Eine Entschuldigung, die zu kurz greift
Der Angeklagte bittet am vierten Prozesstag im Plüderhausener Messerfall um Verzeihung, und weicht doch einer Schlüsselfrage aus

© Romolo Tavani
Die Verhandlung wird kommende Woche fortgesetzt.
Von Peter Schwarz
PLÜDERHAUSEN/STUTTGART. Es tue ihm leid, sagt der Angeklagte, er klingt glaubhaft – und doch: Das ist zu wenig, etwas Wichtiges fehlt. Denn einer Frage weicht er immer wieder aus.
Tag vier im Prozess um die Plüderhausener Messerattacke. Sein Mandant bitte um das Wort, erklärt zwischen zwei Zeugenvernehmungen der Verteidiger. Der 20-jährige Asylbewerber aus Afghanistan versucht es, auch wenn ein Dolmetscher neben ihm sitzt, auf Deutsch: „Es tut mir wirklich leid. Ich möchte mich entschuldigen“, beim Vater, den er so schlimm verletzt hat, bei der Tochter, „ich habe sie so arg geliebt“. Er hält inne, atmet tief. „Es tut mir wirklich leid. Ich hoffe sehr, dass sie mir verzeihen können.“ Die Scham schreibt sich in seine Körpersprache ein: Der Blick irrt ab, die Hände arbeiten, einmal setzt die Stimme aus.
Und doch fehlt etwas: An einem entscheidenden Punkt versandet die Ehrlichkeit. Denn es gibt eine Frage, vor der er immer wieder ausbüchst, so oft Richterin Cornelie Eßlinger-Graf auch nachfasst, und diese Frage ist wichtig; weniger aus juristischer Perspektive, die äußeren Fakten liegen ja glasklar auf dem Tisch; sondern auf menschlicher Ebene, weit jenseits aller Paragrafen. Die Frage lautet: Was wollte er in jener Nacht mit dem Messer, mit welcher Absicht stieg er über den Balkon ins Haus, ins Zimmer der Exfreundin, was ging ihm durch den Kopf, was hatte er vor? Es wäre erleichternd für die Betroffenen – den Vater und auch die Tochter, deren Vertrauensbereitschaft der junge Mann so grausam verraten hat –, wenn ihr Peiniger sich ihnen vorbehaltlos offenbarte. Aber immer, wenn seine Ausführungen bis ganz nahe heran an diesen Punkt führen, verlieren sie sich im Vagen.
Er beschreibt die Krise, in der er steckte in der Nacht auf den 15. Juli. Die Freundin hatte sich von ihm getrennt, der eigene Vater hatte ihm kurz zuvor in einem Telefonat aus Afghanistan erklärt: Du trinkst Alkohol, gibst dich mit Mädchen ab, hast dir ein Tattoo stechen lassen, bist zu deutsch geworden, „du bist nicht mehr mein Sohn“. Er sei, sagt der Angeklagte, „woanders“ gewesen, er meint wohl: außer sich. „Deine Familie ist weg, die Freundin ist weg.“ Kaum verständlich schiebt er nach: „Ich war voll im Arsch. Es tut mir leid.“
Aber all das ist keine Antwort. Wollte er der Ex-Freundin etwas antun oder spielte er zumindest mit dem Gedanken? Weshalb sonst sollte er mit scharfem Messer und Tarnmaske nach Plüderhausen gestapft sein? Gestünde er ein, was ihn trieb, machte er es den Betroffenen leichter, ins Reine zu kommen mit der Erschütterung ihres Weltvertrauens – er würde ihnen helfen; und womöglich auch sich selbst.
Aber da kommt nichts. Ähnliches hat sich am ersten Prozesstag abgespielt. Schon da gestand der junge Mann in groben Zügen und wirkte schamvoll aufgewühlt – und schon da scheute er vor der letzten Offenbarung zurück und wollte „auf den Koran“ schwören, dass er nicht vorgehabt habe, jemanden „zu töten oder zu verletzen“. An eben jenem ersten Tag, erinnert die Richterin, habe der Vater „mit beeindruckender Aufrichtigkeit gesagt: ‚Ich bin bereit, zu vergeben.‘“ Diese Offenheit gelte es, zurückzuzahlen.
Er habe, antwortet der Angeklagte, unterwegs mit sich gerungen: „In Urbach hab ich überlegt, warum gehst du nicht heim?“ Einmal habe er das Messer „wegwerfen“ wollen. Mag sein – und ist erneut keine Antwort. Wieder verhakt sich der 20-Jährige in der Beteuerung: „Ich habe keinen Plan gehabt, dass ich jemand umbringe.“
Die volle Redebereitschaft würde die Aussichten nicht verschlechtern
Dabei würde ihm Ehrlichkeit wohl sogar juristisch nützen. Da die Fakten wasserdicht bewiesen sind und sowieso alles auf eine Verurteilung wegen versuchten Mordes hindeutet, dürfte volle Redebereitschaft die Aussichten des Angeklagten nicht verschlechtern, sondern den Weg ebnen für ein milderes Strafmaß. Aber schonungslos gegen sich selbst in den Abgrund jener Nacht zu schauen: Er kann oder will es nicht. Noch einmal setzt die Richterin nach: „Was wollten Sie mit dem Messer machen? Wenn Sie es wirklich ehrlich meinen, dann sprechen Sie darüber!“
Man ahnt ja, wie die Antwort aussehen könnte: Vermutlich schossen ihm die Gedanken an die Ex-Freundin kreuz und quer, finstere Eifersuchtswut, haltlose Hoffnungen. Der ganze Tatablauf zeigt, dass es drunter und drüber gegangen sein muss in ihm. Da gibt es zwar klare Anzeichen von planvollem Vorgehen: das Messer, ein Überziehschal zur Maskierung, Handschuhe im Hochsommer. Aber da gibt es auch Indizien, dass er wohl durchaus nicht völlig kaltblütig und stringent vorging: Als er ins Haus einstieg, zog er sich den Schal nicht vors Gesicht; als er zustach, trug er zumindest an der Hand, die das Messer hielt, offenbar keinen Handschuh. Dennoch: Wenn er nun noch einmal sagt, er habe seiner Ex-Freundin nur „Angst einjagen“ wollen, klingt das nach Ausflucht oder mindestens nach Selbstbetrug.
Nebenklagevertreter Jens Rabe, Anwalt des Vaters, versucht es ein letztes Mal: Sein Mandant erwarte, „dass Sie den Satz über die Lippen bringen“ – ja, mir ging Furchtbares durchs Hirn. Der Angeklagte antwortet nicht, versinkt in Schweigen, schaut zu Boden, schüttelt den Kopf. Die Verhandlung wird nächste Woche fortgesetzt.