Auf Party programmiert

Rin bringt in der Porsche-Arena gut 5000 Rap-Fans zum Toben

Mit den Ritualen der Jugendkultur nur entfernt vertrauten Lesern mag der sogenannte Moshpit eher nicht geläufig sein – für das Verständnis moderner Popkultur ist dieses Phänomen ein Schlüsselbegriff. Gemeint ist damit eine mal spontan entstehende, mal von den Musikern absichtsvoll initiierte Freifläche vor der Bühne, die den Raum für ein flashmobartiges Rudelhopsen bildet. Entstanden in der Punk- und Metalszene, ist dieser Vorgang inzwischen auch in Hip-Hop-Kreisen weit verbreitet.

Wie das aussieht, ließ sich am Samstagabend vorzüglich beim Konzert des Bietigheimer Rappers Rin erleben. Zwei befreundeten Kollegen überlässt der Schlacks aus Deutschlands heimlicher Hip-Hop-Hochburg zunächst die Bühne der ausverkauften Porsche-Arena, und vor allem der Kollege Kelvyn Colt bringt das Publikum schon früh auf Betriebstemperatur. Immer wieder durchzuckt bei seinem kaum fünfundzwanzig Minuten kurzen Auftritt ein mächtiger Moshpit den Innenraum. Unten im Parkett entfaltet dieser einer unergründlichen Geometrie folgende Tanzkreis eine mitreißende physische Energie, von oben betrachtet, zeigt er sich als gewaltig wogendes, rotierendes Meer an Körpern. Rund zwanzig, dreißig Zuschauerreihen erfasst der Vorgang in diesen Momenten, aber das ist gar nichts.

Später, wenn Rin selbst mit Tracks wie „Monica Bellucci“, „Dior 2001“ oder „One Night“ die Euphorie so richtig nach oben ­pegelt, schickt der Moshpit quasi das komplette Stehplatzpublikum in einen physischen wie emotionalen Ausnahmezustand, und auch auf den Rängen hält es keinen ­Besucher mehr auf seinem Sitz. Es ist die Generation Instagram, die sich an diesem Samstagabend versammelt hat, deren Welt immer schneller in Einzelteile zerfällt, deren Leben vom Internet zusammengehalten wird und für die eine High-Speed-Verbindung zur Existenzfrage wird. Jungs wie die drei Bietigheimer Rap-Musketiere Rin, Bausa und Shindy oder kürzlich der Wiener Youngster Yung Hern liefern den Soundtrack für diese Kundschaft, in deren Mitte sich jeder jenseits der 25 getrost als ­alter Zausel fühlen darf.

Das Bemerkenswerte im Fall von Rin ist, wie vergleichsweise wenig es braucht, um den Moshpit zu entfesseln, er ist hier irritierend weit von der Musik abgekoppelt. Auch in Momenten maximaler Raserei ändert sich der oft stoische Charakter von Rins eher kühlem Cloud-Rap kaum, der von allgegenwärtigen Autotune-Effekten geprägte, mal von schweren Grooves, mal von klappernden Beats rhythmisierte Klangwall beschleunigt, verdichtet sich nur unwesentlich. Aber zu konventionellen musikalischen Kriterien haben dieses Genre und seine Klientel ohnehin ein Verhältnis wie in etwa zu einem alten Wählscheibentelefon. Eine Band, analoge Instrumente, klassische Kompositionsstrukturen? Alles Zeugs von gestern. Beats und Grooves kommen hier vollständig aus dem Computer, Sounds sind die stärkere Währung als Songs.

Mit einem konventionellen Konzert hat diese One-Man-Show der Marke „kurz, aber heftig“ praktisch nichts mehr gemein. Weniger als sechzig Minuten steht Rin selbst auf der Bühne, aber das genügt vollkommen, um eine feierwütige, von Adrenalin und Atemlosigkeit gezeichnete Meute zum Toben zu bringen. Rins Musik gewinnt ihre Bedeutung dabei vor allem durch die Macht der Menge: Wenn sich einer melancholisch fühlt, ist das ein kleines persönliches Drama – wenn fünfeinhalbtausend dasselbe Gefühl teilen, ist es der Stoff für eine gewaltige Party. Nach ziemlich genau zwei Stunden: Ein restlos beglücktes und erschöpftes Publikum verlässt zufrieden ein Event, dessen ­Relevanz weniger auf musikalischen Kriterien beruht, sondern auf der Sogkraft gemeinschaftlich geteilter Emotionen.

Zum Artikel

Erstellt:
24. Dezember 2018, 03:14 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen