Urteil in Kirchentellinsfurt

Der Streit am Baggersee geht in die nächste Runde

Der Bebauungsplan für den Kirchentellinsfurter Baggersee ist ungültig – und damit die Grundlage für den Kiosk eines Ehepaares. Der Nutzungskonflikt spitzt sich zu.

Vildana und Clemens Vohrer betreiben einen Kiosk am Kirchentellinsfurter Baggersee.

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Vildana und Clemens Vohrer betreiben einen Kiosk am Kirchentellinsfurter Baggersee.

Von Marie Part

„Ich wünsche das, was wir durchmachen, keinem“, sagt Clemens Vohrer. Der 37-Jährige betreibt seit fast drei Jahren gemeinsam mit seiner Frau Vildana den Kiosk „K’Ufer“ am Kirchentellinsfurter Baggersee – auch als „Epplesee“ bekannt. Doch seit einiger Zeit steht der Fortbestand des Gastronomiebetriebs auf der Kippe. „Die Situation ist so schlimm und macht so einen psychischen Druck aus, vor allem mit Kind. Das ist unglaublich“, erzählt er.

Bebauungsplan ungültig: Kiosk am Baggersee bedroht

Im Frühjahr erklärte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg den Bebauungsplan für den Kirchentellinsfurter Baggersee – und damit das Fundament für alles, was dort gebaut ist – für ungültig. Denn: Bei dem Gelände rund um den See handelt es sich um ein Landschaftsschutzgebiet, auf dem nichts hätte gebaut werden dürfen.

Geklagt hatte der Fischereiverein Reutlingen, dem der See gehört. Das Urteil ist seit dem 7. Juni rechtskräftig und stellt die Existenz des Kiosks infrage, den Vildana und Clemens Vohrer dort betreiben. Das Paar hatte in den vergangenen Jahren viel in das Projekt investiert und plante, das Angebot am See Schritt für Schritt auszubauen. So waren eine Wakeboard-Anlage – ein Seilsystem, das Sportler übers Wasser zieht – ein Stand-Up-Paddel-Verleih und eine Cocktailbar geplant. Aktuell gibt es dort einen Kiosk mit Biergarten, Sandstrand und Boccia-Bahn.

Klage des Fischereivereins Reutlingen überrascht

Die Gemeinde Kirchentellinsfurt unterstützte das Vorhaben von Clemens und Vildana Vohrer von Beginn an – ebenso wie der Fischereiverein Reutlingen, der als Eigentümer des Sees zunächst am Bebauungsplan mitwirkte. Umso größer war das Unverständnis, als der Verein später gegen eben diesen Plan klagte.

Hintergrund des Streits ist ein Konflikt über die Nutzung des Sees: Während ein Großteil unter Naturschutz steht, treffen dort unterschiedliche Interessen von Gemeinde, Fischern, Badegästen und Gastronomen aufeinander.

Halbe Million investiert – und alles steht auf dem Spiel

Damit, dass der Bebauungsplan für ungültig erklärt werden könnte, haben die Gastronomen nicht gerechnet: „Es sollte doch selbstverständlich sein, dass man sich auf eine Baufreigabe verlassen kann“, sagt Vildana Vohrer. Nach Erhalt der Baugenehmigung am See investierte das Ehepaar über eine halbe Million Euro. „Wir haben das Geld nicht auf der hohen Kante gehabt. Natürlich nimmt man Kredite auf“, erzählt die Gastronomin.

Die Unsicherheit ist jetzt groß, ebenso die Angst vor einem möglichen Rückbau – der laut ihrer Schätzung weitere 500 000 Euro kosten würde. „Wenn wir alles zurückbauen müssen, dann sieht es echt düster aus“, sagt Vildana Vohrer. Ob der Kiosk über den Sommer geöffnet bleiben kann, wisse sie nicht. „Mit zwei Kindern, Krediten und laufenden Kosten hängt hier unsere ganze Existenz dran.“

Fischereiverein verteidigt seine Interessen

Warum der Fischereiverein Reutlingen gegen den gemeinsam erarbeiteten Plan geklagt hat, erläutert deren Vorsitzender Christian Becker: „Nachdem sich das Miteinander am See nicht wie erwartet entwickelt hat und unsere Belange als Grundstückseigentümer nicht wirklich berücksichtigt wurden, haben wir uns den Bebauungsplan genauer angeschaut.“ Dem Verein sei es ein Anliegen, den See als ruhigen Naturraum zu erhalten – ohne Partyrummel und große Veranstaltungen.

Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs bringe für den Fischereiverein rechtliche Klarheit: „Das Thema Wakeboard-Anlage und Freizeitpark ist vom Tisch“, sagt der Vorsitzende Christian Becker. Die Auswirkungen des Urteils auf bereits errichtete Gebäude seien derzeit jedoch noch nicht absehbar, hier seien nun die Baubehörden der Gemeinde und des Landratsamts gefordert. Ziel des Vereins sei es nun, die eigenen Vereinsziele bestmöglich mit dem Badebetrieb in Einklang zu bringen. „Die Badegäste sind uns sehr wichtig“, betont der Verein.

Urteil liegt vor – jetzt wird über Konsequenzen gesprochen

Die Folgen des Urteils müssen nun ausgewertet werden – auch über die Anwälte der unterschiedlichen Parteien. Bernd Haug betont, wie wichtig es sei, mit allen Beteiligten ins Gespräch zu kommen – „ohne Vorwürfe, ohne Emotionen und ohne Polemik“.

Nur so sei es möglich, eine tragfähige Lösung zu erarbeiten. Ziel der Kommune sei es, eine Lösung zu finden, die den unterschiedlichen Nutzungsinteressen gerecht wird: „Unser Wunsch ist es, das zu erhalten, was bisher besteht.“

Tradition der Frühschwimmer am See

Neben den Kiosk-Besitzern, dem Fischereiverein und der Gemeinde blickt eine weitere Interessensgruppe gespannt auf die Entwicklungen am See: die Frühschwimmer. „Dabei handelt es sich um eine Gruppe von älteren Herrschaften aus Kirchentellinsfurt, die in den frühen Morgenstunden im See baden gehen“, erzählt der Bürgermeister.

Sie genießen die Gemeinschaft und die gesundheitlichen Vorteile, die das Baden im kalten Wasser mit sich bringt, so Bernd Haug. „Die Frühschwimmer gehören zum Inventar der Stadt. Sie sind der Gemeinde schon immer sehr wichtig gewesen“, erzählt er.

Frühschwimmer gegen Kommerzialisierung des Baggersees

Manfred Korn, ein ehemaliger Frühschwimmer, hegt bereits seit vielen Jahren Bedenken gegenüber der zunehmenden Kommerzialisierung des Baggersees. Als er im Mai 2022 nach einer längeren Pause wegen der niedrigen Wassertemperaturen wieder frühmorgens schwimmen wollte, wurde er erstmals mit den Veränderungen am See konfrontiert.

„Mich hat der Schlag getroffen, als ich zum ersten Mal die Bierbänke und Zelte gesehen habe“, sagt er rückblickend. Von der gewohnten Ruhe und Gemeinschaft sei nichts mehr zu spüren gewesen. Kein einziger der vertrauten Frühschwimmer war zu sehen und Korn vermutete, die Gruppe sei vertrieben worden. „Mir tut es um die Natur und meine Mitschwimmer leid. Der Baggersee ist seitdem für mich gestorben.“

Umstrittene Rolle des Kiosks für die Frühschwimmer

Auch den Fischereiverein würden immer wieder kritische Stimmen erreichen, die besagen, dass der Kiosk die Frühschwimmer am See vertreiben würde, so Christian Becker: „Sie sind eine Institution am See, und wir fänden es bedauerlich, wenn diese Tradition in Kirchentellinsfurt nicht mehr stattfinden würde.“

Diesen Vorwurf kann der Bürgermeister nicht bestätigen: „Clemens und Vildana Vohrer verstehen, wie wichtig es ist, diese Gruppe zu erhalten. Sie haben extra einen Sondertarif fürs Parken eingeführt, um die Gebühren für die Frühschwimmer gering zu halten.“ Das bestätigen die Kiosk-Besitzer: „Wir konnten uns gut mit den Frühschwimmern einigen. Sie können bei uns eine Saisonkarte für den Vormittag kaufen und bereits vor Kiosk-Eröffnung unseren Parkplatz nutzen.“

Zukunft des Kiosks unklar

Für die Zukunft zeigt sich der Bürgermeister recht zuversichtlich: „Ich denke, dass sich für die Gäste in unmittelbarer Zukunft nichts ändern wird.“ Auch für die Kiosk-Betreiber sei die Lage nicht völlig haltlos. „Die Vohrers stehen nicht im luftleeren Raum“, sagt Haug. Zwar könne sich die Situation jederzeit ändern, doch aktuell bestehen gültige Pachtverträge, die bisher nicht gekündigt wurden. Das verschafft den Kiosk-Betreibern zumindest formell eine gewisse Grundlage – auch wenn ihre Zukunft am See weiter ungewiss bleibt.

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Erstellt:
11. Juli 2025, 16:22 Uhr

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