Briten und EU ringen um Brexit-Datum

Finanzminister Scholz hält ungeregelten Austritt für „verkraftbar“ – EU-Politiker skeptisch wegen Vorschlägen von Tusk und May

Die britische Premierministerin May will den Brexit auf Ende Juni verschieben, EU-Ratspräsident Tusk regt eine flexible Zeitschiene mit bis zu einem Jahr Aufschub an. Ganz entspannt äußert sich der deutsche Finanzminister.

Bukarest/brüsseL /AFP/DPA - Finanzminister Olaf Scholz (SPD) hält die Folgen eines harten Brexits für Europas Wirtschaft für verkraftbar. Trotz der „ganz aufgeregten Debatte“ über den britischen EU-Austritt seien bislang „nicht besonders schwerwiegende Auswirkungen“ zu sehen. Dies zeige die Stabilität der europäischen Wirtschaft. „Das sollte uns optimistisch stimmen, dass wir in der Lage sind, mit jeder Situation gut umzugehen, die mit dem Brexit verbunden sein kann.“ Er hoffe aber weiter auf einen „geregelten und vereinbarten Brexit“, sagte er beim Treffen der Euro­finanzminister in Rumäniens Hauptstadt Bukarest.

Die EU und Großbritannien erwägen eine weitere Verschiebung des Brexits, um einen chaotischen Bruch in einer Woche zu vermeiden. Die britische Premierministerin Theresa May bat in einem Schreiben an EU-Ratschef Donald Tusk am Freitag um einen Aufschub bis zum 30. Juni. Tusk plädiert hingegen nach Angaben eines EU-Beamten für eine flexible Verlängerung der Austrittsfrist um bis zu zwölf Monate. Die Entscheidung dürfte am Mittwoch bei einem Sondergipfel der EU fallen.

Eine hohe Hürde für die Verschiebung ist die Wahl zum Europäischen Parlament vom 23. bis 26. Mai. Wäre Großbritannien dann noch EU-Mitglied, müsste es Abgeordnete wählen lassen. Der bislang vorgesehene Brexit-Termin am 12. April – das ist Freitag in einer Woche – ist der letzte Tag, an dem London die Wahl im Land einberufen könnte.

Großbritannien und die EU stecken tief in der Brexit-Krise, weil das britische Unterhaus den von May ausgehandelten Austrittsvertrag bisher nicht angenommen hat. Ohne weitere Verlängerung droht ein Austritt ohne Abkommen. Nach dreimaligem Scheitern im Parlament hat May erst diese Woche Verhandlungen mit Oppositionschef Jeremy Corbyn über einen überparteilichen Konsens aufgenommen. Herausgekommen ist noch nichts Greifbares.

Ausschlaggebend könnte sein, ob es May gelingt, die EU-Staats- und -Regierungschefs davon zu überzeugen, dass eine Verlängerung auch tatsächlich hilft, einen geordneten EU-Austritt ihres Landes zu erreichen. Führende EU-Parlamentarier reagierten zurückhaltend auf die Vorschläge von Tusk und May. Hinterfragt wurde unter ­anderem, ob eine weitere Verschiebung angesichts der verfahrenen Lage in London überhaupt Sinn ergebe.

„Unsere Position ist klar: Keine Brexit-Verschiebung ohne Klärung“, schrieb der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber (CSU), auf Twitter. Chaos und Unsicherheit dürften nicht von London auf die EU überspringen. Der Fraktionschef der Sozialdemokraten im EU-Parlament, Udo Bullmann, wandte sich gegen Mays Idee eines kurzen Aufschubs ohne Teilnahme der Briten an der Europawahl. „Es ist wichtig, dass UK unverzüglich Teilnahme an EU-Wahlen vorbereitet“, schrieb Bullmann auf Twitter. Der Brexit-Beauftragte des Parlaments, Guy Verhofstadt, meinte: „Allen in der EU, die geneigt sein könnten, die Brexit-Saga weiter zu verlängern, kann ich nur sagen: Passt auf, was ihr euch da wünscht.“ Er ­bezog das auf die Ansage des Brexit-Hardliners Jacob Rees-Mogg, dass Großbritannien bei einer Verlängerung der Austrittsfrist „so schwierig wie möglich“ auftreten und wichtige EU-Entscheidungen blockieren sollte.

Frankreich stufe den Vorschlag für eine Brexit-Verschiebung als verfrüht ein, verlautete am Freitag aus dem Amt von Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron. Bis zum EU-Gipfel am Mittwoch müsse es einen glaubwürdigen Plan geben. Macron hatte sich bereits zu Wochenbeginn kritisch zu einer weiteren Verschiebung des Brexit-Termins geäußert. Eine Verlängerung, die auch eine Teilnahme Großbritanniens an der Europawahl im Mai bedeuten würde, sei für Frankreich keinesfalls selbstverständlich.

Nach Tusks Vorschlag müsste Großbritannien an der Wahl teilnehmen. May warb für einen anderen Weg: Ihr Land würde eine Europawahl vorbereiten, aber versuchen, noch vor dem ersten Wahltag am 23. Mai mit einem ratifizierten Austrittsabkommen aus der EU auszuscheiden. In dem Fall würde Großbritannien die Europawahl absagen.

May schrieb in dem Brief an Tusk weiter, es sei frustrierend, dass der Prozess noch nicht zu einem „erfolgreichen und geordneten Abschluss“ gekommen sei. Sollten die Gespräche mit der Opposition nicht zu einer Lösung führen, will May eine weitere Runde von Abstimmungen im Parlament über „klare Optionen“ abhalten. An das Ergebnis werde sich die Regierung halten, sofern die Opposition das auch tue.

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Erstellt:
6. April 2019, 03:14 Uhr

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