Backnang: Gruppe für Kinder suchtkranker und psychisch kranker Eltern

Interview Am Weltkindertag, dem 20. September, startet die Giraffengruppe in Backnang. Ein Sozialarbeiter und eine Erzieherin werden jeden Mittwochnachmittag mit Kindern psychisch kranker oder suchtkranker Eltern spielen, kochen, basteln und reden.

Tobias Trumpp und Heike Mohrmann wollen den vernachlässigten Kindern mit der Giraffengruppe eine Stütze sein. Foto: Alexander Becher

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Tobias Trumpp und Heike Mohrmann wollen den vernachlässigten Kindern mit der Giraffengruppe eine Stütze sein. Foto: Alexander Becher

Frau Mohrmann und Herr Trumpp,
in ein paar Tagen beginnt die Giraffengruppe des Kreisdiakonieverbands in Backnang, die Sie leiten werden. Um was für ein Angebot handelt es sich?

Trumpp: Es ist ein Angebot für Kinder von Eltern, die entweder eine psychische Erkrankung oder eine Suchterkrankung haben. Und es ist eine präventive Gruppe, weil man eben sieht, dass oft Kinder, deren Eltern eine psychische Erkrankung haben oder eine Suchterkrankung, später auch da Probleme entwickeln. Der Gedanke ist, dass man schon im Kindesalter verankert: Sucht euch Hilfe, wenn ihr Hilfe braucht. Und wir wollen auch so ein bisschen die Angst nehmen vor dem ganzen Thema.

Wie alt sind die Kinder, die teilnehmen dürfen?

Mohrmann: Wir suchen aktuell noch Kinder und je nachdem, wer kommt, danach richtet sich dann das Alter der Gruppe, aber frühestens ab dem Schulalter.

Trumpp: Es soll aber etwas ganz anderes sein als Schule, man soll sich hier wirklich wohlfühlen dürfen, Kind sein dürfen. Und trotzdem ist schon auch ein Ziel die Psychoedukation, also dass die Kinder wissen, was so eine psychische Erkrankung oder Suchterkrankung ist. Und das kann man besser machen, wenn die Kinder schon ein bisschen älter sind.

Wie wollen Sie die betroffenen Eltern oder die Kinder erreichen?

Trumpp: Wir haben uns schon mal bei den Schulsozialarbeitern und -sozialarbeiterinnen vorgestellt. Und dann haben wir hier ein erstes Vernetzungstreffen gemacht, wo auch wieder eine Schulsozialarbeiterin da war, aber auch jemand vom Kinder- und Jugendhilfeverein Backnang, vom Hilfsverein für psychisch Kranke aus Winnenden, von der Erziehungs- und Familienberatungsstelle, dem Suchthilfenetzwerk Rems-Murr-Kreis und der Caritas-Suchthilfe.

Und die tragen die Informationen dann zu den Betroffenen?

Trumpp: Genau. Die Schulsozialarbeiter arbeiten mit den Kindern und die anderen arbeiten mit den suchtkranken oder den psychisch kranken Eltern zusammen. Ich arbeite selber auch im ambulant betreuten Wohnen mit Menschen mit psychischer Erkrankung und so streuen wir es überall.

Frau Mohrmann, Sie sind als Suchtberaterin ausgebildet. Mit welchen Schwierigkeiten wachsen Kinder auf, die suchtkranke Eltern haben?

Mohrmann: Also erstens mal, dass sie selber betroffen sein können. Sie werden außerdem nicht gesehen, sie werden vernachlässigt, nicht gefördert, wenn sich Probleme auftun. Wir haben ein Kind dabei, das musste erst einmal nach der Geburt zum Entzug und ist jetzt auch weiter zurück als ein normal entwickeltes Kind – da wird nicht gefördert. Und sie haben keine Bezugsperson, wenn auch keine Oma oder so greifbar ist, wo sie hinkönnen, um ein bisschen Aufmerksamkeit zu kriegen. Da würden wir eine Stütze sein.

Welche weiteren Schwierigkeiten können auf die betroffenen Kinder zukommen?

Trumpp: Dass die Kinder oft eine parentifizierte Rolle einnehmen, also dass sie Aufgaben übernehmen, die eigentlich die Eltern machen sollten. Sie kümmern sich zum Beispiel um das noch kleinere Geschwisterkind oder machen den Abwasch. Das gilt für Kinder von Eltern mit psychischen Erkrankungen oder auch mit Suchterkrankungen.

Herr Trumpp, Sie arbeiten mit psychisch erkrankten Menschen. Haben Sie bereits erlebt, inwieweit Kinder unter der Krankheit ihrer Eltern leiden?

Trumpp: Wie Kinder darunter leiden, ist glaube ich sehr vielfältig. Eine psychische Erkrankung hat viele weitere Folgen, wie zum Beispiel, dass die Menschen länger nicht mehr in Arbeit und deswegen von Armut betroffen sind. Ich habe das gerade bei einer Klientin gesehen, die anderen fahren in den Sommerferien alle in den Urlaub und das Kind ist zu Hause.

Welche Erkrankung ist da so die häufigste, die einem begegnet?

Trumpp: Da gibt es unterschiedliche Auffassungen, was die häufigste psychische Erkrankung ist. Sicher sind die affektiven Störungen recht weit oben, wo auch die Depression dazugehört. Wenn die Mutter oder der Vater depressiv ist, ist da eine große Antriebslosigkeit vorhanden. Und auch das Fehlen von Emotionen. Deswegen haben wir bei unserer Giraffe das E für die Emotionen. Die Eltern lieben ihre Kinder, aber können das oft aufgrund von der psychischen Erkrankung nicht so richtig zeigen.

Was hat das für einen Effekt auf die Entwicklung des Kindes?

Trumpp: Das ist in Bezug auf Bindungen ein Problem, dass die Kinder selber Bindungsstörungen entwickeln können.

Mohrmann: Und sie geben sich die Schuld: Ich bin schuld, dass Mama so krank ist.

Welche Ideen haben Sie, um all das in der Giraffengruppe aufzufangen?

Trumpp: Wichtig ist, dass wir uns erst mal Zeit nehmen, die Kinder kennenzulernen. Dass erst mal eine Beziehung aufgebaut wird, bevor solche Themen ihren Platz finden. Dadurch, dass wir zwar die erste Gruppe in Backnang sind, aber nicht die erste Gruppe im Rems-Murr-Kreis, weil es in Waiblingen und Schorndorf schon welche gibt, können wir auf die Erfahrungen der dortigen Betreuer zurückgreifen. Wenn die bewusst etwas besprechen wollten, hat es schlechter funktioniert, als wenn man gemeinsam gekocht hat oder sich beim Essen Gespräche aufgetan haben.

Mohrmann: Also ohne Zwang. Ganz wichtig ist dieser geschützte Raum. Dass sie begreifen, was hier gesprochen wird, das tragen wir nicht zu Mama und Papa und verpetzen das. Es geht um Vertrauen zu sich und zu anderen Menschen.

Wieso ist das Vertrauen so wichtig?

Trumpp: Es ist ein großes Problem, dass die Erkrankung der Eltern immer so ein bisschen als das zu behütende Geheimnis gesehen wird, das nicht nach außen darf, und deswegen natürlich die Hemmschwelle ziemlich groß ist, es anzusprechen. Und deswegen soll das hier ein Raum sein, wo klar ist, hier braucht man keine Angst haben, über dieses Thema zu reden, sondern es ist ein Thema wie jedes andere.

Welche Rolle spielt es für die Kinder, dass sie sich mit Gleichaltrigen austauschen können?

Mohrmann: Das ist eigentlich einer der wichtigsten Punkte: Gleichgesinnte.

Trumpp: Zu sehen, man ist nicht alleine. Und gleichzeitig auch das F von unserer Giraffe, dass wir gesagt haben, es wäre natürlich wunderbar, wenn die untereinander hier dann auch Freunde finden können.

Was ist Ihnen bei der Giraffengruppe noch wichtig?

Trumpp: Bei der Kindergruppe steht auf jeden Fall das Kind im Vordergrund. Auch wenn wir jetzt auch viel über die Eltern gesprochen haben, die ja die Erkrankung haben. Aber die Kindergruppe ist wirklich der Ort, wo das Kind mit seinen Bedürfnissen im Vordergrund steht, weil die Erkrankung der Eltern so einen Riesenplatz in den Familien einnimmt.

Das Gespräch führte Anja La Roche

Weitere Infos und Kontaktdaten

Heike Mohrmann Die 57-jährige Erzieherin hat eine Ausbildung in der Suchtberatung gemacht. Sie ist erste Vorsitzende der Baden-Württembergischen Landesvereinigung der Elternselbsthilfe Suchtgefährdeter und Suchtkranker, bei welcher sie schon verschiedene Gruppen geleitet hat.

Tobias Trumpp Der 27-Jährige hat Soziale Arbeit und Diakoniewissenschaft an der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg studiert. Seit 2020 arbeitet er als Sozialarbeiter beim Kreisdiakonieverband Rems-Murr-Kreis in den sozialpsychiatrischen Hilfen im ambulant betreuten Wohnen für Menschen mit psychischer Erkrankung.

Giraffengruppe Die Giraffe steht für Gemeinschaft, Ich-Sein, Rücksicht, Achtsamkeit, Familie, Freunde und Emotionen.

Kontakt Wer Interesse am Angebot hat, kann sich gerne beim Kreisdiakonieverband Rems-Murr melden, Obere Bahnhofstraße 16 in Backnang. Telefonisch kann man sich an 07191/91456-10 oder per E-Mail an t.trumpp@kdv-rmk.de wenden.

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Erstellt:
16. September 2023, 11:00 Uhr

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