Wolfgang Beckers letzter Film
Eine S-Bahn namens Freiheit
Neu im Kino „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ erzählt von einem Medienhype und verfälschter deutscher Geschichte.
© Fre·de·ric Batier/X Verleih AG/d
Christiane Paul (li.) als Paula Kurz und Charly Hübner als Micha Hartung in „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“
Von Kathrin Horster
„The Last Tycoon“ prangt in Neonlichtlettern über dem Schaufenster der letzten Berliner Videothek von Besitzer Micha Hartung. Der Name fußt auf einer Romanverfilmung, die niemand mehr kennt und die nicht einmal als besonders gelungen gilt. Von einem Regisseur, dessen Filme vergessen sind.
Eine ziemlich behämmerte Idee also, einen Laden so zu taufen. Wie überhaupt der Spleen, im Jahr 2019 noch eine Videothek zu betreiben, in der man physische Datenträger ausleihen kann. Es besteht also von Anfang an kein Zweifel daran, dass Micha Hartung (Charly Hübner), der schmerbäuchige, penetrant schlecht gekleidete Protagonist in Wolfgang Beckers Tragikomödie „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“, ein typischer Loser ist, auch wenn der Titel das glatte Gegenteil behauptet.
Ein Journalist will sich profilieren
Hartung pennt auf einem Sofa im Hinterzimmer seines hoch verschuldeten Ladens, ab und zu klingelt Tochter Natalie (Leonie Benesch) mit den Enkeln Sturm, Hartungs Frau hat sich schon vor dreißig Jahren von ihrer Familie abgesetzt. Dieses jämmerliche Krebsen am Existenzminimum stört der in seiner Redaktion als langweiliger Spießer verkannte Enthüllungsjournalist Alexander Landmann (Leon Ullrich) auf, der seinem Boss zum 30. Jahrestag der Wende eine einmalige Titelstory präsentieren will. Landmann hat recherchiert, dass Hartung Monate vor dem Fall der Mauer als Stellwerksmeister eine S-Bahn-Weiche am Bahnhof Friedrichstraße manipuliert haben soll und so einen Zug mit 127 Insassen in den Westen rollen ließ. In Wahrheit war der Vorfall nur einem Patzer Hartungs geschuldet, der sich öffentlich nie als Urheber der vermeintlichen Massenflucht bekannt hat. Landmann ernennt Hartung aber zum „Oskar Schindler der DDR“ und veröffentlicht ohne dessen Autorisierung einen Text über die vermeintliche Heldentat.
Das ist nur der Anfang einer wild verzweigten, mit Figuren und Problemen vollgestopften Geschichte über einen Verlierer, dessen Biografie von anderen zum Mythos umgebogen wird. „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ ist der letzte Film von Wolfgang Becker, der 2003 mit der Tragikomödie „Good Bye, Lenin!“ Ostalgie, Abschiedsschmerz und die bundesdeutsche Zeitenwende nach dem Mauerfall reflektierte und damit ein gesamtdeutsches Publikum vom Hocker riss. Becker starb im Dezember 2024 kurz nach den Dreharbeiten zu seinem letzten Film, der ohne ihn vom Regisseur Achim von Borries und vom Produzenten Stefan Arndt fertig gestellt werden musste.
Obwohl der vom Romanautor Maxim Leo entwickelte Plot witzig und unterhaltsam ist, bleibt Wolfgang Beckers Film ein disparates Konstrukt. Die Erzählung erinnert zunächst stark an Helmut Dietls Satire „Schtonk!“ (1992) über den Skandal rund um gefälschte Hitler-Tagebücher, deren Veröffentlichung das renommierte „Stern“-Magazin Ende der 1970er in die Bredouille brachte. Mit diebischer Freude betrachtet Becker, wie der schmierige Sensationsreporter Hartung in sein Lügengespinst verwickelt, und wie dieser sich nach geringem Protest einspannen lässt, um mit den Tantiemen für die Story sein aus den Fugen geratenes Leben zu finanzieren.
Allein das hätte schon genug Stoff geboten. Doch Hartung verliebt sich noch in die von lügenden Männern traumatisierte Psychologin Paula (Christiane Paul), eine S-Bahn-Insassin, die er vor über dreißig Jahren unbeabsichtigt in die Freiheit schickte. Die klassische Boy-meets-Girl-Romanze koppelt Becker mit Politthriller-Elementen, wenn er den strammen Ex-Stasi-Offizier Fritz Teubner (Peter Kurth) ins Spiel bringt, der gemeinsam mit dem vergrätzten Bürgerrechtler Harald Wischnewsky (Thorsten Merten) an Hartungs Lügengerüst rüttelt.
Rütteln am Lügengerüst
Bei der Beobachtung der verschiedenen Typen mit ihren kleinlichen Privatinteressen erweist sich Becker als ausgezeichneter Menschenkenner, der die Verlogenheit menschlicher Motive mit freundlichem, eben nicht bitterem Humor quittiert. Seine Figuren sind humoristisch überhöhte Prototypen; in seinem guten Kern verrät der Film die Wahrheit über verfälschte Geschichtsschreibung, die nicht per se von Siegern gemacht wird, sondern von solchen, die welche werden wollen.
Doch im Endschnitt des Films erweisen sich die Konflikte und Nebenschauplätze als zu viele; mit Ach und Krach quetschen Achim von Borries und Stefan Arndt Beckers verwuseltes Charakteren- und Plotkonvolut wie in eine überfüllte S-Bahn, um das ganze in die Freiheit auf der Leinwand rollen zu lassen. Das ist rührend und teils unterhaltsam; ein perfekter letzter Film ist es nicht.
Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße. Deutschland 2025. Regie: Wolfgang Becker. Mit Charly Hübner, Christiane Paul. 113 Minuten. Ab 6 Jahren.
