Blitzer gegen den Motorradlärm?

Im Kampf gegen rücksichtslose Motorradfahrer bringt der SPD-Landtagsabgeordnete Gernot Gruber ein neues Messgerät aus Frankreich ins Spiel, doch die rechtlichen Hürden sind hoch. Unabhängig davon sieht die Polizei erste Erfolge ihres neuen Kontrollkonzepts.

Ein Display am Straßenrand ermahnt Motorradfahrer zwischen Kernen-Stetten und Esslingen zu einer rücksichtsvollen Fahrweise. Wer sich nicht darum kümmert, muss allerdings keine Konsequenzen befürchten. Foto: Kornelius Fritz

Ein Display am Straßenrand ermahnt Motorradfahrer zwischen Kernen-Stetten und Esslingen zu einer rücksichtsvollen Fahrweise. Wer sich nicht darum kümmert, muss allerdings keine Konsequenzen befürchten. Foto: Kornelius Fritz

Von Kornelius Fritz

Rems-Murr. Wer auf der Landstraße mit Tempo 130 fährt, obwohl nur 100 Kilometer pro Stunde erlaubt sind, muss befürchten, in eine Radarfalle zu tappen. Wenn es dann blitzt, lässt der Bußgeldbescheid meist nicht lange auf sich warten. In ähnlicher Weise würde der Backnanger SPD-Landtagsabgeordnete Gernot Gruber gerne auch gegen rücksichtslose Motorradfahrer vorgehen, die mit ihren Maschinen absichtlich Lärm produzieren, etwa durch technische Veränderungen an ihren Bikes oder eine besonders hochtourige Fahrweise. Im Raum Backnang gibt es mehrere Strecken, an denen die Anwohner schwer unter Motorradlärm zu leiden haben, etwa an der B14 zwischen Sulzbach an der Murr und Großerlach oder an der Kreisstraße 1819 bei Vorderbüchelberg (wir berichteten).

„Seit 15 Jahren wird immer wieder darüber gejammert, aber man kommt nicht richtig voran“, sagt Gernot Gruber. Deshalb macht er sich nun für den Einsatz sogenannter „Lärmblitzer“ stark. In Paris und anderen französischen Städten werden solche Geräte bereits in einem Modellversuch getestet. Bei dem System namens Méduse nehmen vier Mikrofone die Geräusche der vorbeifahrenden Fahrzeuge auf. Wird eine Lautstärke von 80 Dezibel überschritten, wird eine Kamera ausgelöst, die den Motorrad- oder Autofahrer fotografiert. Und zwar von hinten, damit man das Nummernschild lesen kann. Gruber geht davon aus, dass so eine automatische Messung abschreckende Wirkung auf die Motorradrowdys hätte. In Briefen an Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) und die Lärmschutzbeauftragte des Landes, Staatssekretärin Elke Zimmer (Grüne), macht er sich deshalb für den Einsatz solcher Geräte stark.

Bis jetzt gibt es keinen einheitlichen Grenzwert für Motorradlärm

Die Reaktionen auf Grubers Vorstoß zeigen allerdings: Ganz so einfach ist das nicht. Das erste Problem: Es gibt gar keinen gesetzlichen Grenzwert für Motorradlärm, sondern lediglich eine zulässige Geräuschemission für das jeweilige Modell. Zwar hat sich der Bundesrat bereits 2020 dafür ausgesprochen, den Lärm aller neuen Motorräder auf maximal 80 Dezibel zu begrenzen, umgesetzt wurde dieser Vorschlag bis jetzt aber noch nicht. Für größere Maschinen seien zum Teil noch dreistellige Dezibelwerte zugelassen, erklärt Volker Nied, Leiter der Verkehrspolizei in Backnang. Wobei diese Werte unter Laborbedingungen ermittelt werden. Im tatsächlichen Betrieb sind die Maschinen oft sogar noch lauter. „Ein solcher Lärm müsste nicht sein, aber er ist zulässig“, sagt Nied.

Rechtliche Voraussetzungen müssten angepasst werden

Ein weiteres Problem: Will man Lärmsünder belangen, etwa solche, die den „Sound“ ihrer Maschine durch Manipulationen am Auspuff aufgepeppt haben, braucht man Beweise, die auch einer Überprüfung vor Gericht standhalten. Allein die Lärmwerte einer automatischen Messanlage dürften dafür nicht reichen, vermutet Volker Nied. Wie soll man etwa beweisen, dass der gemessene Lärm ausschließlich dem vorbeifahrenden Motorrad zuzurechnen ist und nicht auch dem pfeifenden Wind oder dem entgegenkommenden Lastwagen? Und selbst wenn sich der Verstoß eindeutig belegen ließe, stellt sich immer noch die Frage, wer ihn begangen hat. Denn mit dem Nummernschild ließe sich zwar der Halter des Motorrads ermitteln, bestraft werden kann aber nur der Fahrer. Und der wäre mit Helm und von hinten kaum zu identifizieren. Volker Nied ist deshalb skeptisch in Bezug auf die neuen Lärmblitzer: „Ich bin gespannt, was bei dem Modellversuch in Frankreich rauskommt“, sagt der Verkehrspolizist, der selbst leidenschaftlicher Motorradfahrer ist. Um die Geräte auch in Deutschland einzusetzen, müssten wohl erst die rechtlichen Voraussetzungen entsprechend angepasst werden.

Lärmtafeln haben einen leichten positiven Effekt

Was hingegen schon heute problemlos eingesetzt werden kann, sind sogenannte Lärmdisplays, die besonders laute Verkehrsteilnehmer zur Rücksicht ermahnen. Im Rems-Murr-Kreis steht eine solche Tafel seit zwei Jahren an der Straße zwischen Kernen-Stetten und Esslingen. Ab einem gemessenen Lärmwert von 84 Dezibel, mahnt ein roter Schriftzug: „Leiser“, bei Werten darunter erscheint in grüner Schrift „Danke“. Die Aufstellung der Tafel im Frühjahr 2020 habe auch tatsächlich einen positiven Effekt gehabt, sagt Rathaussprecherin Susanne Herrmann: „Die Lärmspitzen wurden etwas reduziert.“ Im Schnitt gingen die gemessenen Werte um drei Dezibel zurück. Herrmann räumt allerdings auch ein, dass das nicht die ganz große Entlastung für die Anwohner gebracht hat.

Viele andere Gemeinden haben sich die immerhin 15000 Euro teuren Displays deshalb lieber gespart. Zu teuer und zu wenig Nutzen, lautete etwa der Tenor in den Gemeinderäten von Althütte und Kirchberg an der Murr. Auch die Gemeinde Sulzbach an der Murr, die sogar schon die Zusage für einen 4000-Euro-Zuschuss vom Land bekommen hatte, entschied sich letztlich gegen die Anschaffung: „Wir waren der Ansicht, dass die hohen Kosten den Nutzen nicht rechtfertigen würden“, erklärt Hauptamtsleiter Michael Heinrich.

Neue Strategie der Polizei: mehr Kontrollen, häufige Standortwechsel

Müssen sich die Anwohner an beliebten Motorradstrecken also mit der dauernden Lärmbelästigung abfinden? „Nein“, widerspricht Volker Nied. „Wir haben durchaus Möglichkeiten, dagegen vorzugehen“, sagt der Leiter der Verkehrspolizei. So hätten seine Kollegen und er zuletzt erfolgreich ihre Strategie geändert. Weil die Motorradfahrer gut vernetzt sind, spricht es sich in der Szene rasch herum, wenn auf einer Strecke eine Polizeikontrolle ist. Deshalb sei man dazu übergegangen, die Standorte häufiger zu wechseln und die bekannten Hotspots dafür mehrmals pro Woche aufzusuchen. Bei den Kontrollen, die sowohl von Uniformierten als auch von Beamten in Zivil durchgeführt werden, überprüft die Polizei neben der Geschwindigkeit auch, ob die Motorräder technisch verändert wurden, in Zweifelsfällen holt sie einen Gutachter dazu. Stellt sich etwa heraus, dass Schalldämpfer ausgebaut wurden oder die Leistung des Motors unzulässig erhöht wurde, wird das Bike an Ort und Stelle stillgelegt: „Das fährt dann keinen Meter mehr“, sagt Nied. Aus seiner Sicht hat sich die Lage an den bekannten „Rennstrecken“ dadurch auch schon deutlich verbessert: „Wir kommen unserem Ziel langsam näher.“

Gernot Gruber will auch auf politischer Ebene an dem Thema dranbleiben: „Ich habe das Gefühl, dass die Verantwortung wie eine heiße Kartoffel hin- und hergeschoben wird“, sagt der Landtagsabgeordnete. Auch die Idee mit den Lärmblitzern will er noch nicht aufgeben. Sein Vorschlag: Wenn die Messungen am Straßenrand für eine Ahndung von Verstößen nicht ausreichen, könnte man diese zumindest dafür nutzen, um auffällige Fahrzeuge zu identifizieren. Die Halter könnte man dann vorladen und ihre Bikes auf mögliche Manipulationen untersuchen lassen. „Der Aufwand für das Vorführen eines Fahrzeugs könnte auch präventiv wirken und bei den Fahrzeughaltern ein größeres Bewusstsein für starken Verkehrslärm erzeugen“, hofft Gruber.

Initiative Motorradlärm

Mitglieder Im Juli 2019 wurde mit Unterstützung von Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) die Initiative Motorradlärm gegründet. Mittlerweile haben sich 171 Kommunen und Landkreise aus ganz Baden-Württemberg dem Bündnis angeschlossen. Auch der Rems-Murr-Kreis und zahlreiche Gemeinden aus der Region sind mit dabei.

Forderungen Die Initiative hat einen Forderungskatalog erarbeitet, der unter anderem folgende Vorschläge beinhaltet:

einen Grenzwert von 80 Dezibel für alle Neufahrzeuge

Prüfverfahren unter realistischen Bedingungen bei der Typgenehmigung

stärkere polizeiliche Verkehrsüberwachung und Ausweitung rechtlicher, technischer und personeller Kontrollmöglichkeiten

in besonderen Konfliktfällen Geschwindigkeitsbegrenzungen und beschränkte Fahrverbote, etwa an Wochenenden

höhere Bußgelder für eine vorsätzlich lärmerzeugende Fahrweise und Manipulationen am Bike

Zum Artikel

Erstellt:
1. Juli 2022, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Lesen Sie jetzt!
Die Aufnahme ist Thomas Schad gelungen. Sie zeigt die Polarlichter über Burgstetten.
Top

Stadt & Kreis

Polarlichter über Backnang und Umgebung

Wer hat Fotos von der eindrucksvollen Naturerscheinung gemacht? Bitte schickt uns eure besten Aufnahmen an redaktion@bkz.de. Wir werden sie in einer Bildergalerie veröffentlichen und die besten Fotos auf einer Sonderseite drucken.

Stadt & Kreis

So wird Balkonien zum Pflanzenparadies

Spätestens jetzt ist die Zeit gekommen, um seinen Balkon oder die Terrasse fit für den Sommer zu machen beziehungsweise seine Kübellandschaft zu vervollständigen.