Der Möglichmacher geht von Bord

37 Jahre lang hat sich Bernd Messinger als kaufmännischer Leiter der Erlacher Höhe um die Finanzierung sozialer Projekte gekümmert, nun geht er in den Ruhestand. Der 62-jährige Murrhardter will sich aber auch weiterhin politisch und ehrenamtlich engagieren.

Bernd Messinger vor dem „Blauen Haus“ auf der Erlacher Höhe: Als Verwaltungsleiter, kaufmännischer Geschäftsführer und Vorstand war der Murrhardter hier 37 Jahre lang für die Finanzen zuständig.Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Bernd Messinger vor dem „Blauen Haus“ auf der Erlacher Höhe: Als Verwaltungsleiter, kaufmännischer Geschäftsführer und Vorstand war der Murrhardter hier 37 Jahre lang für die Finanzen zuständig.Foto: A. Becher

Von Kornelius Fritz

Großerlach. „Herr Messinger, wie machen wir das mit dem Geld?“ Diese Frage hat der kaufmännische Vorstand der Erlacher Höhe in seinen 37 Berufsjahren oft gehört. Denn Ideen, wie man die Hilfsangebote für wohnungslose Menschen verbessern könnte, gab es bei dem diakonischen Sozialunternehmen im Schwäbischen Wald immer reichlich, die Mittel waren allerdings meistens knapp. Dann war es Bernd Messingers Aufgabe, nach Geldquellen zu graben, Zuschüsse zu akquirieren und mit Kostenträgern zu verhandeln.

Dass seine Bemühungen als Möglichmacher oft von Erfolg gekrönt waren, belegen Zahlen: Als Messinger am 1. Januar 1985 seinen Dienst bei der Erlacher Höhe antrat, arbeiteten dort 60 Beschäftigte, heute sind es 385. Aus einer lokalen Einrichtung der Wohnungslosenhilfe wurde in dieser Zeit ein professionell geführtes Sozialunternehmen mit einem Jahresumsatz von 21 Millionen Euro. Die Hilfsangebote der Erlacher Höhe erreichen täglich rund 1600 Personen. Dass so vielen Menschen in sozialen Notlagen geholfen werden kann, ist auch Messingers Verdienst, denn er weiß: „Allein mit gutem Willen kann man nichts bewegen. Dafür braucht es Geld.“

Damit kennt sich der Murrhardter aus. Nach dem Abitur studierte er Betriebswirtschaft an der Berufsakademie, den praktischen Teil der Ausbildung absolvierte er in der Lederfabrik Louis Schweizer in Murrhardt. Mit sozialen Themen kam er erst anschließend durch ein Praktikum im Backnanger Aufnahmehaus der Erlacher Höhe und seinen Zivildienst bei der Paulinenpflege in Winnenden in Berührung. Dabei lernte er auch erstmals Obdachlose näher kennen, hörte ihre Geschichten und Biografien und stellte fest, wie schnell ein Leben aus den Fugen geraten kann, etwa durch eine Trennung oder den Verlust des Arbeitsplatzes. „Das war eine prägende Erfahrung“, erinnert sich Bernd Messinger. Danach war für ihn klar, dass er sein kaufmännisches Wissen nicht für die Gewinnmaximierung eines Unternehmens einsetzen möchte, sondern um Menschen in Not zu helfen.

Die Erlacher Höhe hat heute 16 Standorte in sieben Landkreisen

Da traf es sich gut, dass Harald Huber, der damalige Leiter der Erlacher Höhe, genau zu diesem Zeitpunkt einen neuen Verwaltungsleiter suchte und dem ehemaligen Praktikanten die Stelle anbot. Für Messinger, der damals erst 24 Jahre alt war, war’s ein Sprung ins kalte Wasser, aber auch eine großartige Chance. An der Seite von Harald Huber und seit 1996 von Wolfgang Sartorius konnte er so die Entwicklung der Erlacher Höhe, die 1891 als Arbeiterkolonie gegründet wurde, mitgestalten.

Unter seiner kaufmännischen Leitung ist das Sozialunternehmen kontinuierlich gewachsen, heute ist es an 16 Standorten in sieben Landkreisen aktiv. Hinter der Expansion steckt der Gedanke, dass Wohnungslosenhilfe möglichst dezentral organisiert werden sollte: „Den Leuten soll dort geholfen werden, wo Wohnungslosigkeit entsteht, und das ist in der Regel in den Städten.“ Außerdem wurden die Hilfsangebote im Lauf der Jahrzehnte immer differenzierter. So gibt es inzwischen etwa spezielle Angebote für Frauen, wie das Haus Karla in Backnang. Seit 2005 betreibt die Erlacher Höhe auch ein eigenes Pflegeheim, damit pflegebedürftige Bewohner ihr gewohntes Umfeld nicht verlassen müssen.

Auch die sozialtherapeutischen Angebote wurden ausgebaut, denn in der Regel ist die fehlende Wohnung nicht das einzige Problem der Menschen, die zur Erlacher Höhe kommen. „Sie brauchen ein Hilfskonzept, um ihr Leben nachhaltig zu verändern“, weiß Bernd Messinger. Oft benötigen die Betroffenen auch nach ihrem stationären Aufenthalt noch Unterstützung, um in ein „normales“ Leben zurückzufinden. Dafür bietet die Erlacher Höhe 80 Plätze im ambulant betreuten Wohnen an. Das heißt, die Klienten haben ihre eigenen Wohnungen, erhalten aber weiter Unterstützung im Alltag durch sozialpädagogische Fachkräfte.

Für all diese Angebote braucht es Räume: Die passenden Immobilien zu finden oder neu bauen zu lassen, gehörte zu Bernd Messingers zentralen Aufgaben. Auch am Stammsitz in Erlach wurde regelmäßig investiert. „Als ich hier angefangen habe, haben die Bewohner noch in Vier-Bett-Zimmern gelebt“, erinnert sich der 62-Jährige. Insgesamt, so schätzt er, habe er in den 37 Berufsjahren auf der Erlacher Höhe mehr als 30 Bauprojekte betreut.

„Wohnungslosenhilfe hat keine politische Lobby“

Die Finanzierung war dabei stets eine Herausforderung, denn die öffentlichen Mittel waren und sind knapp. „Wohnungslosenhilfe hat keine politische Lobby“, beklagt Bernd Messinger. Dahinter stecke wohl oft noch die Einstellung, dass Obdachlose an ihrer Situation selbst schuld seien. Der kaufmännische Leiter hat es deshalb auch immer als seine Aufgabe gesehen, Politiker auf allen Ebenen an die Bedeutung der Hilfsangebote zu erinnern. „Wenn wir für unsere Klientel etwas erreichen wollen, reicht es nicht, wenn wir im stillen Kämmerlein unsere Arbeit machen.“

Messinger kennt die Politik aber auch von der anderen Seite: Seit mehr als 30 Jahren ist er Mitglied der Grünen, war Vorsitzender des Ortsverbands Oberes Murrtal und Stadtrat in Murrhardt. Aktuell ist er noch Mitglied des Kreistags und wird dies auch noch mindestens bis 2024 bleiben. Auch auf der Erlacher Höhe ist seine grüne Handschrift erkennbar. Stolz erzählt Messinger von der Nahwärmekonzeption, die er bereits Ende der 90er-Jahre in dem Großerlacher Ortsteil umgesetzt hat. Das Blockheizkraftwerk wird mit Holzhackschnitzeln und selbst produziertem Biogas betrieben. Die Erlacher Höhe ist dadurch fast unabhängig von fossilen Energieträgern und wurde 2012 vom Bundesumweltministerium als Bioenergiedorf ausgezeichnet.

Wenn man hört, mit welcher Begeisterung Bernd Messinger von seiner Arbeit erzählt, verwundert es fast ein wenig, dass er sich für ein Altersteilzeitmodell und damit für den vorzeitigen Ruhestand mit 62 Jahren entschieden hat. „Ich glaube, dass meine Familie durch meinen Beruf und mein ehrenamtliches Engagement teilweise zu kurz gekommen ist“, sagt er zur Begründung. Nun wolle er mehr Zeit mit seiner Frau verbringen und mit ihr die Welt bereisen. Dafür hat sich das Paar kürzlich ein gebrauchtes Wohnmobil zugelegt. Erstes Reiseziel wird Norwegen sein: Dort wohnt eine der beiden erwachsenen Töchter, die im Juni ihr erstes Kind erwartet.

Die Verbindung zur Erlacher Höhe möchte Bernd Messinger aber nicht vollständig kappen. Als ehrenamtlicher Geschäftsführer der Stiftung Lebenswert will er sich auch weiter für die Wohnungslosenhilfe engagieren. Sein Nachfolger als kaufmännischer Leiter kommt aus dem eigenen Stall: Der 38-jährige Diplom-Ökonom André Frank arbeitet bereits seit elf Jahren für die Erlacher Höhe und leitete dort bis Ende März die Abteilung Zentrale Dienste.

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Erstellt:
29. April 2022, 17:56 Uhr

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