Auszubildende im Rems-Murr-Kreis dringend gesucht

Der Startschuss für das neue Ausbildungsjahr fällt heute. Bis zum Jahresende werden jedoch noch einige Nachzügler folgen. Viele Branchen und Gewerke befinden sich im Wandel und Arbeitgeber müssen kreativ werden, um potenzielle Auszubildende gewinnen zu können.

Die Firma Lukas Gläser gibt ihren Auszubildenden seit Mai am „Freitag frei“ und hofft damit auf mehr Bewerbungen. Foto: Alexander Hornauer

Die Firma Lukas Gläser gibt ihren Auszubildenden seit Mai am „Freitag frei“ und hofft damit auf mehr Bewerbungen. Foto: Alexander Hornauer

Von Carolin Aichholz

Rems-Murr. Der erste September als traditioneller Ausbildungsbeginn ist inzwischen mehr eine Zwischenstandsmeldung der unterschiedlichen Behörden, Gewerke und Kammern. Die Agentur für Arbeit in Waiblingen meldet aktuell noch 1052 unbesetzte Ausbildungsstellen.

„Die Erfahrung zeigt uns, dass die Wunschvorstellungen, die viele Jugendlichen vom Arbeitsleben haben, sich nicht mit einer klassischen Ausbildung decken“, sagt Katja Krüger, Teamleiterin der Berufsberatung bei der Agentur für Arbeit in Waiblingen. 30 Berater sind das ganze Jahr über in Schulen und auf Messen unterwegs und beraten Jugendliche in der Arbeitsagentur, um für jeden „Topf den passenden Deckel“ zu finden, wie Katja Krüger sagt. Sie ist davon überzeugt, für jeden Suchenden mit seinen individuellen Fähigkeiten und Interessen eine passende Ausbildung finden zu können. „Es gibt über 320 unterschiedliche Berufe und viele davon sind den meisten Menschen unbekannt.“

Sie hat jedoch den Eindruck, dass die Berufsausbildungen allgemein ein Imageproblem haben. „Eltern wollen immer das Beste für ihre Kinder und für viele ist das immer noch automatisch das Studium. Eine Ausbildung kann aber genauso ein guter Start für eine erfolgreiche Karriere sein.“

Diese Probleme bemerkt auch David Fais, stellvertretender Leiter der IHK-Bezirkskammer Rems-Murr. Sein bisheriger Zwischenstand zum Beginn des Ausbildungsjahrs: „Die Sektkorken knallen bei uns nicht gerade“, sagt er. Viele Unternehmen suchen immer noch händeringend nach Azubis. Jeder zweite Betrieb gibt an, Probleme damit zu haben, alle Ausbildungsstellen besetzen zu können. Er sieht aber auch einen Silberstreif am Horizont: „Schon jetzt haben wir einen Zuwachs von fünf Prozent gegenüber dem Vorjahr.“ In Zahlen bedeutet das 1222 Neuverträge.

Kleiner Zuwachs bei Handwerksberufen

Im Rems-Murr-Kreis beginnen in diesem Jahr 673 Auszubildende eine handwerkliche Ausbildung. Das sind 33 mehr als im letzten Jahr. Damit ist der Zuwachs ungefähr gleich hoch wie bei den Ausbildungsberufen allgemein, nämlich 5,2 Prozent. „Die beliebtesten Handwerksberufe im Raum Stuttgart sind das Kfz-Handwerk und die sogenannten Klimaberufe. Dazu gehören die Ausbildungsberufe im Elektrohandwerk und der Sanitär-Heizung-Klima-Branche“, gibt Peter Friedrich, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Region Stuttgart, bekannt.

Dass die Klimaberufe so beliebt sind, überrascht Katja Krüger von der Arbeitsagentur nicht. „Zukunftsorientierte Berufe, die ja auch mit erneuerbaren Energien zu tun haben, interessieren die Generation, die nun auf den Arbeitsmarkt kommt.“ Zudem fällt auf: „Das ist auch ein Beruf, den viele Geflüchtete inzwischen wählen.“

Neben diesen Berufen stieg auch die Anzahl der neuen Lehrlinge im Friseurhandwerk im Vergleich zum Vorjahr deutlich an. „Sichtbar ist hier eine Erholung, nachdem die Friseurbetriebe in den zurückliegenden Jahren stark unter den Folgen der Coronapandemie gelitten haben“, erläutert Peter Friedrich, Chef der Handwerkskammer in Stuttgart.

Allerdings ist die Entwicklung nicht in allen Gewerken positiv: „In vielen Berufen der Bau- und Ausbaugewerke müssen wir leider feststellen, dass die Krise der Bauwirtschaft auch einen Rückgang neuer Ausbildungsverträge zur Folge hat.“ Davon betroffen sind beispielsweise das Zimmerer- und das Maurerhandwerk.

Mangel an interessierten Azubis

„Auf 100 freie Stellen kommen 80 Bewerber, das kann also rechnerisch schon gar nicht aufgehen“, sagt David Fais von der Industrie- und Handelskammer IHK. „Und auch wenn es genug Bewerber gibt, sind diese aufgrund mangelnder Fähigkeiten nicht immer für eine bestimmte Stelle geeignet“, erklärt er.

Defizite bei der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit, also beim Lesen und Schreiben, treten immer häufiger auf und oft mangelt es auch an mathematischen Grundkenntnissen. Doch auch da seien, laut David Fais, viele Unternehmen bereit, ihre Ansprüche zu senken, mehr zu investieren, Nachhilfe und weitere Unterstützung anzubieten.

Katja Krüger appelliert in diesen Fällen an die Arbeitgeber, auch mal Bewerbern eine Chance zu geben, die vielleicht nicht direkt ins Profil passen oder eher schlechte Noten vorweisen können. „Für solche Fälle gibt es bei uns das Angebot der assistierten Ausbildung“, erklärt sie.

Dabei kann die Arbeitsagentur Hilfestellungen wie Nachhilfeunterricht organisieren und finanzieren. „Wir können dabei individuell ein passendes Hilfsangebot suchen, damit die Auszubildenden ihre Prüfungen bestehen. Damit haben wir schon sehr gute Erfahrungen gemacht“, sagt Katja Krüger.

Arbeitgeber müssen neue Wege gehen

Das Straßen- und Tiefbauunternehmen Lukas Gläser aus Aspach hat sich etwas Besonderes überlegt, um mehr Jugendliche und junge Erwachsene für eine Ausbildung gewinnen zu können. Im Mai wurde die „Freitag frei“-Kampagne gestartet. Azubis, die freitags nicht die Berufsschule besuchen, müssen auch nicht im Betrieb arbeiten und können den Tag zum Lernen oder Ausruhen nutzen.

Ahmet Sarizeybek ist bei Lukas Gläser für die gewerbliche Ausbildung verantwortlich und schon jetzt vom Erfolg der Kampagne überzeugt: „Insgesamt hat sie viel neuen Schwung in unser Unternehmen gebracht.“ Zudem sorge sie auch für mehr Aufmerksamkeit für den ganzen Betrieb. Auf Ausbildungsmessen und bei Bewerbungsgesprächen ernten die Mitarbeiter viel Zuspruch dafür. „Vor Beginn der Kampagne hatten wir gerade einmal 13 Prozent unserer diesjährigen Ausbildungsplätze besetzt, jetzt sind es immerhin 75 Prozent.“ Fürs nächste Jahr hofft er, dass das Unternehmen für alle freien Ausbildungsstellen passende Interessenten finden kann.

Zudem ist es für Ahmet Sarizeybek ein weiterer Gewinn, den Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, sich weiterzuentwickeln und ihre Motivation zu steigern. „Einer unserer Azubis hat sich dadurch auch den Schritt zur Ausbildungsverkürzung getraut, denn er kann jetzt den Freitag zum Lernen nutzen“, sagt Ahmet Sarizeybek. Sind die Azubis dann ausgelernt, gilt auch für sie die übliche Fünftagewoche.

Auch nach dem ersten September werden noch Verträge abgeschlossen

David Fais, stellvertretender Leiter der IHK-Bezirkskammer Rems-Murr, rät allen Unternehmen mit freien Stellen dazu, die Hoffnung noch nicht ganz aufgeben. Es habe sich in den letzten Jahren bereits abgezeichnet, dass auch nach dem ersten September noch Verträge geschlossen werden. „Bis Dezember kann man noch in viele Ausbildungen einsteigen, danach ist die Berufsschule zu weit fortgeschritten“, sagt er.

Darum beginnt für Katja Krüger von der Agentur für Arbeit jetzt ebenfalls der Endspurt, um den „unversorgten“ Schulabgängern eine Beratung zu bieten und eine passende Stelle für ihn zu finden. „Wir haben viele Angebote auf unserer Internetseite und mit unserem Erkundungstool können Interessierte mit einem Test herausfinden, welche Ausbildung zu ihnen passt. Außerdem bieten wir bald ein Speeddating an und jeder der eine persönliche Beratung möchte, kann sich gerne bei uns melden.“

Auch die Handwerkskammer möchte mehr junge Menschen für eine Karriere im Handwerk begeistern. Aktuelle Auszubildende sollen als sogenannte „Ausbildungsbotschafter“ in Schulklassen für eine Berufsausbildung werben und über das duale Ausbildungssystem mit seinen Chancen informieren. Dabei sollen Schülerinnen und Schülern die breite Palette an Tätigkeiten und Karriereperspektiven aufgezeigt werden, die sich hinter den 130 Handwerksberufen verbergen. Auf einer Videoplattform stehen zudem über 100 Videos zur Verfügung, in denen Auszubildende direkt aus der Praxis authentische Einblicke in ihren Ausbildungsberuf geben.

Weitere Informationen Das Check-U-Erkundungstool der Agentur für Arbeit finden Interessierte unter www.arbeitsagentur.de/bildung.

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Erstellt:
1. September 2023, 06:00 Uhr

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