Forschung über Rechtsextremismus
Forschen für die wehrhafte Demokratie
Das bundesweit einmalige Institut für Rechtsextremismusforschung hat in Tübingen seine Arbeit aufgenommen – mit guter Resonanz und mit Vorsicht.

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Heike Radvan und Rolf Frankenberger arbeiten im Institut für Rechtsextremismusforschung, dessen Adresse geheim ist. Foto: Christoph Link/Christoph Link
Von Christoph Link
Ziemlich gut besucht ist der Hörsaal 25 im Kupferbau der Universität Tübingen, im Durchschnitt 200 Menschen kommen jeden Mittwoch zur Ringvorlesung des zum Wintersemester in Betrieb genommen Instituts für Rechtsextremismusforschung. An diesem Abend geht es auf dem Podium um die Frage, wie Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft für die offene Gesellschaft eintreten können. Dass die von Rechtsextremen bedroht wird, ist Konsens im Saal, und Rolf Frankenberger, Geschäftsführer des Instituts, sagt, „dass wir in Tübingen eigentlich vor Bekehrten predigen“. Fünf Securitymänner in Schwarz passen auf, zu tun haben sie nichts, keine Störer, stattdessen ein braves Publikum, aber immerhin fragt ein Bürger am Ende etwas kritisch: Ob nicht zu viel „Wokeness“ den Leuten auf die Nerven gehe und den Rechtsextremen noch zulauf gebe.
Gerne gefragt werde auch, warum es kein Institut zur Islamismusforschung oder zu den Linksextremen gebe, berichtet Frankenberger. „Wir haben einen hochpolitisierten Forschungsgegenstand, aber wir sind nicht politisch, wir arbeiten streng nach wissenschaftlichen Kriterien“, ergänzt der Politologe.
Widerstandskraft der Demokratie
Dabei ist die Stoßrichtung klar. So wie manches Wirtschaftsinstitut den Kapitalismus gut findet und in seinem Sinne forscht, so hat das Institut für Rechtsextremismusforschung auch einen normativen Ansatz: Es soll die „Wurzeln und Mechanismen“ des Rechtsextremismus sowie seine Wirkungen auf die Gesellschaft verstehbar machen und vermitteln, so hat es Wissenschaftsministerin Petra Olschowski (Grüne) formuliert: „Das ist die Grundlage, um ihm gezielt entgegenwirken zu können.“
Das Institut soll die Widerstandskraft der Demokratie fördern und passend dazu findet sich auf seiner Website ein Zitat von Carlo Schmid: Es gehöre nicht zur Demokratie, dass sie selbst die Voraussetzungen für ihre Abschaffung schaffe: „Man muss auch den Mut zur Intoleranz denen gegenüber aufbringen, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie abzuschaffen.“
Seminare sind voll
Einer Empfehlung des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses folgend hatte der Landtag – mit Ausnahme der AfD – die Gründung und Finanzierung des Instituts beschlossen. Mit der Berufung von drei Professorinnen ist der Betrieb nun aufgenommen worden, für eine vierte Professur für Antisemitismusforschung läuft noch das Bewerbungsverfahren, im Oktober 2025 soll die Stelle besetzt sein. „Die Studierenden sind interessiert und dankbar, unsere Seminare sind voll“, sagt Heike Radvan, Professorin für Rechtsextremismusforschung mit den Schwerpunkten „Politische und kulturelle Bildung“, die zuvor an der Uni Cottbus-Senftenberg lehrte und 15 Jahre lang für die Amadeu-Antonio-Stiftung arbeitete.
Radvan kann exemplarisch erläutern, was Wissenschaft den „extrem Rechten“ entgegensetzen kann. Diesen Begriff benutzt das Institut, er ist weiter gefasst als Rechtsextremismus, ein justiziabler Begriff, auch vom Verfassungsschutz verwendet, der an Kriterien wie eine Ideologie der Ungleichwertigkeit von Menschen, der Idee vom Volk als homogener Einheit und einer Ablehnung der parlamentarischen Demokratie geknüpft ist. Der Begriff „extrem Rechte“ ist weniger eng, mit ihm kann das Institut auch erforschen, wie es sein kann, dass eine Partei wie die AfD in weiten Teilen der bürgerlichen Mitte Fuß fassen kann.
Schwache Zivilgesellschaft im Osten
Heike Radvan ist auf Rügen geboren, sie kennt den Osten und in einem ihrer Seminare – „Brauner Osten, demokratischer Westen?“ – geht sie auch auf Fragen ein, warum in Ostdeutschland mehr „rechts“ gewählt wird als im Westen. Eine Erklärung ist die relative Schwäche der demokratischen Zivilgesellschaft im Osten ebenso wie die mangelnde historische Aufarbeitung der NS-Zeit trotz der antifaschistischen SED-Linie. Es habe die kritischen 68er im Osten nicht gegeben, ebenso wenig wie Debatten um die Auschwitz-Prozesse oder lokale Erinnerungsarbeit wie „Grabe, wo du stehst“. Sicher spielten auch „Ungerechtigkeiten“ im Transformationsprozess der Wende eine Rolle. „Den entscheidenden Unterschied macht aber die Präsenz rechter Akteure im Osten aus“, sagt Radvan. Wie ihnen entgegenzutreten ist, hat Radvan am Vergleich von Cottbus und Eberswalde beobachtet. Beide Städte hatten mit rechter Gewalt zu tun, in Eberswalde war der Angolaner Amadeu Antonio 1990 von einem Mob zu Tode geprügelt worden. Aber in Eberswalde liefen sowohl Bürgermeister als auch Polizeipräsidentin in den Demonstrationen gegen Rechts in der ersten Reihe mit: „Sie haben deutlich gesagt, wir wollen keinen Rechtsextremismus in unserer Stadt.“ Demokratische Jugendarbeit, interkulturelle Projekte und Bildung seien in Eberswalde gefördert worden – mit Erfolg. In Cottbus gab es ähnliche Versuche, nach rechten Mobilisierungen seit 2015 setzte sich jedoch ein „verständnisvoller Umgang“ durch. Die Abhaltung von Bürgerdialogen in Stadtteilen – grundsätzlich eine gute Sache – sei von „Verständnis“ geprägt gewesen, selbst als Verschwörungstheorien, kamen oder rassistische und antisemitische Äußerungen. Dort lief es falsch. Am Ende habe die AfD frohlocken können, ja, man wisse die Antwort auf die aufgeworfenen Fragen. „Der Kampf gegen Rechtsextremismus braucht eine klare Positionierung der politischen Akteure“, glaubt Radvan.
Respektvoller Umgang mit Kindern
Die Arbeit fängt schon im Kleinen an. Von Hause aus ist Radvan Erziehungswissenschaftlerin, in Seminaren beleuchtet sie die Frühpädagogik und die Jugendarbeit sowie deren Probleme mit der extremen Rechte. In einigen ostdeutschen Ländern habe man es mit Siedlungen „völkischer Familien“ zu tun, die den Kindern oft ein geschlossenes Weltbild vermitteln und da komme es vor, dass ein Youngster in der Kita Hakenkreuze male. Zunächst mal gehe es um „Wahrnehmungsschulung“ und „Analysefähigkeit“ des Kita-Personals, sagt Radvan. Da die rechten Familien oft autoritär geprägt seien, könnten die Kitas ein Gegenmodell setzen. „Der dialogische, respektvolle Umgang in der Kita, das Kind ernst nehmen, es selbst entscheiden lassen, nicht moralisieren: Das sind Dinge, mit denen die Kinder andere Erfahrungen machen“, so Radvan. Ebenso wichtig sei der Schutz eines von Ausgrenzung betroffenen Kindes. Hinzu komme eine Diversitätspädagogik, die auf die Vielfalt der Welt eingehe. Von älteren Aussteigerinnen aus der rechten Szene, so Radvan, habe man gehört, wie gut ein respektvoller Umgang mit Kindern wirke, kombiniert mit „inhaltlichem Gegenhalten“.
Institut mit geheimer Adresse
Die zwei Professorinnenkolleginnen von Radvan – Leonie de Jonge aus den Niederlanden sowie Annett Heft aus Berlin – befassen sich mit rechtsextremen Parteien und wie rechtes Gedankengut in die Alltagskultur einsickert sowie mit den Rechten und ihrer Präsenz in den digitalen Medien. Man habe in Tübingen keine konkreten Anfeindungen erlebt, sagt Dr. Frankenberger, aber eine der Professorinnen habe einst eine Morddrohung erhalten. Aus vorbeugendem Schutz verzichtet das Institut auf ein Schild und hält seine Adresse geheim.
Institut und Mensch
EinmaligDas mit vier Professorenstellen ausgestattete Institut zur Rechtsextremismusforschung an der Uni Tübingen ist das erste universitäre Einrichtung dieser Art in Deutschland. Im Jahr 2023 ist das IRex gegründet worden, zum Wintersemester 2024/25 ging es an den Start. Eine Politologin, eine Medienwissenschaftlerin und eine Erziehungswissenschaftlerin sind bereits berufen, eine vierte Stelle wird noch besetzt zum Thema Antisemitismus.
PolitisiertInteressant ist, wie die Forscherin Heike Radvan zu ihrem Thema kam. Sie war 1992 als Au-Pair in den USA in einer deutschen Gastfamilie. „Da liefen im Fernsehen live Bilder vom Pogrom in Rostock“, erzählt Radvan. Ihr Gastvater fragte sie, wie das passieren könne, da sei doch mal ein antifaschistischer Staat gewesen. Radvan: „Es waren bedrückende Bilder, ich hatte keine Antwort, aber das hat mich politisiert.“ (chl)