Eis und Kälte kontra Fingerspitzengefühl

Der mittlere Dachreiter auf der Mörikeschule hat trotz der Winterkälte und des Schmuddelwetters sein neues Blechkleid erhalten. Die Arbeiten erfordern höchstes Können von den Handwerkern. Der Inhalt der alten Zeitkapsel, die neu bestückt und im Türmchendach versenkt wird, ist dem Stadtarchiv anvertraut worden.

Andreas Stier (vorne links) mit der alten Zeitkapsel, Thorsten Wist (vorne rechts) mit der neuen Zeitkapsel. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Andreas Stier (vorne links) mit der alten Zeitkapsel, Thorsten Wist (vorne rechts) mit der neuen Zeitkapsel. Foto: A. Becher

Von Heidrun Gehrke

BACKNANG. Infolge des schneereichen Winters mit etlichen Frosttagen hat sich der Fertigstellungstermin verschoben, doch seit gestern ist es so weit: Der mittlere Dachreiter auf der Mörikeschule hat sein neues Blechkleid erhalten, jetzt strahlt das stadtbildprägende Dach kupferfarben. Die Handwerker, die bei Winterkälte und Schmuddelwetter in knapp 40 Meter Höhe an den Kuppelabdeckungen und den Seitenverkleidungen zugange waren, hat es diesen Winter „eiskalt“ erwischt. Im wahren Wortsinn.

„Drei Wochen im Januar konnten wir überhaupt nicht arbeiten“, sagt Thorsten Wist, Dachdeckermeister aus Weissach. Nicht nur, weil auf dem Oberstübchen des Jugendstilgebäudes immer ein Wind gehe und es extrem ungemütlich werden kann. Sondern weil sich bei Minusgraden das Blech nicht mehr gut bearbeiten lasse. „Es wird störrisch, dadurch erhöht sich die Bruchanfälligkeit“, erklärt der Handwerker. Und um Blech ging es jetzt in der Hauptsache: Rund um die drei Dachreiter sind neue sturmfeste Blechverkleidungen nötig. Zudem hätten die Tragwerke frisches Holz benötigt, führt Hochbauamtsleiter Andreas Stier aus.

Handwerker schwärmen von


den kunstfertigen Kupferarbeiten.

Das historische Bauwerk bringe hohe handwerkliche Herausforderungen mit sich. „Man merkt, dass dort richtige Turmbauwerke auf dem Dach stehen“, sagt Stier. Die historische Baustruktur ist schön anzusehen und repräsentiert das spezielle Design der Jugendstilepoche. Den besonderen Charakter verdanke die Dachkonstruktion zudem einigen ornamentalen Verzierungen. „Dort oben ist nichts gerade, es gibt keinen rechten Winkel, überall sind Bögen zu bearbeiten“, schildert Handwerker Thorsten Wist die baulichen Spezialitäten. Für derlei Feinarbeiten an den Kuppelspitzen brauche es Fingerspitzengefühl. Frost und Schnee hätten genau das zu verhindern gewusst, die Arbeiten mussten unterbrochen werden. Denn mit dicken Handschuhen bördeln, schweifen oder stauchen? Ein Ding der Unmöglichkeit. „Wir mussten bis zu 25 Millimeter kleine Pappstifte nageln“, so Wist über hohe Handwerkskunst auf der aktuell höchstgelegenen Baustelle im Stadtgebiet. „Solch kunstfertige Kupferarbeiten sind mir von keinem anderen Backnanger Gebäude bekannt“, sagt der Hochbauamtsleiter, der als Vergleich den Stadtturm heranzieht, der aktuell ebenfalls saniert wird. „Die Blecharbeiten dort sind geradliniger, geometrischer, einfacher zu bearbeiten“. Handwerksmeister Wist nickt. „Hier war keine Vorfertigung möglich, jede Rundung musste von Hand angepasst werden.“

Neben dem Wetter hätten einige Überraschungen den angepeilten Fertigstellungstermin im Dezember durchkreuzt. Am mittleren Dachreiter knabberte beim Abnehmen der Schalbretter der Hausbock – zahlreiche Fraßgänge deuten auf großen Appetit des gefräßigen Holzzerstörers hin. Das lebendbefallene Holz wurde abgebeilt, in Teilen erneuert und mit Holzschutzmittel behandelt. Zusammen mit einer unerwartet notwendig gewordenen Gerüsterweiterung und der Reparatur der korrodierten Zifferblätter hätten sich die Kosten um 26000 Euro erhöht. Der Kostenrahmen belaufe sich auf rund 540000 Euro.

Das Türmchen auf der Westseite strahlt schon eine ganze Weile, mit Ablauf der vergangenen Woche ist nun der mittlere Dachreiter fertig geworden. Der dritte, östliche Dachreiter steht bereits eingerüstet parat und seine alte, ebenfalls schadhafte Blechverkleidung wurde bereits entfernt. Dort starten kommende Woche die Zimmerarbeiten. Bis zum Sommer 2021 soll alles fertig sein.

Ein Highlight wird Handwerker und Hochbauamtsleiter aber schon früher nochmals zusammen aufs Dach steigen lassen: Zum Abschluss des mittleren Dachreiters, auf dem die Turmzier sitzt, wird die Zeitkapsel neu bestückt und im Türmchendach versenkt. Thorsten Wist erklärt den traditionellen Handwerkerbrauch: „Es wird versucht, den Zeitpunkt der Baumaßnahme für die Nachwelt darzustellen.“

Die alte Zeitkapsel sei geöffnet worden, die darin gefunden Beigaben und Dokumente bereits dem Stadtarchiv anvertraut worden, ergänzt Andreas Stier. Zahlreiche historische Dokumente hätten sie aus der röhrenförmigen Schatulle geholt, darunter eine Ausgabe des Volksfreundes und des Murrtalboten vom Dezember 1907 sowie eine Gewerbevereinsbroschüre, die zum Anlass des 49. Jubiläums erschienen sei. Interessante Entdeckung: „Auf dem historischen Foto ist zu sehen, dass das Rathausdach damals noch drei Kamine hatte.“

Eine BKZ und eine FFP2-Maske

In die neue Zeitkapsel soll die heutige Ausgabe der BKZ gesteckt werden. Außerdem – wie passend – eine FFP2-Maske. Die Zeitkapsel soll am Montag in die Turmzier eingesetzt und verlötet werden.

Die Höhen der beiden markantesten Gebäude in der Stadt:

– Mörikeschule: 270 Meter über NN plus 38 Meter Bauwerkshöhe, also die Spitze in 308 Meter über Meereshöhe.

– Stadtturm: 267 Meter über NN plus 45 Meter Bauwerkshöhe, also insgesamt 312 Meter über Meereshöhe. (Zahlen bereitgestellt vom Backnanger Hochbauamtsleiter Andreas Stier)

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Erstellt:
6. März 2021, 11:30 Uhr

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