Ein Schlafplatz für die Pilger

Vor 20 Jahren wurde der Jakobsweg eröffnet, der auch durch Murrhardt und Backnang führt. Zwei Frauen berichten von ihren Erfahrungen, ihr Zuhause den Pilgern zur Übernachtung anzubieten. Sie sind schon den unterschiedlichsten Menschen begegnet.

Die Murrhardterin Pia Dahlinger schaut in eines der zwei Bücher, in die sie ihre Pilgergäste hineinschreiben lässt. Viele Menschen schicken ihr auch später noch Postkarten, etwa wenn sie in Santiago angekommen sind. Fotos: Stefan Bossow

© Stefan Bossow

Die Murrhardterin Pia Dahlinger schaut in eines der zwei Bücher, in die sie ihre Pilgergäste hineinschreiben lässt. Viele Menschen schicken ihr auch später noch Postkarten, etwa wenn sie in Santiago angekommen sind. Fotos: Stefan Bossow

Von Anja La Roche

Rems-Murr. Am 20. August 2005 hat Pia Dahlinger ihre ersten Pilgergäste empfangen. Die Murrhardterin ist damit eine der Ersten, die den Pilgern entlang des 2004 eröffneten Jakobswegs von Rothenburg ob der Tauber nach Rottenburg am Neckar einen Schlafplatz in ihrem privaten Heim anbietet. „Das ist eine große Bereicherung für mein Leben“, sagt die 65-Jährige. Rund zehn bis 20 Personen im Jahr kommen bei ihr vorbei. Sie berichtet von zahlreichen netten Abenden mit den Gästen. Zu manchen hat sie noch Jahre später Kontakt.

In ihrem Haus, das sie derzeit mit fünf Mitbewohnern teilt, hat sie ein Matratzenlager im Keller hergerichtet. Auch ein Doppelbett im Gästezimmer steht bereit. Manche der Pilger schlagen aber auch ein Zelt im Garten auf. Wenn Dahlinger auf der Arbeit ist, empfangen ihre Mitbewohner die Wanderer. Hat jemand angerufen und um eine Unterkunft gebeten, beziehen sie die Matratzen frisch und kaufen, falls gewünscht, etwas mehr Essen ein.

Im Keller hat Pia Dahlinger einen gemütlichen Schlafplatz für Pilger hergerichtet.

© Stefan Bossow

Im Keller hat Pia Dahlinger einen gemütlichen Schlafplatz für Pilger hergerichtet.

„Es geht um einfache Dinge, ein Bett, Wasser, Gespräche“, erzählt Dahlinger. Manche wollen gar nicht reden und sitzen nur im Garten, andere tauschen sich gerne aus. So zum Beispiel ein Kriminalkommissar, der noch bis tief in die Nacht mit einem der Hausbewohner am Feuer saß. Oder eine Frau, die von ihrer tiefen Lebenskrise erzählte und sich Jahre später wieder meldete: Die Gespräche in dieser Zeit des Umbruchs seien enorm wichtig für sie gewesen. „Das ist so bei allen Menschen, die diesen Weg gehen. Dass sie Begegnungen haben, die ihnen einen Impuls geben“, sagt Dahlinger, die einst selbst bis zur Schweizer Grenze gepilgert ist. Denn den Jakobsweg laufe man nicht einfach so, die Menschen würden vielmehr mit einem erhöhten Bewusstsein loswandern. Zum Beispiel, weil sie sich nach dem Renteneintritt neu orientieren wollen. Oder weil sie ihren Lebensstil oder ihren Beruf infrage stellen. Hinzu kommt die religiöse Bedeutung. „Jesus war auch unterwegs und hat seine Botschaft hinterlassen“, sagt Dahlinger.

Privatquartiere, Herbergen und mehr

Etwa 120 Kontakte sind auf dem rund 200 Kilometer langen Weg im Online-Verzeichnis eingetragen. Dort können sich die Wanderer melden, wenn sie eine Unterkunft benötigen. Von Murrhardt bis Winnenden sind es 17 Kontakte beziehungsweise Unterkünfte. Bei einigen handelt es sich um Privatquartiere, bei anderen um organisierte Angebote wie etwa Jugendherbergen. So können Pilger beispielsweise in der Missionsschule in Unterweissach für 24 Euro übernachten. Der Wacholderhof in Murrhardt bietet eine Pilgerpauschale für 49,50 Euro an. Diese beinhaltet neben der Übernachtung auch ein Abendessen, ein Frühstück und einen Imbiss für den Weg.

Die privaten Unterkünfte hingegen werden oft auf Spendenbasis oder zu einem geringen Preis angeboten. Für den Mitinitiator des Jakobswegs Rothenburg–Rottenburg, Hans-Jörg Bahmüller, gehören diese persönlichen Übernachtungsmöglichkeiten zum Pilgern dazu. „Wir haben von Anfang an versucht, Privatquartiere für die Pilger zu finden, da gute, günstige und gastfreundliche Übernachtungsmöglichkeiten für die Akzeptanz eines Pilgerwegs sehr entscheidend sind“, sagt er. Aufrufe bei den Kirchengemeinden hätten dabei meist wenig Erfolg gehabt, „aber es meldeten sich im Lauf der Jahre immer wieder Menschen, die selbst schon gepilgert sind und nun zu anderen Pilgern gastfreundlich sein wollten“. Das Jakobsweg-Team sucht derweil noch nach weiteren Menschen, die ein Plätzchen anbieten können (siehe Infotext).

Schon selbst gepilgert ist auch Juliane Putzmann. Die Leiterin des Backnanger Bandhaus-Theaters versucht seit 2017, jedes Jahr ein Stück des Jakobswegs zu gehen. Vor drei Jahren kam sie auf die Idee, ein freies Zimmer in ihrem Haus in Berglen anderen Pilgern anzubieten. Sie berichtet von vielen netten Begegnungen. „Es geht denen nicht darum, günstig unterzukommen, sondern darum, sich auszutauschen“, sagt sie. Einmal kamen zwei Gäste vor ihr an. Zwei fremde Menschen öffneten also Putzmann und ihrem Partner die Tür zum eigenen Heim. Ein anderes Mal kam die Tochter ihrer Patentante mit zwei Freundinnen zu Besuch. Alle drei kannte die Bandhaus-Leiterin noch nicht persönlich. Dann kamen noch spontan zwei Pilger zu ihr, die vom Regen gepeinigt keine andere Unterkunft finden konnten. „Abends saß ich dann mit fünf Fremden am Tisch, die Mädels haben gekocht“, erzählt Putzmann. „Das war ein richtig schöner Abend.“

Die Gastgeber haben viel zu erzählen

Auch für Pia Dahlinger sind es die Erinnerungen an die vielen Begegnungen, die bleiben. Einmal war eine Familie mit drei Kindern, zwei Pferden und einem Hund zu Gast. Dahlinger erinnert sich auch an zwei alte Freunde, die einmal im Jahr ein Stück des Jakobswegs laufen, um ihre Freundschaft zu pflegen. Oder an zwei Jugendliche, die sich beim Pilgern auf ihre mündliche Abiturprüfung vorbereiteten und sich bewusst werden wollten, wie es nach dem Abi weitergeht. Dazu viele Menschen in Lebenskrisen, auch wohlhabende Leute. „Es gibt Menschen, die lösen alles auf, die haben nur noch irgendwo einen Rucksack mit Wechselklamotten zwischengelagert.“

Die Murrhardterin hat auch schlechte Erfahrungen gemacht. Etwa mit Leuten, die sich nur als Pilger ausgeben. Oder die eine Konsumhaltung pflegten, welche dem Pilgern eigentlich entgegensteht. „Da habe ich den Eindruck, die sind noch ganz am Anfang von ihrem Weg“, sagt Dahlinger. Sie hat dennoch keine Bedenken, ihr Zuhause zu öffnen. „Es gibt unglaublich viele nette Menschen“, sagt sie. Auch wenn in den Medien manchmal etwas anderes vermittelt werde. „Öffnet eure Herzen und eure Türen, ihr könnt eine Menge lernen von Menschen, die anders sind.“

Weitere Unterkünfte gesucht

Wenig reicht Das Jakobsweg-Team freut sich, wenn im 20. Jubiläumsjahr noch weitere private Quartiere hinzukommen. Die meisten Pilger sind zwischen April und Oktober unterwegs, in der Regel nur für eine Nacht. Es darf eine einfache Unterkunft sein. Wenn Pilger ihre Isomatte und einen Schlafsack dabeihaben, reicht sogar ein freier Boden.

Daten Im Pilgerführer und im Quartierverzeichnis im Internet stehen nur die Angaben, die der Gastgeber veröffentlichen möchte. Beim Telefonieren vorab bekommt der Quartiergeber einen Eindruck von seinen potenziellen Gästen.

Kontakt Wer eine Pilgerunterkunft anbieten möchte, kann sich an Paul Peter Engert wenden: Telefon 07191/65431 oder paul.engert@jakobsweg-team.de.

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Erstellt:
10. Januar 2024, 06:00 Uhr

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