Folgen des Klimawandels
Die Energiebilanz der Erde ist aus dem Gleichgewicht
Die Strahlungsbilanz der Erde gerät immer stärker aus dem Gleichgewicht. Unser Planet nimmt mehr Energie auf als er abgibt. Das hat vor allem mit dem Klimawandel zu tun.

© Imago/Jan Eifert
Die Menschheit hat die Energiebalance der Erde nachhaltig verändert. Satellitendaten belegen, dass die Erde inzwischen mehr Energie aufnimmt als sie abgibt.
Von Markus Brauer
Das Klima der Erde basiert auf einem empfindlichen Gleichgewicht von Energieaufnahme und -abgabe. Die einfallende Sonnenstrahlung liefert Energie und Wärme, überschüssige Energie wird als Wärmestrahlung zurück ins All abgegeben. Ist beides im Gleichgewicht, bleibt das Klima stabil
Wie Strahlung absorbiert und reflektiert wird
Wie viel Strahlung absorbiert oder reflektiert wird, ist jedoch von zahlreichen Faktoren abhängig, darunter vom Treibhauseffekt und den Aerosolen in der Atmosphäre, von der Albedo – dem Rückstrahlvermögen von reflektierenden Oberflächen – der Eisflächen oder auch der Pufferwirkung der Ozeane.
Die Menschheit hat die Energiebalance des Blauen Planeten allerdings nachhaltig verändert. Satellitendaten belegen, dass die Erde inzwischen mehr Energie aufnimmt als sie abgibt. Die irdische Strahlungsbilanz ist also aus dem Gleichgewicht geraten. Die Folge ist der immer schneller fortschreitende Klimawandel.
Energiebalance des Planeten verschiebt sich
Das Ausmaß der verschobenen Energiebilanz gibt Klimaforschern jedoch Rätsel auf. „Besorgniserregend ist, dass das beobachtete Energieungleichgewicht viel schneller ansteigt als erwartet“, berichten Thorsten Mauritsen von der Universität Stockholm und seine Kollegen.
Im Jahr 2023 erreichte der irdische Energieüberschuss einen Wert von 1,8 Watt pro Quadratmeter. „Das ist doppelt so viel wie von Klimamodellen und dem IPCC vorhergesagt“, schreiben die Forscher im Fachjournal „AGU Advances“.
Earth's Energy Imbalance More Than Doubled in Recent Decades - Mauritsen - 2025 - AGU Advances - Wiley Online Library https://t.co/kAuvqxhceqpic.twitter.com/VuVbHanE3u — fusion (@__fusion) May 12, 2025
Erde wird immer dunkler
„Aktuelle globale Klimamodelle können schon die Änderungsrate bis 2020 nur knapp reproduzieren“, erklären die Forscher. „Der weitere Anstieg des Ungleichgewichts seit 2020 lässt kaum Zweifel daran, dass das reale Weltgeschehen die Schwankungen innerhalb der Modellvariabilität weit überschritten hat.“
Was sind die Gründe für diesen raschen Wandel? „Die grundlegende Ursache für diese Diskrepanz zwischen den Modellen und Beobachtungen ist noch nicht geklärt“, konstatieren die Klimaforscher.
Messungen zeigen, dass die Erde in den letzten rund 20 Jahren zunehmend dunkler geworden ist. Sie reflektiert immer weniger Sonneneinstrahlung zurück ins Weltall. 2023 war die irdische Albedo so gering wie noch nie zuvor gemessen, wie Klimaforscher um Helge Gößling vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) 2024 im Fachmagazin „Nature“ berichteten.
Polare Eisfläche schwindet immer stärker
Als Grund für das Dunkler werden unseres Planeten identifizierten Gößling und sein Team vor allem zwei Faktoren:
- Der erste Faktor ist das Schrumpfen der polaren Eisflächen wie des arktischen Meereises. Dies hat 2023 rund 15 Prozent zur verringerten Rückstrahlung der Erde beigetragen.
- Weit stärker wirkt sich jedoch der zweite Faktor aus: ein Rückgang von hellen, tiefhängenden Wolken über den Ozeanen. Sie reflektieren bisher bis zu 60 Prozent des kurzwelligen Sonnenlichts ins All. „Gibt es jedoch weniger niedrigere Wolken, verlieren wir den Kühleffekt, es wird wärmer“, erklärt Gößling.
Meereswolken zerfallen schneller
Das Verschwinden der Meereswolken zeigt sich vor allem in den Meeresgebieten der mittleren Breiten und der Tropen. Auch der Atlantik ist betroffen.
„Auffallend ist, dass der östliche Nordatlantik nicht nur 2023 einen deutlichen Rückgang von niedrigen Wolken verzeichnete, sondern schon in den letzten zehn Jahren – wie fast der gesamte Atlantik“, stellt Gößling fest. Analysen zufolge könnte sich dieser Wolkenverlust mit zunehmender Erwärmung weiter verstärken.
Und noch ein Effekt kommt hinzu: Auch der Klimawandel und die damit verbundenen Veränderungen von Temperaturen, Luftströmungen und Feuchtigkeit der Atmosphäre beeinträchtigen die Meereswolken. Als Folge zerfallen die hellen, tiefen Wolken schneller.
Weniger niedrige Wolken bedeutet weniger Kühlung
Hohe Wolken kühlen die Erde, weil sie an der Oberseite Sonnenlicht reflektieren. Sie erzeugen aber auch einen wärmenden Effekt, weil sie von der Erde abgestrahlte Wärme in der Atmosphäre halten.
Bei niedrigen Wolken fehlt der Wärmeeffekt weitestgehend. „Gibt es weniger niedrigere Wolken, verlieren wir nur den Kühleffekt, es wird also wärmer“, erklärt Gößling. Für das vergangene Jahr zeigten Satellitenaufzeichnungen den niedrigsten Wert für niedrige Wolken seit dem Jahr 2000 an.
Der Rückgang tief hängender Wolken war in den Tropen und in den mittleren Breiten der nördlichen Erdhalbkugel besonders ausgeprägt. „Auffallend ist, dass der östliche Nordatlantik, der einer der Haupttreiber für den jüngsten Anstieg der globalen Mitteltemperatur ist, nicht nur 2023 einen deutlichen Rückgang von niedrigen Wolken verzeichnete, sondern – wie fast der gesamte Atlantik – bereits in den letzten zehn Jahren“, erläutert Gößling. 2023 zeigte sich also eine extreme Ausprägung eines mehrjährigen Trends.
Gibt es weniger Wolken aufgrund des Klimawandels?
Die Forscher um Gößling vermuten zudem , dass der Klimawandel selbst erheblich zur Reduzierung niedriger Wolken beitragen könnte. Die Forscher verweisen auf Studien, die gezeigt haben, dass die Erwärmung der Meeresoberfläche die niedrige Wolkenbedeckung verringern kann.
„Sofern hinter dem Albedo-Rückgang eine verstärkende Rückkopplung zwischen Erderwärmung und Wolken steckt, wie auch einige Klimamodelle nahelegen, müssen wir mit einer recht starken zukünftigen Erwärmung rechnen“, betont Gößling. Die Erde könnte deshalb einer globalen Erderwärmung von mehr als 1,5 Grad bereits näher sein als bislang gedacht.
Klimaforschung ist in Gefahr
In den nächsten Jahren laufen mehrere Satellitenmissionen aus, welche die irdische Strahlungsbilanz überwachen. Ein dafür wichtiges Instrument auf der internationalen Raumstation soll dieses Jahr ersetzt werden, der Ersatz hat aber auch nur eine geplante Missionsdauer von drei Jahren. Dadurch könnten fatale Lücken in unserer Erdbeobachtung aufreißen, warnt das Team. Hinzu kommt, dass die US-Regierung unter Präsident Donald Trump Gelder und Stellen für die Klimaforschung streicht.
„Wir müssen sicherstellen, dass wir auch in Zukunft diesen fundamentalen Wandel im Klimazustand der Erde überwachen können“, mahnen die Forscher. Nur so könne man die komplexen Faktoren und Wechselwirkungen entschlüsseln, welche die Energiebilanz der Erde beeinflussen.