Bauern bereiten sich auf neues Tierwohllabel vor

Produkte aus Milch sollen künftig mit einem Tierhaltungskennzeichnung versehen werden. Viele Milcherzeuger aus der Region informieren sich bei einer Veranstaltung der Hohenloher Molkerei zu den Kriterien der einzelnen Stufen.

Auslauf ins Freie ist eines von vielen Kriterien für die Stufe drei des geplanten Labels. Foto: Ute Gruber

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Auslauf ins Freie ist eines von vielen Kriterien für die Stufe drei des geplanten Labels. Foto: Ute Gruber

Von Ute Gruber

Rems-Murr. Wie ein lang gezogener Lindwurm aus Gestalten in weißem Einwegkittel und mit blassgelbem Haarnetz schlängeln sich Hunderte Besucher durch die Produktionshallen der Hohenloher Molkerei in Schwäbisch Hall. Unter höchsten Qualitäts- und Hygienestandards wird hier produziert, jährliche Auszeichnungen der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) beweisen es. Heute nutzen rund 400 Landwirte das Angebot der Molkerei, vor der Infoveranstaltung mit eigenen Augen zu sehen, wie ihre Milch bis in den Laden kommt.

Die aktuelle Herausforderung, welche die Verantwortlichen der Genossenschaft dazu bewogen hat, nach mehreren Jahren wieder eine Informationsveranstaltung vor Ort für die Milchlieferanten anzubieten, ist die Ankündigung des Lebensmitteleinzelhandels (LEH), binnen weniger Jahre auch die Weiße Linie – also Produkte aus Milch – mit einer Tierhaltungskennzeichnung zu versehen. In einem vierstufigen Ampelschema sollen die Milchviehbetriebe eingestuft werden in Stufe eins: ganzjährige Anbindehaltung (rot), Stufe zwei: Stallhaltung plus, also Laufstall (blau), Stufe drei: Stallhaltung mit Außenklima, zum Beispiel durch Weidehaltung oder Auslauf (gelb) und Stufe vier: Biomilch (grün). Die Krux: Obwohl die meisten der Lieferanten – eventuell mit geringem Mehraufwand – die mittleren Stufen gut erreichen können, gibt es aus der traditionellen Tierhaltung in Süddeutschland heraus noch viele kleine Betriebe im Erfassungsgebiet, deren Milchkühe dauerhaft in einer Reihe entlang des Trogs angebunden sind – vor 60 Jahren gab es hierzulande gar nichts anderes. Im Rems-Murr-Kreis wiesen nach Angaben des Landratsamts im Jahr 2019 insgesamt 46 Prozent der Milchkuhbestände eine ganzjährige Anbindehaltung auf. Hier handelt es sich in der Regel um kleine Bestandsgrößen. Ihre Milch (Stufe eins) wäre unter dem geplanten Label des LEH in absehbarer Zeit nicht mehr zu vermarkten – es sei denn sie bauten ihren Stall um.

Vor allem Anbindebetriebe sollen bei der Umstellung beraten werden

Neben unendlichen Paletten voller H-Milch in einer der Lagerhallen lassen sich heute gestandene Betriebsleiter (und in zunehmendem Maße auch Betriebsleiterinnen) an langen Tischreihen nieder, oft begleitet von der Familie, die auf den Betrieben in der Regel voll mitarbeitet. Weitere 215 verfolgen die Vorträge online. Es sind gut ausgebildete Landwirte, oft mit Meisterbrief, teilweise sogar mit landwirtschaftlichem Studium. Sie ärgern sich über Handel und Politik: „Als ob wir nicht selber das Wohl unserer Tiere im Blick hätten“, äußert sich einer. „Wenn es einer Kuh nicht gut geht, gibt sie keine Milch.“ Folglich werde den anspruchsvollen Damen aller Komfort geboten: eine nach dem Bedarf zusammengestellte Futterration aus besten Zutaten, eine geräumige, weiche Liegebox, viel Auslauf – auch ins Freie–, eine elektrische Kratzbürste, eine separate Krankenbox und enge Zusammenarbeit mit einem Tierarzt sowie regelmäßige Fußpflege. Wenn dazu die notwendigen Hygienemaßnahmen beim Melken und Dokumentationspflichten bei der Arzneimittelanwendung eingehalten werden, sind bereits wesentliche Kriterien des zwölfseitigen Anforderungskatalogs für die offiziellen Module QM+ und QM++ erfüllt, denen die Haltungsformen Stufe zwei oder drei des LEH entsprechen (siehe Infotext).

Weidegang als Idealfall

„Unser Ziel ist, möglichst viele dahingehend zu unterstützen, dass sie in die höheren Stufen kommen“, verkündet Manfred Olbrich, Vorstandsvorsitzender der Genossenschaft. Aus diesem Grund wurden zu diesem Treffen auch die zuständigen landwirtschaftlichen Berater eingeladen. Sie sollen vor allem mit den Anbindebetrieben zusammen Wege zu mehr Kuhkomfort finden, sei es durch stundenweisen Auslauf in einem Gehege oder im Idealfall durch Weidegang. Der Neubau eines Laufstalls ist für diese Betriebe, deren Hofnachfolge zumeist nicht gesichert ist, oft weder sinnvoll noch finanziell machbar.

Molkereigeschäftsführer Martin Boschet beobachtet den Markt genau und nimmt kein Blatt vor den Mund. Er zeigt dem LEH gern auch mit scharfen Worten Grenzen auf – heute aber gibt er zu bedenken: „Unseren Umsatz machen wir inzwischen zu 90 Prozent im Inland. Italien und wider Erwarten auch China haben an Bedeutung abgenommen. Und Russland – das wissen Sie selber.“ Man müsse den Kunden auch entgegenkommen, zumal die grüne Landwirtschaftspolitik in eine ähnliche Richtung ziele. Die hohe Beteiligung an diesem Tag sei eine große Motivation für die Molkerei, in der Investitionen und betriebliche Weichenstellungen stets mit dem Vorstand und dem Aufsichtsrat aus Milchbauern abgestimmt werden. Und schon während sich gegen später die Milchbauern auf den Weg in die heimischen Ställe zum Abendmelken machen, erscheinen die ersten Statusmeldungen von umherflitzenden Milchkartons im Internet und beim Agrarversand gehen Bestellungen für grobe Bürsten ein – das Jungvieh soll sich schließlich auch kratzen können.

Für höhere Standards gibt es strengere Kontrollen

Neue Standards QM+ und QM++ sind die neu formulierten Qualitätsstandards des Vereins QM-Milch. Dieser gibt seit 2011 strenge, nachprüfbare Qualitätsstandards für die Milcherzeugung vor, die bundesweit einheitlich gelten und Mindestanforderungen für eine qualitätsorientierte und tiergerechte Milcherzeugung definieren. Mit den Zusatzmodul QM+ und QM++ als Ergänzung zum QM-Standard soll das Tierwohl zukünftig noch stärker zur Grundlage des Handelns in den Milcherzeugerbetrieben werden. Die teilnehmenden Betriebe werden für QM+ und QM++ statt wie bisher alle drei Jahre alle anderthalb Jahre von Auditoren des Milchprüfrings Baden-Württemberg auf alle Kriterien kontrolliert (Dauer: etwa drei Stunden). Zusätzlich gibt es unangekündigte Bestandschecks. Das Zertifikat für die Milch (QM) gilt zugleich als Zertifikat für das Fleisch der Tiere (QS).

Weniger Milchbauern Die Hohenloher Molkerei vermarktet über die Hälfte ihrer Milch als H-Milch, oft unter den Eigenmarken der jeweiligen Handelskette. Erkennbar ist die Herkunft nur am Abfüllstempel „BW 010“. An jedem Tag verarbeitet die Genossenschaftsmolkerei, deren Erfassungsgebiet mit Zentrum im Schwäbischen Wald und Hohenlohe inzwischen von Heidenheim bis in den Odenwald reicht, im Schnitt 1,13 Millionen Liter Rohmilch – die Menge, die ein Durchschnittslieferant in gut zwei Jahren von seinen Kühen bekommt. Mittlerweile arbeitet sie noch mit 843 Milchbauern zusammen. „In den letzten Jahren haben jährlich rund 45 unserer kleinen und mittlerweile auch größeren Milchbauern aufgehört. Wir verlieren inzwischen mehr Milch als die übrig gebliebenen an Menge steigern können“, so Molkereigeschäftsführer Martin Boschet.

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Erstellt:
14. März 2023, 06:00 Uhr

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