Sozialstaatsreform

Das Bürgergeld wird zur Belastungsprobe für Schwarz-Rot

Friedrich Merz will schnelle Änderungen bei der Grundsicherung. Kann das gelingen? Und: Wird das Thema für die SPD zur Gewissensfrage?

Die Reform des Bürgergelds gehört zu den strittigsten Projekten innerhalb der schwarz-roten Koalition.

© Carsten Koall/dpa

Die Reform des Bürgergelds gehört zu den strittigsten Projekten innerhalb der schwarz-roten Koalition.

Von Tobias Peter

Für Friedrich Merz ist die Sache wichtig. Und gerade das erhöht, angesichts der aufgeheizten Stimmung in der Koalition, die Wahrscheinlichkeit, dass es noch zu Problemen kommt. Im Herbst werde es im Kabinett Entscheidungen in Sachen Bürgergeld geben – danach werde sich der Bundestag damit befassen. So hat es Merz im Bundestag gesagt. Der Zeitplan ist ehrgeizig.

Für Schwarz-Rot wird die Reform zur nächsten Belastungsprobe. Die sozialdemokratische Arbeitsministerin Bärbel Bas soll die Bürgergeldreform, einst ein Herzensprojekt ihrer Partei, zurückdrehen. Eine komplizierte Konstellation. Die Union hat im Wahlkampf sehr hohe Erwartungen geweckt, was das Einsparpotenzial beim Bürgergeld angeht. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sprach im Sender Welt TV mit Blick aufs Bürgergeld am Donnerstag von einem „Herbst, der sich gewaschen hat“.

Eine Reform – zwei Pakete

Plausibel erscheint, dass Schwarz-Rot die Reform des Bürgergelds in zwei Teile verpackt. Der erste Teil würde im Herbst im Kabinett auf den Weg gebracht. Zwei zentrale Themen darin könnten sein: die Verschärfung der Sanktionen und die Wiedereinführung des Vermittlungsvorrangs. Für diejenigen, die arbeiten können, soll ein Jobangebot Vorrang vor Maßnahmen zur Qualifizierung haben. Ein zweiter Teil der Reform käme dagegen nicht sofort. Hier geht es darum, unterschiedliche Leistungen des Staates besser aufeinander abzustimmen. Das ist ein komplizierter Prozess, der nicht ohne die Länder geht.

Doch auch der erste Teil der Reform hat es in sich. Klar ist: Der Name Bürgergeld soll entfallen, künftig wird wieder von Grundsicherung die Rede sein. Aber trotz scheinbar präziser Festlegungen im Koalitionsvertrag, dürfte es beim Thema Sanktionen ein zähes Ringen zwischen Union und SPD darüber geben, was rechtlich tatsächlich möglich ist.

Theorie und Praxis

„Bei Menschen, die arbeiten können und wiederholt zumutbare Arbeit verweigern, wird ein vollständiger Leistungsentzug vorgenommen“, heißt es im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Der nächste Satz lautet aber: „Für die Verschärfung von Sanktionen werden wir die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beachten.“ Über die Auslegung werden die Parteien hart miteinander ringen. Denn theoretisch kann man Totalverweigerern schon jetzt für zwei Monate den Regelsatz streichen. Praktisch passiert es so gut wie nie – aus Sicht der SPD wegen der hohen Hürden, die das Verfassungsgericht setzt.

Die Stimmung in der Koalition ist nach der abgesetzten Richterwahl für das Verfassungsgericht am Boden. In der SPD sind viele wütend, weil die eigene Fraktion – trotz großer Bedenken vieler Abgeordneter – für den Koalitionsfrieden bei der Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte gestimmt hat. Umso stärker empfanden es viele als Affront, als die Union in letzter Minute die Zustimmung zur Wahl der von der SPD nominierten Frauke Brosius-Gersdorf zurückgezogen hat. Merz verwies im Nachhinein mehrfach auf die Gewissensfreiheit der Abgeordneten. Die Wut über den Kanzler in der SPD-Fraktion ist groß.

Was Sozialverbände und Arbeitgeber fordern

Was, wenn nun im Gegenzug linke Sozialdemokraten bei der Reform des Bürgergelds auf ihre Gewissensfreiheit pochen sollten? Diese Forderung gibt es aus den Sozialverbänden. „Kanzler Friedrich Merz hat im Zusammenhang mit der Verfassungsrichterwahl von der Gewissensfreiheit der Abgeordneten gesprochen – die gilt aber auch in anderen Fragen“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Joachim Rock. „Wenn das Existenzminimum und die soziale Teilhabe von Millionen Menschen in diesem Land zur Disposition stehen, dann muss das eine Gewissensfrage für alle Abgeordneten sein.“ Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer Oliver Zander dringt dagegen auf deutliche Einsparungen beim Bürgergeld: „Wir brauchen die Steuergelder an anderer Stelle, zum Beispiel bei der Bildung“, sagt Zander. Die Verschärfung der Sanktionen solle noch durch strengere Hinzuverdienstregelungen ergänzt werden.

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Erstellt:
25. Juli 2025, 00:12 Uhr
Aktualisiert:
25. Juli 2025, 05:38 Uhr

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