„Es geht uns nicht um Luxusarchitektur“

Das Interview: IBA-Intendant Andreas Hofer setzt große Hoffnungen in das Projekt Backnang-West

Bei der Internationalen Bauausstellung (IBA) will die Region Stuttgart in sieben Jahren Beispiele für innovative Architektur und modernen Städtebau präsentieren, Backnang wäre mit dem Quartier West gerne dabei. Im Interview spricht IBA-Intendant Andreas Hofer über die Chancen des Backnanger Projekts, aber auch darüber, woran das Ganze noch scheitern könnte.

Städtebau von morgen will Andreas Hofer den Besuchern aus aller Welt bei der Internationalen Bauausstellung 2027 präsentieren. Foto: IBA 2027/Sven Weber

Städtebau von morgen will Andreas Hofer den Besuchern aus aller Welt bei der Internationalen Bauausstellung 2027 präsentieren. Foto: IBA 2027/Sven Weber

Von Kornelius Fritz

Die Internationale Bauausstellung 2027 wird immer wieder in einem Atemzug mit der Werkbundausstellung von 1927 genannt, bei der die weltberühmte Weißenhofsiedlung entstanden ist. Werden wir in sieben Jahren ähnlich wegweisende Architektur in der Region Stuttgart erleben?
Das hoffen wir doch. Man kann heute sicher nicht mehr wie damals mit 60 Wohnungen die architektonische Weltrevolution ausrufen, denn im Moment passiert in der Architektur überall auf der Welt wahnsinnig viel. Ich glaube aber schon, dass wir, wenn wir den Schwung bündeln, der hier in der Region bereits gewachsen ist, manches fundamental verändern können. In der Architektenschaft wird die IBA als Chance wahrgenommen, die Dinge einmal ganz anders zu machen, und wir haben hier die Möglichkeit, in vielen Projekten vieles auszuprobieren.

Auch Backnang wäre gerne mit dabei. Verwaltung, Bürger und Gemeinderat beschäftigen sich schon seit Monaten mit der IBA. Dabei ist noch gar nicht sicher, ob das Gelände in Backnang-West überhaupt eines der IBA-Quartiere sein wird. Wann wird das Kuratorium seine Entscheidung bekannt geben?

Ich muss in sieben Jahren eine Ausstellung zeigen. Dafür brauchen wir die Quartiere als touristische Ausstellungsorte. Wo die sein werden, hat aber nicht nur mit der Qualität zu tun, sondern auch mit ganz praktischen logistischen Fragen. Da geht es zum Beispiel darum, ob wir Bereiche im Erdgeschoss als Ausstellungsräume nutzen können. Wenn ein Gebiet bis dahin schon so weit entwickelt ist, dass alles vermietet ist und gar nichts mehr besichtigt werden kann, kann es vielleicht nicht eines dieser fünf bis sieben IBA-Quartiere sein.

Das heißt, die Entscheidung über die IBA-Quartiere fällt erst am Schluss?

Nicht ganz am Schluss, aber sie kann erst getroffen werden, wenn es genaue Zeitpläne gibt und wir mit den Investoren und den Leuten vor Ort sprechen können. Backnang ist aber schon jetzt Teil der IBA und es ist eines der vielversprechenden und wichtigen Projekte, alleine schon von der Dimension her.

Aber es kann auch noch scheitern?

Natürlich kann es noch schiefgehen. Vielleicht sagen die Investoren ja irgendwann: Wir bauen jetzt unsere Häuser und die IBA interessiert uns nicht mehr. Die Kommune kann sie ja nur in einem begrenzten Ausmaß zu ihrem Glück zwingen. Ich habe genug Projektentwicklungserfahrung, dass ich weiß, dass du eigentlich erst ganz sicher bist, wenn die Bagger dastehen.

In vier Workshops haben die Bürger ihre Ideen und Vorstellungen für das IBA-Gelände formuliert. Beim Auftakt und auch bei der Abschlussveranstaltung waren Sie selbst mit dabei. Wie bewerten Sie die Ergebnisse der Bürgerbeteiligung?

Was ich sehr spannend finde, ist, dass es nie so eine kleinkarierte Häuschen-Diskussion gab. Dass man gesagt hat, wir gehen hier einen Schritt Richtung Urbanität und Dichte. Da geht es nicht um ein paar Einfamilienhäuschen, sondern wir bauen ein richtiges Stadtquartier. Ich glaube, das haben die Menschen begriffen und auch eine gewisse Lust darauf. In vielen Kommunen ist das ein Schritt, vor dem viele Angst haben.

Die Ergebnisse aus dem Bürgerdialog und den Expertenworkshops klingen zum Teil konträr: Einerseits soll auf dem Gelände architektonisch und ökologisch ambitioniert gebaut werden, andererseits sollen dort auch Menschen mit kleinem Geldbeutel ein Zuhause finden. Ist das nicht ein Widerspruch?

Überhaupt nicht. Ich würde für mich in Anspruch nehmen, dass meine Projekte in der Vergangenheit architektonische Qualität hatten – und das war eigentlich immer günstiger Wohnungsbau. Diesen Beweis wollte man übrigens auch schon beim Weißenhof antreten, dass man mit industriellen Techniken, neuen Materialien und Fertigungen auch für bescheidenere Haushalte bezahlbaren Wohnraum bieten kann. Diesen Anspruch müssen wir mit der IBA auch haben, sonst hat sie verloren. Es geht uns nicht um Star- oder Luxusarchitektur, sondern um den Beweis, dass guter Städtebau und gute Architektur auch ihre soziale Verantwortung wahrnehmen.

In den Bürgerdialogen war immer wieder von neuen und innovativen Bau- und Wohnformen die Rede. Was können Sie sich da in Backnang konkret vorstellen?

Bei der Bauform geht es darum, den Schritt in ein postfossiles Zeitalter zu gestalten. Das ist die Aufgabe der nächsten Generation. Das beginnt beim Bauen: Ein Haus benötigt etwa gleich viel Energie, bis es steht, wie es nachher in seiner ganzen Lebenszeit verbraucht. Das ist ein wichtiger Hebel, an dem man forschen und entwickeln kann. Ein weiteres Thema ist die Flächenökonomie: Brauchen wir noch Familienwohnungen mit 120 Quadratmetern und am Schluss lebt die Hälfte der Gesellschaft alleine oder zu zweit in diesen Wohnungen? Oder gibt es auch attraktive kompaktere Wohnformen für eine immer älter werdende Gesellschaft?

Welche Lösungen könnte es dafür geben?

Das Schlagwort, das gerade durch Europa geistert, heißt Cluster-Wohnen. Das sind konzentriertere Kleinwohnungseinheiten, die aber dadurch, dass sie Teil eines gemeinschaftlichen Verbundes sind, trotzdem eine sehr hohe Lebensqualität und Großzügigkeit haben. Bis hin zu neuen Formen des Zusammenlebens und der gegenseitigen Unterstützung. Ganz viele Menschen wünschen sich ja im Alter eine Wohnform, bei der sie möglichst lange unabhängig von institutioneller Pflege sind.

Auch zum Thema Mobilität gibt es ungewöhnliche Ideen, zum Beispiel eine Seilbahnverbindung zum Bahnhof. Sind das Hirngespinste oder eine realistische Option?

In Südamerika gibt es Städte, die ihren öffentlichen Verkehr auf solche Seilbahnsysteme ausgerichtet haben. Das hat häufig auch mit der Topografie zu tun. Die ist in Backnang nicht ganz so dramatisch, aber auch hier gibt es ein unten und oben. Also weshalb nicht? Letztlich geht es um die Frage: Wie komme ich von Backnang-West an den Bahnhof? Das ist gerade für Menschen, die nicht mehr voll mobil sind, ein Riesenthema. Ich glaube, in den nächsten Jahren wird die Technologie verfügbar sein, damit man das zum Beispiel auch mit autonomen Shuttles lösen kann.

Der nächste Schritt ist ein Planungswettbewerb, der im Frühjahr ausgeschrieben wird. Was erhoffen Sie sich davon?

Von dem Wettbewerb erhoffe ich mir viel. Wir wissen heute ja noch nicht, wer später wie schnell auf welchem Baufeld bauen will. Wir müssen daher ausgetretene Pfade verlassen und brauchen ein neues Verfahren, das schnell so etwas wie ein anspruchsvolles Gesamtbild produziert, von dem aber einzelne Bausteine auch schon bald realisiert werden können. Wenn wir das hinkriegen, dann hoffe ich, dass wir damit auch Architekten an den Start kriegen, die in der obersten Liga spielen.

Bauen wird am Ende nicht die Stadt und auch nicht die IBA, sondern private Investoren. Besteht nicht die Gefahr, dass dann von den hehren Zielen nicht mehr allzu viel übrig bleibt? Ein Investor hat ja in der Regel zunächst einmal seine eigene Rendite im Blick.

Diese Gefahr besteht. Gute Architektur braucht gute Bauträgerschaft. Wobei ich grundsätzlich keinen Widerspruch äußere, dass jede Immobilie auch einen Ertrag generieren muss. Da sind wir nicht blauäugig. Aber dann musst du halt die Bedingungen im Wettbewerb so klar formulieren, dass du gute Architektur kriegst, die auch unter wirtschaftlichen Bedingungen funktioniert. Wenn man diese Fragen nicht von Anfang an stellt und dann am Schluss nur noch abspecken muss, kommen meistens schlechte Sachen dabei heraus.

Ein Drittel der Fläche in Backnang gehört Riva-Chef Hermann Püttmer, der mit OB Frank Nopper öffentlich eine Privatfehde austrägt. Kann unter solchen Vorzeichen überhaupt etwas Konstruktives entstehen? Ein solches Großprojekt setzt doch voraus, dass alle an einem Strang ziehen?

Es kann schiefgehen: Menschen sind nicht immer berechenbar. Ich bin aber immer noch der festen Überzeugung, dass die Vernunft am Schluss siegen wird. Die Riva hat eine hohe baukulturelle Qualität und ein extremes technologisches Know-how. Bei diesem Projekt können sie zeigen, was sie können.

Herr Püttmer würde auf dem Gelände gerne ein 160 Meter hohes Hochhaus bauen, der OB hat dies bereits kategorisch ausgeschlossen. Wie stehen Sie zu dieser Idee? Würde so ein markantes und innovatives Gebäude nicht gut zur Idee einer IBA passen?

.Ich persönlich kann mir ein 160 Meter hohes Hochhaus an dieser Stelle aus städtebaulichen Gründen schwer vorstellen. Ich habe das Gefühl, dass das vielleicht auch ein Missverständnis ist. Wir kennen Städte wie Dubai, wo die Qualität von Architektur noch in Metern gemessen wird. Ich interpretiere Püttmers Pläne als Zeichen, dass er in dieser Liga spielen will. Große Häuser finde ich super, es müssen an dieser Stelle aber vielleicht keine 200 Meter sein. Wenn wir die besten Architekten an den Start bringen, erwarte ich jedenfalls nicht, dass das für diesen Ort die Antwort sein wird.

Zur Person
Andreas Hofer
Andreas Hofer, geboren 1962 in Luzern, studierte Architektur an der ETH Zürich. Er ist seit Anfang 2018 Intendant der Internationalen Bauausstellung 2027 Stadt-Region Stuttgart (IBA’27). In Zürich war Hofer Partner im Planungs- und Architekturbüro Archipel und engagierte sich für den genossenschaftlichen Wohnungsbau. Er publiziert regelmäßig in verschiedenen Medien und engagiert sich in der Lehre an Hochschulen.

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Erstellt:
15. Februar 2020, 06:00 Uhr

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