Neu im Kino: „One To One“
Die Politik von Lennon und Ono
Der Dokumentarfilm „One To One – John & Joko“ beschränkt sich auf die Zeit, als das berühmte Künstlerpaar in den USA einiges auf die Beine stellte, um politisch Einfluss zu nehmen.

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Eine große Liebe: Joko Ono und John Lennon
Von Martin Schwickert
Das Apartment im New Yorker Greenwich Village ist klein, gemütlich und ein wenig unaufgeräumt. Auf dem Boden liegt ein Gitarrenkoffer, in der Mitte des Zimmers steht ein großes, weiches Bett und davor auf einem Hocker ein altes TV-Röhrengerät. Das Bett, der Raum, der Fernseher sind der Lebensmittelpunkt eines der bekanntesten Paare der Musikgeschichte:
John Lennon und Yoko Ono ziehen nach der Auflösung der Beatles im Herbst 1971 nach New York, um der Hetze der britischen Medien und aufgewühlten Fans zu entgehen und in den USA ein neues Leben anzufangen. Achtzehn Monate verbringen sie in dem bescheidenen Apartment in der 105 Bank Street – und genau diesen schmalen, biografischen Ausschnitt wählt Kevin Macdonald für seine Dokumentation „One To One – John & Yoko“. Wie schon zuvor in seinen Musikporträts zu Bob Marley (2012) und Whitney Houston (2018) arbeitet er auch hier ausschließlich mit Archivmaterial und verzichtet auf jegliche Kommentierung.
Als Erzählwerkzeug nutzt er den alten Fernseher. Denn John Lennon und Yoko Ono wurden nach ihrer Ankunft in den USA zu bekennenden TV-Fans. Während in Großbritannien – wie zumeist in Europa – damals nur wenige öffentlich-rechtliche Programme zu sehen waren, sendeten die zahlreichen, privaten US-Fernsehstationen rund um die Uhr.
Als „Fenster zur Welt“ lobt Lennon das dortige TV-Programm, durch welches die beiden vom Bett aus in die amerikanische Kultur eintauchen. In seiner Doku zappt sich Macdonald mit dem Programmwahlknopf des Röhrengerätes durch die Kultur-und Zeitgeschichte des Jahres 1971, die das seinerzeit einflussreichste Paar der Popkultur nicht nur musikalisch, sondern auch politisch mitgestalten wollte. Als authentische Quelle dienen hier vor allem auch zahlreiche Telefongespräche, die Lennon und Ono damals selbst aufgezeichnet haben.
Munter ließen sie sich auch in zahlreiche Talkshows einladen, gaben Auskunft über ihre Ehe, künstlerische Ambitionen und vor allem über ihre politischen Anliegen. Es ist die Zeit des Vietnamkrieges, der bevorstehenden Wiederwahl Robert Nixons, des Watergate-Skandals, der schwarzen Bürgerrechtsbewegung und einer breiten Protestkultur, die sich gegen den reaktionären Status quo des Landes zur Wehr setzt.
Zu dieser Bewegung fühlen sich Lennon und Ono explizit zugehörig und das entgeht auch nicht den Behörden, die mit der Abschiebung des britischen Staatsbürgers drohen. Das Paar nutzt davon unbeeindruckt seine Prominenz, um politischen Aktivisten wie Jerry Rubin, Abbie Hoffman und Allen Ginsberg Gehör zu verschaffen und nimmt selbst an politischen Aktionen teil. Der Auftritt Lennons auf einer Demonstration zur Freilassung John Sinclairs, der wegen zwei Joints zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde, trug entscheidend zum Erfolg der Kampagne bei.
Die brutale Niederschlagung eines Gefängnisaufstandes in Attica schockiert Lennon und Ono genauso wie eine Reportage über ein Behindertenheim in Willowbrook, wo mehr als 5000 Patienten, darunter zahlreiche Kinder, unter widrigsten Umständen eingepfercht sind. Von der Betroffenheit zur politischen Aktion ist es ein kurzer Weg. Lennon organisiert ein Fest für die Kinder im Central Park und ein Benefizkonzert zur Unterstützung der Betroffenen im Madison Square Garden, das 1,5 Millionen Dollar einspielt.
Dieses „One To One“-Konzert ist das erste und einzige abendfüllende Konzert, das Lennon nach der Auflösung der Beatles gegeben hat. Ein musikgeschichtliches Juwel, dessen Mitschnitte Macdonald immer wieder ins Zentrum rückt. Songs wie „Imagine,“ „Instant Karma“, „Mother“ und eine Neuversion von „Come Together“ werden hier in ganzer Konzertlänge gezeigt – und bekommen eine ganz neue Intensität, weil Macdonald zuvor deren persönlichen und politischen Kontext exemplifiziert hat. Er zeigt das Bild eines Künstlerpaares, das sich von den Unmenschlichkeiten seiner Zeit berühren ließ, um aus der Betroffenheit heraus in die direkte politische Aktion gehen.
Gebührenden Raum räumt der Film Yoko Ono ein, die lange Zeit als Beatles- Zerstörerin gemobbt wurde und sowohl neben als auch mit Lennon ihre künstlerische Kraft zum Ausdruck bringt. Gemeinsam ist beiden die traumatische Verlusterfahrungen. Lennon wuchs weitgehend ohne seine Mutter auf, Ono wiederum wurde in einem Scheidungsprozess das Sorgerecht für ihre Tochter entzogen, deren Vater das Kind in einer isolierte christliche Gemeinschaft entführte.
Mit „One To One – John & Yoko“ gelingt es Kevin Macdonald diskrete Schlaglichter auf das Privatleben des Paares zu werfen und diese mit dessen künstlerischem Schaffen und einer genauen Zeitgeiststudie zu verbinden. Dabei bleibt Macdonald immer auf Augenhöhe zu den zeitgeschichtlichen Ereignissen, ohne sie rückblickend einzuordnen. Wie groß Lennons und Onos Einfluss auf das politische Geschehen in den USA tatsächlich war, kann und will der Film nicht beantworten.
One To One – John & Yoko. USA 2024. Regie: Kevin Macdonald. 101 Minuten.