Die Kleinsten in Bewegung bringen

Die bereits im Jahr 2019 beschlossene Einführung des sogenannten Bewegungspasses soll nun auch im Rems-Murr-Kreis endlich durchstarten. Kerngedanke des Projekts ist es, in den Kindertageseinrichtungen im Kreis die Freude an gesunder Bewegung zu fördern.

In der Kindertagesstätte Heininger Weg in Backnang ist die Freude an der Bewegung schon zu erkennen. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

In der Kindertagesstätte Heininger Weg in Backnang ist die Freude an der Bewegung schon zu erkennen. Foto: Alexander Becher

Von Simone Schneider-Seebeck

Rems-Murr. Das Konzept des Bewegungspasses ist in Stuttgart vom Amt für Sport und Bewegung zusammen mit pädagogischen Fachkräften entwickelt worden und ist dort bereits seit 2015 im Einsatz. Mittlerweile nutzen 398 von 567 Kindertagesstätten in der Landeshauptstadt das Konzept. Seit 2019 wird es auf ganz Baden-Württemberg ausgeweitet, unterstützt von der Krankenkasse AOK. Aktuell sind 25 Landkreise dabei. Im Rahmen der kommunalen Gesundheitskonferenz des Rems-Murr-Kreises wurde ebenfalls bereits 2019 beschlossen, den Bewegungspass hier im Kreis zu etablieren. Aufgrund von Corona kam es zu Verzögerungen, doch jetzt ist das Projekt am Start. Das Ziel ist es, bis zum 31. Dezember 2027 etwa die Hälfte der Kindertagesstätten und Sportvereine zu zertifizieren. Die erste Zertifizierungsveranstaltung fand bereits am 3. April mit insgesamt 27 Teilnehmerinnen aus 19 Einrichtungen und zwei Sportvereinen statt. Ein voller Erfolg, wie Ina Bauerschmidt vom Gesundheitsamt des Kreises betonte. Erfreulicherweise habe es für die Teilnehmenden viele neue Informationen zum Thema Bewegung gegeben, das Interesse daran sei sehr groß gewesen. Doch den größten Teil der Veranstaltung hatte die Praxisphase eingenommen, denn: „Es geht auch viel ums Mitmachen.“

Grundstein für lebenslange Gesundheit

Als erste Einrichtung kommt nun die Kindertagesstätte Heininger Weg in Backnang in den Genuss des Präventionsprojekts. „Oberbürgermeister Friedrich übernimmt hier die Vorreiterrolle im Kreis“, so Landrat Richard Sigel bei der Einführungsveranstaltung in der Pilotkita. „Jetzt endlich starten wir mit einem weiteren Baustein, um die Motorik der Kinder zu schulen“, führte er weiter aus. Die Voraussetzungen für das Pilotprojekt im Kreis seien hier sehr gut, da die Stadt Backnang bereits viel in den Bereich Bewegung investiere.

„Der Bewegungspass ist mehr als nur ein Programm – er ist ein Versprechen an unsere Kinder“, so Oberbürgermeister Maximilian Friedrich, dem nicht nur als Stadtoberhaupt, sondern auch als zweifacher Vater das Wohl der Kinder besonders am Herzen liege. „Durch die gezielte Integration von Bewegung in den Kitaalltag schaffen wir nicht nur eine spielerische Lernumgebung, sondern wir legen auch den Grundstein für lebenslange Gesundheit und Wohlbefinden.“ Ganz abgesehen davon, dass Sport nicht nur der Gesundheit zuträglich sei, sondern auch eine integrative Wirkung habe und somit „ein maßgeblicher Schlüssel für die Zukunft unserer Gesellschaft“ sei.

Dass Bewegung uns von frühester Kindheit an antreibt, erläuterte Franziska Borst vom Stuttgarter Amt für Bewegung und Sport sehr anschaulich. So betonte sie etwa, dass es vom Beginn des Laufenlernens an etwa sechs Jahre dauere, bis ein Kind richtig laufen könne. Doch dieser natürliche Drang nach Bewegung passe oft nicht in den familiären Alltag. Mobilitätsbeschränkungen seien die Folge. Dabei brauche ein Kind sehr viel Bewegung, um sich gesund entwickeln zu können. Die Bewegungszeit nehme zudem kontinuierlich ab, je älter ein Kind werde. Für manche der Anwesenden mag es zudem erschreckend gewesen sein – mit etwa 25 Jahren ist der Höhepunkt des motorischen Potenzials erreicht, „danach geht es abwärts“, erklärte Franziska Borst, jedoch mit einem Augenzwinkern. Dabei diene stetige Bewegung der Erhaltung der Funktionalität und sorge im Alter für eine längere Selbstständigkeit. Somit komme heutzutage der Kindertagesstätte darüber hinaus eine wichtige Bedeutung auch für das spätere Leben zu, denn je früher man mit der Bewegungsförderung beginne, desto stärker sei die lebenslange Freude an Bewegung ausgeprägt.

Weitere Themen

Dabei stehe beim Bewegungspass die spielerische Vermittlung, der Spaß an Bewegung, im Mittelpunkt, wovon sich die Anwesenden auch selbst überzeugen konnten. Denn fünf mutige Jungs und Mädchen trauten sich zu, nach kurzer Erklärung durch die Erzieherin eine der angebotenen Übungen in zwei Schwierigkeitsstufen durchzuführen. Von Nervosität war dabei kaum etwas zu spüren, im Gegenteil. Die Känguruübung machte sichtlich Spaß, wie die strahlenden Gesichter zeigten. Vor allem, weil es dafür gleich die ersten Drachenaufkleber gab.

Das Chamäleon ist der Joker

Der Bewegungspass selbst ist ein kleines Büchlein, in dem insgesamt 32 Basisfertigkeiten in Bezug auf Bewegung und Koordination aufgeführt sind. Wegbegleiter sind passende Tiere, etwa eine Schlange, ein Krebs, ein Eichhörnchen oder eben auch das Känguru. Für erfolgreich ausgeführte Übungen bekommt das Kind einen Drachensticker, doch: „Kein Kind kann alles“, betont Borst, daher kann als Joker auch einmal das Chamäleon einspringen. Das Projekt soll über die ganze Kindergartenzeit laufen, alle zehn Wochen ist dabei eine „Drachenstunde“ eingeplant, in der Übungen absolviert werden können. Zur Vorbereitung darauf gibt eine Spielesammlung Ideen, doch auch eigene Ideen und Methoden zur Vermittlung der motorischen Fertigkeiten dürfen genutzt werden. Zudem wird das Konzept ständig weiterentwickelt. Beispielsweise gibt es passend zur Fußball-Europameisterschaft eine Fußballedition, auch Yogakarten sind in Arbeit. Denn auch Entspannung ist für Kinder wichtig.

Wie notwendig ein solches Bewegungskonzept bereits im Kindergartenalter ist, machte der stellvertretende Geschäftsführer der AOK Ludwigsburg-Rems-Murr, Jörg Schmautz, klar: „Knapp 600 AOK-versicherte Kinder im Kreis leiden an Adipositas – davon allein 111 unter vier Jahren.“ Insgesamt 50000 Euro stellt die AOK für das Projekt zur Verfügung, die Stiftung der Kreissparkasse beteiligt sich mit 20000 Euro. „Wir freuen uns sehr, dass es gelungen ist, den Bewegungspass nun auch im Rems-Murr-Kreis zu verankern“, so Turngaupräsidentin Gislind Gruber-Seibold. Sportkreispräsident Reinhold Sczuka ergänzt: „Durch Sport und körperliche Aktivität können Kinder spielerisch die Welt erkunden und verstehen.“

Informationen rund um den Bewegungspass

Idee Kindertageseinrichtungen spielen in der Bewegungsförderung eine entscheidende Rolle. Da ein Großteil der Kinder in Baden-Württemberg eine Kita besucht, werden durch die Kitabetreuung besonders viele Kinder erreicht. Außerdem verfügen Kitas über ein Spielgelände, das zu Bewegung animiert. Der Bewegungspass ermöglicht pädagogischen Fachkräften, Bewegungsförderung gezielt, spielerisch und ohne Zusatzaufwand in ihren Kitaalltag zu integrieren. Entwickelt wurde er unter Berücksichtigung des Orientierungsplans Baden-Württemberg und bestehender Bildungskonzeptionen. Grundannahme ist, dass Kinder die Welt durch Bewegung spielerisch erkunden und begreifen. Der Bewegungspass berücksichtigt die individuellen Stärken eines jeden Kindes und lässt Kitas pädagogischen Freiraum in der Umsetzung. Weitere Infos inklusive Übungen und Spielesammlung zum Download unter www.bewegungspass-bw.de.

Zertifizierung Im Rems-Murr-Kreis gibt es bereits drei ausgebildete Multiplikatorinnen, die wiederum pädagogische Fachkräfte und Übungsleiter aus Kitas, Kindergärten und Vereinen in eintägigen Schulungen zertifizieren. Die nächste Zertifizierungsveranstaltung findet am 9. November in Rudersberg statt, Schwerpunkt sind hierbei Sportvereine. Die zertifizierten Personen multiplizieren die Inhalte innerhalb der Vereine und Einrichtungen. Den Vereinen und Einrichtungen entstehen dadurch keine Kosten, die Koordination des Projekts liegt bei Projektleiterin Ina Bauerschmidt vom Gesundheitsamt Waiblingen.

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Erstellt:
23. April 2024, 06:00 Uhr

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