Erzieherinnen in Backnang und anderswo dringend gesucht

Die Suche nach qualifiziertem Personal für die Kinderbetreuung gestaltet sich immer schwieriger. Die Stadt Backnang steuert mit verschiedenen Maßnahmen dagegen. Unter anderem gibt sie neuerdings auch Quereinsteigerinnen mit pädagogischem Vorwissen eine Chance.

Willkommene Verstärkung in der Kita „Bertha von Suttner“: Sandra-Doreen Steppa-Kiss liest Greta, Meyra und Nisa (von links) ein Bilderbuch vor.Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Willkommene Verstärkung in der Kita „Bertha von Suttner“: Sandra-Doreen Steppa-Kiss liest Greta, Meyra und Nisa (von links) ein Bilderbuch vor.Foto: Alexander Becher

Von Kornelius Fritz

Backnang. Die Ergebnisse einer Studie, die der Verband Bildung und Erziehung (VBE) im Mai vorstellte, klingen alarmierend. Viele Kitas in Baden-Württemberg könnten ihre Aufsichtspflicht nicht mehr erfüllen, heißt es darin. Bei einem Drittel der Tagesstätten sei an vielen Tagen nicht einmal die vorgeschriebene Minimalbesetzung anwesend. Gerhard Brand, Landesvorsitzender des Berufsverbands, sprach damals von einer „für das Kindeswohl gefährlichen Personalunterdeckung“.

Ganz so dramatisch sieht Regine Wüllenweber die Lage in Backnang noch nicht: „Grundsätzlich sind die städtischen Kitas gut durch die Pandemie gekommen“, sagt die Leiterin des Amtes für Familie und Bildung. Schließungen oder Einschränkungen bei den Öffnungszeiten habe es allenfalls kurzzeitig gegeben. Die Stadt profitiere jetzt davon, dass sie ihre 22 Kitas personell besser ausgestattet habe als nötig. So sieht der „Backnanger Schlüssel“ etwa in der Ganztagsbetreuung der unter Dreijährigen pro Gruppe eine halbe Stelle mehr vor, als es für die Betriebserlaubnis erforderlich wäre.

Dass es schwieriger geworden ist, offene Stellen mit qualifiziertem Personal zu besetzen, bestätigt allerdings auch die Backnanger Amtsleiterin. So sind in den städtischen Tagesstätten sowie in der Betreuung an den Schulen noch insgesamt 23 Stellen unbesetzt. Eigentlich sollen im September auch vier neue Kita-Gruppen an den Start gehen. Ob sie alle wie geplant loslegen können, muss sich zeigen. „Die Bewerbungen kommen nicht mehr in der Menge wie vor zwei Jahren“, hat Wüllenweber festgestellt.

Deshalb muss die Stadt ihre Anstrengungen intensivieren. An erster Stelle steht für Wüllenweber dabei die Personalbindung, denn je weniger Erzieherinnen gehen, desto weniger neues Personal wird gebraucht. Um die Fluktuation möglichst gering zu halten, versuche man einerseits, attraktive Arbeitsbedingungen zu schaffen, etwa durch moderne Gebäude, interessante Kita-Profile und Fortbildungsangebote.

Zum anderen gehe man auf die Wünsche der Beschäftigten ein. So fragt die Stadt regelmäßig ab, ob Erzieherinnen ihre Arbeitszeit reduzieren oder erhöhen wollen oder in eine andere Einrichtung wechseln wollen. Beim jährlichen „Personalkarussell“ wird dann versucht, diese Wünsche, wo immer es möglich ist, zu erfüllen, damit die Fachkräfte nicht zu anderen Trägern abwandern.

Die Zahl der Ausbildungsstellen wurde deutlich erhöht

Auch bei der Ausbildung hat die Stadt Backnang deutlich nachgelegt: In den vergangenen Jahren wurde die Zahl der Ausbildungsstellen von acht auf inzwischen 23 fast verdreifacht. Allerdings lässt sich diese Zahl nicht mehr unbegrenzt steigern: „Die Einrichtungen müssen das ja auch stemmen können“, weiß Wüllenweber.

Im vergangenen Jahr wurde daher auch erstmals eine Quereinsteigerin eingestellt. Seit einem knappen Jahr verstärkt die gelernte Ergotherapeutin Sandra-Doreen Steppa-Kiss das Team der Kita „Bertha von Suttner“ im Backnanger Norden. Parallel dazu nimmt sie an einem Nachqualifizierungskurs der Kolping-Akademie teil. Wenn dieser im Juli endet, ist die 45-Jährige einer gelernten Erzieherin gleichgestellt. Eine Prüfung muss sie dafür nicht machen.

„Ich habe schon als Ergotherapeutin überwiegend mit Kindern gearbeitet“, erzählt Steppa-Kiss. Als Integrationshelferin für ein behindertes Kind war sie zeitweise auch schon in einem Kindergarten tätig. Und auch in ihrer Ausbildung spielten pädagogische Inhalte eine Rolle: „Die Themen waren für mich also nicht neu“, sagt die zweifache Mutter. Deshalb habe sie sich den Job in der Kita auch zugetraut.

Kita-Leiterin Lena Söhnholz empfindet die neue Kollegin mit dem etwas anderen Ausbildungsweg sogar als Bereicherung für ihr Team. „Als gelernte Ergotherapeutin hat sie noch mal einen anderen Blickwinkel auf die Kinder. Das ist für uns ein totaler Mehrwert“, sagt die Leiterin der dreigruppigen Einrichtung. Die Einarbeitung der Quereinsteigerin sei nicht aufwendiger gewesen als bei anderen neuen Kolleginnen.

Auch Amtsleiterin Regine Wüllenweber ist sehr zufrieden mit der neuen Mitarbeiterin, sagt aber auch: „Man muss sich jeden Einzelfall genau anschauen“. Denn es soll nicht der Eindruck entstehen, dass Ungelernte per „Schnellbleiche“ zu Fachkräften erklärt werden. „Es bedarf schon einer entsprechenden Vorausbildung, damit die Qualität in den Einrichtungen nicht sinkt“, stellt Wüllenweber klar. Falls sich Interessierte mit entsprechenden Kenntnissen bewerben, sei man aber gerne bereit, weitere Quereinsteiger einzustellen: „Frau Steppa-Kiss wird sicher nicht die Letzte sein.“

Allerdings werde die Stadt nicht aktiv Personal aus anderen Bereichen abwerben, betont Regine Wüllenweber. Schließlich betrifft der Fachkräftemangel mittlerweile nicht nur die Kinderbetreuung, sondern auch viele andere Berufe.

Rezepte gegen die Personalnot

Fachkräftemangel Durch den gestiegenen Bedarf und den damit verbundenen Ausbau der Kinderbetreuung hat sich der Fachkräftemangel in den vergangenen Jahren verschärft. Laut einer Schätzung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft fehlen bis 2025 alleine in Baden-Württemberg rund 40000 Erzieherinnen.

Gegenmaßnahmen Das Land hat auf den Engpass bereits reagiert: So wurden die Kapazitäten an den Fachschulen für Sozialpädagogik ausgebaut. Außerdem wurde 2012 eine praxisintegrierte Ausbildung (PIA) eingeführt. Im Gegensatz zum klassischen Weg werden die Auszubildenden dabei vom ersten Tag an vergütet.

Quereinstieg Seit 2013 besteht auch für andere, nicht frühpädagogisch ausgebildete Berufsgruppen die Möglichkeit, als Fachkraft anerkannt zu werden. Voraussetzung ist eine abgeschlossene Ausbildung im pädagogischen oder therapeutischen Bereich sowie eine 25-tägige berufsbegleitende Nachqualifizierung.

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Erstellt:
5. Juli 2022, 06:00 Uhr

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