Ehemalige Sachbearbeiterin packt aus

Zwei Dachdeckermeister wegen Insolvenzverschleppung und Betrug verurteilt – Zehn Monate auf Bewährung

Horrende Schulden sind aufgelaufen, die Geschäftsführer einer Dachdecker-Firma haben sich nicht adäquat darum gekümmert, so das Gericht. Symbolfoto: okanakdeniz - stock.adobe.

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Horrende Schulden sind aufgelaufen, die Geschäftsführer einer Dachdecker-Firma haben sich nicht adäquat darum gekümmert, so das Gericht. Symbolfoto: okanakdeniz - stock.adobe.

Von Hans-Christoph Werner

BACKNANG. Zweiter Verhandlungstag in dem Verfahren gegen zwei Dachdeckermeister. Von der Verteidigung waren zwei weitere Zeugen beantragt worden. Der eine ein Rechtsanwalt, der für die Backnanger Firma in bau- und arbeitsrechtlichen Fragen tätig war. Von ihm war am ersten Verhandlungstag eine Mail vom Dezember 2015 aufgetaucht (wir berichteten), in der er einen Insolvenzantrag erwog. Die Angeklagten hatten angegeben, von dieser Mail keine Kenntnis erhalten zu haben. Auch wenn Rechtsanwalt und die beiden Geschäftsführer immer wieder miteinander telefonierten oder sich bei der Bilanzbesprechung sahen, die Überlegungen des Rechtsanwalts waren kein Thema.

Als von einer kooperierenden Firma 300000 Euro, von einer weiteren Firma 100000 Euro an Forderungen bei dem Dachdeckerbetrieb geltend gemacht wurden, hätten die Geschäftsführer, so der Jurist, angegeben, sie würden das regeln. Also auch für den Rechtsanwalt kein Anlass mehr, nachzufragen. Die Verteidiger der beiden Angeklagten befragen den Zeugen eindringlich. Aber wenn’s konkret wird, hat dieser entweder die Unterlagen nicht dabei, kann sich nicht mehr erinnern oder bleibt in seinen Antworten vage. Über Gespräche eine Aktennotiz anzufertigen, so gibt er freimütig zu, praktiziere er nicht. Eine weitere Zeugin, Bürokauffrau, die in dem Dachdeckerbetrieb als Sachbearbeiterin fungierte, ist da weitaus auskunftsfreudiger. Sie hat sich ausgiebig vorbereitet und entsprechende Unterlagen dabei, die sie dem Gericht vorlegt. Sie leitete alle Belege an die Steuerberaterin weiter. Letztere müsste alles im Blick gehabt haben. Aber sie steht für das Gerichtsverfahren nicht zur Verfügung. Sie hat sich auf ihr Auskunftsverweigerungsrecht berufen.

Allerdings hat die Sachbearbeiterin dann doch recht viel mitbekommen. Im Mai 2015 meldet sie per Mail den Geschäftsführern, dass man einen Verlust von 200000 Euro eingefahren habe. Zwei Monate steigert sich der Verlust gar auf eine halbe Million, im September hat er die Millionengrenze überschritten. Am besten wäre es demzufolge gewesen, wenn die Sachbearbeiterin und die beiden Geschäftsführer sich miteinander an einen Tisch gesetzt und alles miteinander besprochen hätten. Aber das tat man nicht, schon seit zwei Jahren. Für die Sachbearbeiterin kam noch hinzu, dass ihr aus einem Privatdarlehen an die Firma noch 163000 Euro zustanden. Das sah sie nun auch dahinschwinden. Weiter gibt sie an, dass man in der Firma 2008 ein Computerprogramm eingeführt habe, das automatisch ausrechnete, was an Arbeitsstunden und Material aufgewendet werden müsste, damit die Firma Gewinn einfahre. Danach hätten sich die Geschäftsführer richten können.

Die Verteidiger der Angeklagten sind überrascht von der Aussagenfülle der Zeugin und erbitten sich eine Pause, um die neuen Informationen mit ihren Mandanten zu besprechen. Schließlich stellen sie einen weiteren Beweisantrag, ein Gutachter soll zu diesen Einzelheiten gehört werden. Die Richterin unterbricht erneut, sie will den Beweisantrag beraten. Sie lehnt ihn schließlich ab.

In ihrem Schlussplädoyer sieht die Staatsanwältin die Anklageschrift bestätigt. Zu dem Zeitpunkt, da sich die Dachdeckerfirma mit den Forderungen anderer Firmen über insgesamt 400000 Euro konfrontiert sah, hätten die Geschäftsführer reagieren müssen. Aber sie ließen weitere zehn Monate verstreichen. Damit sei ein Schaden von insgesamt drei Millionen Euro entstanden. Sie fordert für beide Angeklagte 14 Monate Gefängnis auf Bewährung.

Die Verteidiger der Angeklagten sehen die Sache anders. Die Gläubiger-Firmen hätten ihre Forderungen nicht ernstlich betrieben, insbesondere keine Pfändungen beantragt, was aufgrund der langen Geschäftsbeziehungen durchaus verständlich ist. Schließlich treibt man sich nicht gegenseitig in den Ruin. So wurden Ratenzahlungen oder ausgedehnte Zahlungsziele gewährt. Weiter habe die Firma die Löhne an die Mitarbeiter und alle Sozialabgaben bis zuletzt gezahlt. Selbst der Insolvenzverwalter habe am ersten Verhandlungstag angegeben, dass eine Chance bestanden hätte, die Firma weiter zu führen. Eine Grundlage, ihren Mandanten Insolvenzverschleppung vorzuwerfen, fehle also. Sie seien deshalb freizusprechen.

Die Richterin sah die Sache anders. Wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung und Betrug verhängte sie eine Strafe von zehn Monaten auf Bewährung. Die beiden Angeklagten hätten von der finanziellen Lage der Firma gewusst. Wohl seien mit den Gläubiger-Firmen Vereinbarungen zum Beispiel bezüglich Ratenzahlung getroffen worden. Aber schon diese Ratenzahlungen wurden nur unvollständig oder gar nicht geleistet. Die beiden Geschäftsführer hätten davon gewusst und sich somit vorsätzlicher Insolvenzverschleppung schuldig gemacht.

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Erstellt:
25. Februar 2020, 11:30 Uhr

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