamtliche Gewerkschaftsfunktionen. Nach seinem Studium der Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin arbeitete er ab 1980 hauptberuflich in verschiedenen Funktionen für die DPG.
Während sich die damalige Kanzlerin Angela Merkel und Sommer mit Respekt begegneten, hatte ihn deren Vorgänger Gerhard Schröder eher abschätzig behandelt. „Das ist der Sommer, den können Sie gern hier behalten“, hatte der Sozialdemokrat auf einer Afrikareise den Gastgebern in Ghana verkündet. Ein noch bitterer Tag war der 13. März 2003, als Schröder ihn anrief und mit Blick auf seine Agenda-Rede einen Tag später ankündigte: Die Forderung nach mehr betrieblichen Bündnissen für Arbeit lasse er raus. Sommer, der dadurch die Entmachtung der Gewerkschaften fürchtete, entgegnete: „Das ist das Mindeste, was wir von dir erwarten können.“ Daraufhin konterte Schröder: „Gut, dann nehme ich es rein.“ Viele Tiefpunkte um die Agenda sind im Gedächtnis hängen geblieben und haben den Gewerkschafter sehr belastet.
Trotz aller Widersprüche der SPD stets die Treue gehalten
Von 1981 an gehörte er der SPD an. Seiner Partei trotz aller Widersprüche die Treue zu halten, hat für ihn nie infrage gestanden. Er blieb, um den anderen nicht das Feld zu überlassen. Mit den Parteichefs Kurt Beck und Sigmar Gabriel gelang es, auf den Trümmern der Agenda-Auseinandersetzung einen gemeinsamen Weg zu finden. „Wir sind wieder aufeinander zugegangen, trotzdem wird es, solange ich lebe, nie mehr so werden, wie es war“, sagte er kurz vor seinem Abgang als DGB-Chef unserer Zeitung. Vertrauen sei zerbrochen – und Liebe. „Manchmal ist es sinnvoller, eine Vernunftehe zu pflegen als eine Liebesbeziehung.“
Die Tochter führt den Kampf weiter
Gesundheitlich hat er schon im Amt schwere Zeiten durchgemacht: 2011 wurden ihm große Teile des Magens und die Galle entfernt, 2013 spendete er seiner an Nierenversagen leidenden Frau eine Niere.
In der Nacht zu Montag ist Sommer mit 73 Jahren gestorben. Sein Kampf für die Gewerkschaftssache wird nun von der Tochter Helene Sommer, Erste Bevollmächtigte der IG Metall Friedrichshafen-Oberschwaben und Singen, allein weitergeführt.