Backnanger Straßen sind besser als ihr Ruf

Mit einer neuen Software hat die Stadt erstmals den Zustand aller kommunalen Straßen erfasst. Das Ergebnis fiel überraschend positiv aus: 84 Prozent der Fahrbahnen sind in gutem bis ordentlichem Zustand, nur bei drei Prozent besteht akuter Handlungsbedarf.

Helmut Munz vom Baubetriebshof befährt Straßen in der Innenstadt, ein Smartphone zeigt ihm die Straßenkarte sowie Fotos, wie hier vom Zebrastreifen zwischen VHS und Schillerschule. Straßenschäden werden mit der Software Vialytics sufgenommen und analysiert. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Helmut Munz vom Baubetriebshof befährt Straßen in der Innenstadt, ein Smartphone zeigt ihm die Straßenkarte sowie Fotos, wie hier vom Zebrastreifen zwischen VHS und Schillerschule. Straßenschäden werden mit der Software Vialytics sufgenommen und analysiert. Foto: A. Becher

Von Kornelius Fritz

Backnang. Über Fahrbahnrisse, Schlaglöcher und Buckelpisten wird in Backnang gerne und oft geschimpft. Aber sind die Straßen wirklich in so schlechtem Zustand, wie manche behaupten? Das Tiefbauamt hält der gefühlten Wahrheit nun eine objektive entgegen. Um die Straßenschäden zu erfassen, setzt der städtische Baubetriebshof seit einem Jahr ein neues System namens Vialytics ein. Dafür müssen die Bauhofmitarbeiter bei ihren Fahrten durch die Stadt lediglich ein Smartphone mit einer Halterung innen an der Windschutzscheibe anbringen und die entsprechende App starten. Diese fotografiert dann während der Fahrt automatisch alle vier Meter die Fahrbahn, ein Bewegungssensor erkennt auch Erschütterungen. Mithilfe von künstlicher Intelligenz wertet die Software die Daten anschließend aus und teilt die Straßen in Schadensklassen ein. Bewertet wird der Zustand mit Schulnoten von
1 (sehr gut) bis 5 (mangelhaft).

Das Ergebnis dieser Bestandsaufnahme hat im Backnanger Rathaus für freudiges Erstaunen gesorgt. „Mein Gefühl war, dass der Zustand unserer Straßen eher schlecht ist“, bekannte Erster Bürgermeister Siegfried Janocha im Technischen Ausschuss. Tatsächlich liegt die Durchschnittsnote für das 164 Kilometer lange Straßennetz aber bei 2,2. Lediglich drei Prozent der Straßen wurden als „mangelhaft“ bewertet, weitere vier Prozent bekamen die Note 4 bis 5.

Auch der Zustand der Radwege wird bald automatisch erfasst

Für Lars Kaltenleitner, den Leiter des städtischen Tiefbauamts, ist das zwar eine gute Nachricht, allerdings warnt er davor, die falschen Schlüsse zu ziehen. „Wir sollten auch schon die Straßen mit den Noten 2,5 bis 4 auf dem Schirm haben“, erklärte Kaltenleitner. Denn es sei für die Stadt günstiger, eine Straße frühzeitig zu sanieren, als zu warten, bis sie so marode ist, dass sie komplett erneuert werden muss.

Wollte die Stadt alle Backnanger Straßen in einem Topzustand erhalten, müsste sie laut Kaltenleitner jedes Jahr rund eine Million Euro für Instandsetzungen investieren. Allerdings fehle dafür nicht nur das Geld, sondern auch das Personal in den Ämtern. Für realistisch hält Kaltenleitner ein jährliches Investitionsvolumen von rund 300000 Euro. „Damit kommen wir gut zurecht und können jedes Jahr zwei größere Sanierungsmaßnahmen umsetzen.“ Die Stadträte signalisierten Unterstützung für diesen Plan: „Es reicht nicht, die Probleme zu kennen. Wir müssen dann auch etwas dagegen tun“, sagte die CDU-Fraktionsvorsitzende Ute Ulfert. Ähnlich äußerten sich auch die SPD-Stadträte Heinz Franke und Armin Dobler.

Baudezernent Stefan Setzer erklärte, Ziel der Verwaltung sei es, die Durchschnittsnote für den Straßenzustand auf 2,0 zu verbessern und die mit mangelhaft benoteten Straßen so schnell wie möglich zu sanieren. Dazu gehören zum Beispiel die Tilsiter Straße, die Untere Au und der hintere Teil der Elbinger Straße.

Volker Dyken von den Backnanger Demokraten wollte wissen, ob mit dem Vialytics-System auch der Zustand der Radwege erfasst werden könne. Dies werde bald möglich sein, erklärte Lars Kaltenleitner. Der Hersteller führe bereits entsprechende Tests durch, damit das Smartphone künftig auch am Lenker eines Fahrrads montiert werden kann. Für die Nutzung des Vialytics-Systems muss die Stadt Backnang einen Jahresbeitrag von 13660 Euro bezahlen. Der Vertrag läuft zunächst einmal über drei Jahre. Im Vergleich zu dem Aufwand, den man früher gehabt habe, sei das ein äußerst günstiger Preis, erklärte Tiefbauamtsleiter Kaltenleitner. Bevor das automatisierte System eingeführt wurde, habe Bauhofleiter Rafael Bidlingmaier die Straßen zu Fuß abgehen müssen, um die Schäden manuell zu erfassen.

Erfolgreiches Start-up aus Stuttgart

Gründer Die Firma Vialytics wurde 2018 von Patrick Glaser, Danilo Jovicic und Achim Hoth in Stuttgart gegründet. Als Kapitalgeber stiegen die zum EnBW-Konzern gehörende EnBW New Ventures und Statkraft Ventures aus Düsseldorf mit ein.

KI Das Vialytics-System arbeitet mit künstlicher Intelligenz (KI). Ein Algorithmus erkennt anhand der aufgenommenen Fotos automatisch Straßenschäden und wertet diese aus. Bilder und Daten werden den Kommunen anschließend in einem Geoinformationssystem zur Verfügung gestellt. Für die Anwendung des Systems sind keine Fachkenntnisse erforderlich. Die Aufnahmen können deshalb auch bei Routinefahrten, etwa während der Straßenreinigung, erstellt werden.

Auszeichnung Nach Angaben des Unternehmens nutzen schon mehr als 150 Kommunen in Deutschland und dem europäischen Ausland das Vialytics-System. Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) zeichnete das Start-up im vergangenen Jahr als herausragendes Beispiel für
„KI made in BW“ aus. Das Unternehmen hat bereits mehr als 30 Beschäftigte.

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Erstellt:
4. November 2021, 06:00 Uhr

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