Bayerische Staatsoper München

Barrie Kosky inszeniert einen teuflischen Weihnachtszirkus

Barrie Kosky inszeniert an der Bayerischen Staatsoper in München „Die Nacht vor Weihnachten“ von Nikolai Rimski-Korsakov. Die Aufführung feiert die ukrainische Kultur.

Der Teufel in der Mitte: Tansel Akzeybek als Zirkusdirektor mit Zylinder

© Bayerische Staatsoper/Geoffroy Schied

Der Teufel in der Mitte: Tansel Akzeybek als Zirkusdirektor mit Zylinder

Von Jürgen Kanold

Zu Weihnachten wird in der Oper offenbar gerne kannibalisch gegrillt. So mästet in Engelbert Humperdincks „Hänsel und Gretel“ die Knusperhexe den gefangenen Knaben, wird aber dann selbst von dessen Schwester in den Backofen gestoßen. Im Münchner Nationaltheater dreht jetzt die riesenbusige Solocha (Ekaterina Semenchuk), auch eine Hexe mit Besen, und zwar eine eifersüchtige, eine Doppelgängerin der schönen Oksana über dem Feuer wie einen Spießbraten. Skurril drastisch hat Barrie Kosky, der Unterhaltungskünstler, „Die Nacht vor Weihnachten“ von Nikolai Rimski-Korsakow inszeniert. Wie heißt das Werk?

Ja, es ist hierzulande ziemlich unbekannt. Das war an der Bayerischen Staatsoper die Münchner Erstaufführung – 130 Jahre nach der Uraufführung in St. Petersburg. Es ist ein Märchen nach einer Erzählung von Nikolai Gogol: eine sehr menschliche Dorfkomödie, in der ein Teufel die Strippen zieht; und es geht nicht ums Christkind, sondern um die Wintersonnenwende. Viel Naturspuk, gute und böse Mächte, pantheistische Poesie und ukrainische Folklore mit heidnischem Brauchtum. Dazu Koliada-Gesang (ähnlich der christlichen Tradition des Sternsingens), orchestrale Spätromantik, Glockengebimmel, monströse Arien, Chormassen und überhaupt ein bunt eingepacktes, viele Überraschungen bietendes Klang-Geschenk zum Fest.

Ukrainische Geschichte und Kultur

Auch eine politische Note hat diese Neuproduktion. Rimski-Korsakow gehörte im 19. Jahrhundert, wie Michael Glinka oder Modest Mussorgskij, zum „mächtigen Häuflein“ nationaler russischer Komponisten. Die sinfonische Dichtung „Scheherazade“ ist sein Klassik-Hit, er hat aber auch eine ganze Reihe an Werken fürs Musiktheater geschrieben – wie man etwa gründlich im 1985 erschienenen „Handbuch der russischen und sowjetischen Oper“ (sic!) von Sigrid Neef nachlesen kann. Darin steht im Übrigen auch, dass die Handlung von „Die Nacht vor Weihnacht“ in „Kleinrussland“ spiele. Keine Rede von der Ukraine. Putins Angriffskrieg aber hat uns Europäer sensibilisiert für die ukrainische Geschichte und Kultur.

Schon Gogols Erzählung aber, erklärt der (russische) Münchner Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski im Programmbuch, sei quasi der erste Versuch gewesen, die Ukraine als eine selbstständige Nation mit einer selbstständigen Kultur in der versnobten russischen Gesellschaft salonfähig zu machen. Rimski-Korsakow wiederum habe in seiner Oper auf eine Sammlung ukrainischer Volkslieder zurückgegriffen und damit viel getan für deren Popularisierung. Der emotional und ebenso schneidend klar und klischeefrei, nie süßlich dirigierende Jurowski hat in dieser Produktion deshalb darauf geachtet, dass sich das Ensemble (zu dem russische Sänger gehören) „sehr ukrainisch gebärdet“: also den Text ukrainisch ausspricht. Das ist ein Statement in diesen Zeiten, auch wenn das Normalpublikum solche sprachliche Differenzierung nicht hört. Völkerverständigender Friede, zumindest auf der Bühne.

Weniger politisches Drama, mehr großer Weihnachtszirkus

Dass der russische Komponist Rimski-Korsakow derart in die ukrainische Musik verliebt war, sei doch wirklich eine schöne Weihnachtsgeschichte, freut sich Regisseur Kosky. Ein politisches Drama hat er wirklich nicht inszeniert, sondern, vom Premierenpublikum bejubelt: den großen Weihnachtszirkus vor einer mehrstöckigen, manegenartigen Kulisse (Klaus Grünberg). Der Teufel (Tansel Akzeybek) als Direktor mit Zylinder (aber mephistophelischen Hörnern drunter), die Dorfhelden (Sergei Leiferkus und andere) als aufgeblasene Clowns. Dazu Akrobatik am Seil, Dämonengrusel und das Kosky-typische Männerballett.

Die Geschichte, zumindest die märchenhafte: Der Schmied Wakula, von dem Tenor Sergey Skorokhodov tatsächlich metallisch hart und mit silberglänzender Klang-Legierung gesungen, begehrt die schöne Oksana. Elena Tsallagova verkörpert dieses kokett verführerische Mädchen mit zwei Mega-Arien, in denen sie mit aller Sopranwucht und -kunst brilliert. Tja, aber Oksana würde den Wakula nur heiraten wollen, wenn er ihr die Schuhe der Zarin bringt.

Das ist für Kosky dann die spektakuläre Schau-Nummer. Vom Bühnenhimmel fährt die Zarin (Violeta Urmana) herunter, eingerahmt vom kralligen russischen Doppeladler: eine wie dekoriert erstarrte Trapez-Attraktion oder eine rettende Göttin aus dem barocken Maschinentheater. Aber sind ihre Beine nicht zu lang, die unterm Glitzerrock herabhängen? Genau, lustiger Gag: Sie sind nicht echt, lassen sich samt der gewünschten Schuhe abschrauben.

Apropos Grillen und Schmoren . . . Der erste, längere Teil dieser dreistündigen „Nacht vor Weihnachten“ ist eher trocken bis zäh durchgebraten. Da genehmigen sich einige Zuschauer in der Pause gern noch einen Sekt und gehen dann nach Hause. Was aber eine Fehlentscheidung ist. Denn diese Inszenierung nimmt erst im zweiten Teil so richtig fantasievoll Fahrt auf. Als große ukrainisch-russische Revue.

Vorstellungen im Münchner Nationaltheater am 13., 19. und 22. Dezember; eventuell Restkarten.

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Erstellt:
10. Dezember 2025, 17:40 Uhr

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