Dampframme
Premierministerin May hat sich praktisch jeden Ausweg verbaut
Jetzt finden auch Tory-Politiker, die Theresa May bisher die Treue hielten, dass die britische Premierministerin einen Schritt zu weit gegangen ist. Dass sie im Namen eines nebulösen „Volkswillens“ ihr Parlament mit üblen Beleidigungen traktiert: Das ist für die wenigsten in Westminster noch annehmbar. Mit der Dampframme populistischer Tiraden nämlich zieht die konservative Regierungschefin gegen die Volksvertretung, den Souverän im Lande, zu Felde. Schuld der Abgeordneten sei es, wütet sie, dass es zur jetzigen Krise gekommen sei. Viel zu viel Zeit habe man mit Europa vertrödelt.
Fassungslos fragen sich Parlamentarier aller Lager, wessen Schuld das Ganze wohl gewesen sei. In der Tat kann man sich des Eindrucks eines kollektiven Nervenzusammenbruchs an der Themse am Dienstag nicht mehr erwehren. Mit ihrem Ruf nach einem neuen, „endgültigen“ Brexit-Datum, dem 30. Juni, provoziert May zornige Brexiteers, die überhaupt keine Verschiebung wollen, und bringt frustrierte Proeuropäer, die mehr Zeit verlangen, erst richtig in Rage.
Auf die Vorstellungen der EU nimmt sie wie üblich gar keine Rücksicht. Sichtlich genervt vom Chaos in London fordert Bundesaußenminister Heiko Maas die britische Konservative auf, klar zu machen, was sie mit einer Fristverlängerung für den Brexit eigentlich erreichen will. Nicht nur er wüsste schon gerne, wo das Ganze hinführt. Das Misstrauen gegenüber der britischen Regierung eint Europa. Mittlerweile hat sich May praktisch jeden Ausweg verbaut. Alles, was ihr Stunden vor der Abreise zum Gipfel nach Brüssel blieb, waren Eildebatten im Parlament, Notsitzungen des Kabinetts, fiebrige Botschaften. Will da jemand behaupten, dass sich der Grad des Brexit-Chaos nicht immer noch etwas steigern lässt?
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