Misstrauensantrag gegen EU-Chefin

Eine Warnung an das „System von der Leyen“

Die EU-Kommissionschefin muss sich im Parlament einem Misstrauensantrag stellen. Grund ist der Ärger der Abgeordneten über ihren Führungsstil.

Ursula von der Leyen ist bereits in ihrer zweiten Amtsperiode als Kommissionspräsidentin der EU.

© Jean-Christophe Verhaegen/AFP

Ursula von der Leyen ist bereits in ihrer zweiten Amtsperiode als Kommissionspräsidentin der EU.

Von Knut Krohn

Ursula von der Leyen hat zur Rückendeckung ihre gesamte Mannschaft mitgebracht. Als die EU-Kommissionspräsidentin ans Rednerpult im Europaparlament tritt, sitzt die Riege der 26 Kommissare und Kommissarinnen geschlossen im Straßburger Plenum. Das ist eine ungewöhnliche Geste und zeigt, dass Ursula von der Leyen den Ernst der Lage erkannt hat. Am Donnerstag stimmen die Abgeordneten über einen Misstrauensantrag ab und die Deutsche hatte am Montagabend die Gelegenheit, sich auf offener Bühne zu verteidigen.

Die Kommissionschefin entscheidet sich für die scharfe Attacke. Eingebracht wurde der Misstrauensantrag von Gheorghe Piperea, einem extrem-rechten Abgeordneten aus Rumänien, was die geschickte Machtpolitikerin sofort aufgreift. Der Antrag sei dem „ältesten Drehbuch der Extremisten“ entnommen, ruft Ursula von der Leyen. Die rechtsextremen Fraktionen im Europaparlament wollten nicht nur einen Keil zwischen die EU-Institutionen treiben, sondern auch die Demokratie zerstören.

Ärger über präsidentiellen Führungsstil

Ihre überraschend emotionale Rede ist verständlich, denn der Misstrauensantrag kann ihr sehr gefährlich werden. Gheorghe Piperea prangert darin die „Entmündigung des Parlaments“ an und trifft damit einen wunden Punkt Ursula von der Leyens. Der Ärger über ihren präsidentiellen Führungsstil ist bei den Abgeordneten zuletzt stetig gewachsen - und er geht quer durch alle politischen Lager.

In Brüssel wird offen über das „System von der Leyen“ gespottet, das auch die Kommission im Griff habe, denn die ist ganz auf die Chefin zugeschnitten. Wichtige Bereiche wie die Handelspolitik hat sie direkt in ihrem Kompetenzbereich angesiedelt. Und wenn ein Thema wichtig wird, zieht Ursula von der Leyen das Dossier einfach an sich. Das kann sie machen, weil die Zuständigkeiten der Kommissare meist nicht klar geregelt sind. Zuletzt geschehen bei der Aufrüstung und einem dafür notwendigen Kreditprogramm.

Der im Grunde dafür zuständige Kommissar Andrius Kubilius konnte am Ende alles nur noch abnicken. So gelingt es Ursula von der Leyen auch, dass kein Mitglied der Kommission ein eigenes politisches Profil erarbeiten kann. In diesem Fall hat die Deutsche offensichtlich die Lehren aus ihrer ersten Amtszeit gezogen, in der der Sozialdemokrat Frans Timmermans und die Liberale Margrethe Vestager als politische Schwergewichte starke eigene Akzente setzen konnten – bisweilen zum Ärger der eigenen Chefin.

Eine kleiner Zirkel um von der Leyen

Wie weit die CDU-Politikerin in zentralen Bereichen in die Arbeit ihrer eigenen Mannschaft eingreift, wurde in diesen Tagen im Zollstreit der EU mit den USA deutlich. Vergangene Woche war der für Handel zuständige Kommissar Maros Sefcovic zu Verhandlungen nach Washington gereist – eng an seiner Seite war Ursula von der Leyens Stabschef Björn Seibert. Der Mann gilt als ihr engster Berater und strategischer Kopf einer kleinen Gruppe von Mitarbeitern rund um die Kommissionschefin. In der Behörde wird hinter vorgehaltener Hand kritisiert, dass dieser kleine Zirkel völlig abgeschlossen vom restlichen EU-Apparat agiere und zentrale Entscheidungen maßgeblich beeinflusse.

Die Distanz zu der als schwerfällig beschriebenen Behörde resultiert wohl auch daraus, dass Björn Seibert selbst kein „EU-Gewächs“ ist, sondern im Tross von Ursula von der Leyen nach Brüssel gekommen ist. Er arbeitete bereits mit der Niedersächsin zusammen, als sie noch Verteidigungsministerin in Berlin war. Studiert und gelehrt hat Seibert in den USA an mehreren Eliteuniversitäten und seine Person gilt inzwischen als entscheidend für das Verhältnis zwischen Brüssel und Washington. Er war es auch, der bereits Anfang Januar enge Kontakte zu den Mitarbeitern von Donald Trump geknüpft hat und dazu sein enges Netzwerk zu Experten in der US-Hauptstadt nutzte.

Einflussreicher Berater

Erzählt wird, dass es Björn Seibert war, der Ursula von der Leyen einst von der Ernsthaftigkeit der US-Geheimdienstinformationen angesichts eines drohenden Überfalls Russlands auf die Ukraine überzeugte. Auch hat er die Antwort der EU auf die Aggression des Kremls entscheidend mitgestaltet. Trotz aller Skepsis gegenüber dem einflussreichen Berater, loben selbst Kritiker sein taktisches Geschick und seinen politischen Instinkt.

Bei all seinem Tun hält sich Björn Seibert allerdings immer im Hintergrund. In einem Interview mit dem „Handelsblatt“ beschrieb er sein Tun einmal als „Schrittmacher einer Radrenn-Equipe“. Und er betont ausdrücklich: „Der Star ist die Präsidentin, aber ich bin ihr erster Ansprechpartner, wenn es um die Analyse des Streckenprofils und die richtige Taktik geht. Ich organisiere Absprachen mit anderen Teams und entscheide, wann und wie die besten Kräfte der Kommission für die Etappensiege und den Tour-Erfolg der Präsidentin in Position gebracht werden müssen.“

Deutlicher Schuss vor den Bug

Auf diese Weise dürfte Björn Seibert auch die Strategie Ursula von der Leyens angesichts des Misstrauensantrages vorbereitet haben. Zu den Absprachen mit den „anderen Teams“ dürfte gehört haben, dass er sich vor der Abstimmung am Donnerstag der entscheidenden Unterstützung der Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen versichert hat. Die haben bei der Aussprache in Straßburg dann auch betont, nicht mit den extremen Rechten gegen die Kommissionschefin zu stimmen. Es ist also abzusehen, dass der Antrag die nötige Zweidrittelmehrheit verfehlen wird. Der Misstrauensantrag ist aber ein deutlicher Schuss vor den Bug. Abzuwarten ist, welche Konsequenzen das „System von der Leyen“ rund um Björn Seibert aus dieser Warnung ziehen wird.

Zum Artikel

Erstellt:
8. Juli 2025, 14:50 Uhr
Aktualisiert:
8. Juli 2025, 15:45 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen