Deutsche Elite-Unis
Der Absturz des Ikarus
Die Universität Konstanz steigt aus der Liga der Elite-Universitäten ab. Niemand versteht, dass gerade die Schwarmforscher durchfielen.

© Uli Fricker
Spitzenforscher Ian Couzin: Die Schwarmforschung an der Universität Konstanz geht leer aus.
Von Uli Fricker
Wer in diesen Tagen mit Verantwortlichen der Universität Konstanz spricht, fühlt sich in das Drehbuch für einen Katastrophenfilm versetzt. Die Mitarbeiter dort sind fassungslos, sie sind entsetzt oder am Boden zerstört. Dabei hat die Hochschule keinen prominenten Todesfall zu vermelden, sondern den Verlust eines mit Geld kaum aufzuwiegenden Titels: Ab 2027 gilt sie nicht mehr als Exzellenz-Universität (Elite-Universität). Diese Auszeichnung, die sie seit 2007 mit Stolz führt, konnte sie bisher immer wieder erfolgreich verteidigen und damit Hochschulen wie Tübingen und Freiburg abhängen.
Universität fällt im Hochschulranking heraus
Die Ursachen für den Abstieg sind komplex, wie das in akademischen Kreisen gerne umschrieben wird. Vereinfacht gesagt war die Universität am Bodensee nicht gut genug – wenigstens in den Augen der Kommission mit Sitz in Bonn, die vor einigen Tagen entschieden hat. Mit ihrem Urteil ordnet sie die Ränge auf dem akademischen Olymp neu und verteilt überdies viel Geld. Um den Platz auf dem Elite-Podest zu halten, müssen mindestens zwei Cluster (Forschungsverbünde) anerkannt werden. In Konstanz gelang das nur dem Cluster „Politics of Inequality“, in dem es um soziale Ungleichheit geht. Diese Gruppe konnte sich bei den Gutachtern durchsetzen. Nicht zum Zug kommen jene Forscher, die sich mit kollektiven Verhaltensformen beschäftigen, die zum Beispiel Tiere entfalten, die in großen Gruppen unterwegs sind. Dabei hatte die Hochschule mit aktuell 10 150 Studenten gerade darauf gesetzt. Die Forscher beschäftigen sich dort zum Beispiel mit Tierschwärmen und der Frage, ob Menschen von tierischen Fluchtinstinkten lernen können, wenn es um aufziehende Gefahren geht. Der Cluster hatte sich einer breiter werdenden Öffentlichkeit bekannt gemacht, die sich für Massenverhalten interessiert. Der Roman „Der Schwarm“ von Frank Schätzing dürfte dieser Popularität Vorschub geleistet haben.
Sprecher dieser umtriebigen Wissenschaftler ist der Schotte Iain Couzin. Auf ihn war die Universität besonders stolz, zählte er doch zu den brillanten Köpfen am Campus. Professor Couzin hat in der akademischen Welt einen sehr guten Ruf, er zählt zu den weltweit meistzitierten Koryphäen seines Fachs. Vor einigen Tagen erst wurde er in die Royal Society aufgenommen – wenig später fiel sein Cluster vom Himmel.
Schwarmforscher experimentieren in Konstanz auf einzigartige Weise
Umso größer war die Enttäuschung, dass ausgerechnet diese Forschungsgruppe (Ornithologen, Verhaltensforscher, Informatiker) leer ausgeht. Ikarus, der Hoffnungsträger, ist abgestürzt. Ein Insider vermutet, dass die Kommission zu wenig Zukunft in diesem Cluster gesehen hat und ihr deshalb die Exzellenz versagt wurde. Dabei hat das Land bisher gewaltig investiert und den Schwarmforschern ein maßgeschneidertes Gebäude hingestellt. Im „Image Hangar“, einem fensterlosen Turmbau, kann mit Tieren oder Robotern experimentiert werden. „Das ist einzigartig in Europa“, sagt Dirk Leuffen. Der Prorektor für Forschung übt sich bei aller Enttäuschung dennoch in Zuversicht: „Wir bleiben auch ohne Titel eine exzellente Universität“. Tatsache bleibt dennoch: Durch den verlorenen Wettbewerb geht nicht nur eine glänzende Visitenkarte verloren. Es geht auch um Geld und damit um Stellen und Karrieren, die nun woanders stattfinden werden. 18 Millionen Euro jährlich hätte der Bereich erhalten, hätte er den Zuschlag erhalten . Nun fehlt dieses Budget. Junge Talente werden abwandern, weil ihre Laufbahn nach dem Studium beendet ist. Iain Couzin aber werde bleiben, da ist sich Prorektor Leuffen sicher: „Er weiß, was er an uns hat.“