Ausbildungsplätze in der Pflege in Gefahr

Neue generalistische Ausbildung bringt Pflegeschulen in Not, denn es fehlen Praktikumsplätze in der Kinderkrankenpflege

Mit einer neuen, generalistischen Ausbildung wollte die Politik mehr junge Leute für die Arbeit in der Pflege gewinnen. Doch der Schuss könnte nach hinten losgehen. Weil es zu wenige Praktikumsplätze in der Pädiatrie gibt, könnte die Zahl der Ausbildungsplätze im Rems-Murr-Kreis sogar sinken. Die Pflegeschulen schlagen Alarm.

Ausbildung an der Evangelischen Pflegeschule Backnang im Staigacker. Bisher wurden hier Altenpfleger ausgebildet, künftige Absolventen müssen sich auch in der Kranken- und Kinderkrankenpflege auskennen. Foto: Stiftung Altenheime Backnang und Wildberg

Ausbildung an der Evangelischen Pflegeschule Backnang im Staigacker. Bisher wurden hier Altenpfleger ausgebildet, künftige Absolventen müssen sich auch in der Kranken- und Kinderkrankenpflege auskennen. Foto: Stiftung Altenheime Backnang und Wildberg

Von Kornelius Fritz

BACKNANG. Andrea Schingen führt in diesen Wochen Einstellungsgespräche mit jungen Menschen, die sich für einen Pflegeberuf interessieren. Etwa 15 geeignete Bewerberinnen und Bewerber seien schon dabei gewesen, berichtet die Leiterin der Staigacker-Pflegeschule in Backnang. Einen Ausbildungsvertrag hat Schingen bislang allerdings keinem von ihnen angeboten, denn noch weiß sie gar nicht, wie viele der sonst üblichen 25 Plätze sie in diesem Jahr überhaupt besetzen kann. „Ich muss die Leute vertrösten“, sagt die Schulleiterin.

Grund ist die neue generalistische Pflegeausbildung, die zum 1. Januar 2020 eingeführt wurde (siehe Infobox). Bisher fand die praktische Ausbildung der Pflegeschüler überwiegend in deren eigenem Lehrbetrieb statt, zum Beispiel im Altenpflegeheim Staigacker. Die neue Ausbildungsordnung verlangt nun aber auch Praxisphasen in der Krankenpflege, in der ambulanten Pflege und in der Kinderkrankenpflege. Davon ist das Pädiatriepraktikum mit 60 Pflichtstunden zwar das kürzeste, stellt die Pflegeschulen in der Region allerdings vor die größten Probleme. Denn im Rems-Murr-Kreis gibt es kaum Einrichtungen, die geeignete Plätze anbieten. Einzig am Krankenhaus in Winnenden gibt es eine größere Kinderstation, allerdings braucht das Klinikum die Praktikumsplätze dort für seine eigenen Pflegeschüler.

Landrat Sigel schreibt an Sozialminister Lucha

Für die fünf anderen Schulen im Rems-Murr-Kreis gestaltet sich die Suche nach Pädiatrieplätzen deshalb schwierig. „Wir haben rund 90 Einrichtungen abgeklappert“, berichtet Andrea Matheis, stellvertretende Leiterin der Ludwig-Schlaich-Akademie in Waiblingen. So wurden zwar einige Plätze akquiriert, etwa in Behinderteneinrichtungen, allerdings fehlen von 250 Praktikumsplätzen, die kreisweit benötigt werden, immer noch 120. Bleibt es dabei, müssten die Schulen die Zahl der Ausbildungsplätze entsprechend reduzieren.

Ein Unding, findet Eckart Jost: „Wir brauchen jede Schule und jeden Schüler“, sagt der Staigacker-Geschäftsführer. Schließlich seien Fachkräfte in der Pflege ohnehin schon Mangelware. Und der Bedarf wird aufgrund des demografischen Wandels weiter steigen. „Im ambulanten Bereich brauchen wir in den nächsten zehn Jahren 50 Prozent mehr Pflegekräfte“, prophezeit Thomas Nehr, Vorstand der Diakonie ambulant in Murrhardt. Wenn wegen eines fehlenden Pädiatriepraktikums Ausbildungsplätze wegfallen würden, wäre das aus Sicht der Praktiker eine Katastrophe. Zumal der Lerneffekt bei einer nicht mal zweiwöchigen Schnellbleiche ohnehin fraglich sei. „Dieses Praktikum sollte kein Pflichteinsatz sein“, findet die Leiterin der Ludwig-Schlaich-Akademie, Dagmar Weiß. „Wir brauchen eine Öffnungsklausel“, fordert auch Eckart Jost.

Mittlerweile hat sich auch Landrat Richard Sigel eingeschaltet und einen Brief an Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) geschrieben. Der Mangel an Pädiatrieplätzen sei nicht nur im Rems-Murr-Kreis ein Problem, heißt es in dem Schreiben. Zwar unterstütze der Landkreis das Bemühen um eine hohe Qualität in der Ausbildung. Allerdings sei es „ein schwierig zu vermittelndes Signal“, wenn man in Zeiten des akuten Mangels an Pflegepersonal ausbildungswillige Interessenten abweisen müsse. Sigel fordert deshalb „eine flexibler zu gestaltende Übergangszeit zum Aufbau der Einsatzplätze in der Pädiatrie“. Außerdem regt er an, auch Tagesstätten mit U-3-Bereich für das Pädiatriepraktikum zuzulassen.

Luchas Antwort steht noch aus, auf Anfrage unserer Zeitung teilt sein Ministerium mit, man bemühe sich um „möglichst passgenaue Regelungen“. Unter anderem stelle das Land Geld für die Schaffung regionaler Koordinierungsstellen zur Verfügung. „Aufgabe der regionalen Koordinierungsstellen ist es, die beteiligten Ausbildungsstätten und deren Angebote so aufeinander abzustimmen, dass Ausbildungsplätze in der praktischen Ausbildung abgestimmt bereitgehalten werden.“ Dies sei auch kreisübergreifend möglich.

Die Pflegeschulen im Landkreis brauchen allerdings eine schnelle Lösung. „Es ist nicht fünf vor zwölf, sondern fünf Sekunden vor zwölf“, erklärt Staigacker-Geschäftsführer Jost. Denn lange werde man die Bewerber nicht mehr bei der Stange halten können: „Die suchen sich dann halt etwas anderes und sind weg.“

Info
Reform der Pflegeausbildung

Bisher gab es in der Pflege drei verschiedene Ausbildungsberufe: Gesundheits- und Krankenpfleger(in), Kinderkrankenpfleger(in) und Altenpfleger(in). Zum 1. Januar 2020 wurde die Ausbildung zusammengefasst. Der neue Beruf heißt Pflegefachmann beziehungsweise Pflegefachfrau.

Die Ausbildung dauert drei Jahre. Die ersten beiden Jahren sind für alle gleich. Im dritten Lehrjahr ist eine Spezialisierung möglich. Auszubildende können sich dann auch für einen gesonderten Berufsabschluss in der Altenpflege oder Kinderkrankenpflege entscheiden. Der neue Abschluss ist in der gesamten EU anerkannt.

Ziel der Reform war es, die Ausbildung in der Pflege attraktiver zu machen und den Absolventen ein breiteres Einsatzfeld zu eröffnen. Die neue Struktur ist auch eine Reaktion auf den demografischen Wandel, der dazu führt, dass auch in Krankenhäusern immer häufiger pflegebedürftige und demente Patienten versorgt werden.

Im Rems-Murr-Kreis bieten sechs Pflegeschulen insgesamt rund 250 Ausbildungsplätze pro Jahr an. Mit Ausnahme des Bildungszentrums für Gesundheitsberufe am Klinikum Winnenden waren die Pflegeschulen bisher auf die Ausbildung in der Altenpflege spezialisiert.

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Erstellt:
12. Februar 2020, 06:00 Uhr

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