EU-Richtlinie könnte Weinbau gefährden

Eine geplante EU-Verordnung zur Reduzierung von Pflanzenschutzmitteln macht den Weinbauern Sorgen. Kommt die Richtlinie, dürften in Landschaftsschutzgebieten ab 2030 keinerlei Mittel mehr eingesetzt werden. Das betrifft fast den kompletten Weinbau der Region.

Eine geplante EU-Richtlinie könnte das Landschaftsbild im Kreis verändern. Foto: Dietmar van der Linden

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Eine geplante EU-Richtlinie könnte das Landschaftsbild im Kreis verändern. Foto: Dietmar van der Linden

Von Kristin Doberer

Rems-Murr. Der Weinbau prägt das Landschaftsbild in unserer Region, seit Jahrhunderten stehen die Weinreben auf den steilen Hängen schön säuberlich in Reih und Glied. Doch das Bild könnte schon bald ein ganz anderes werden, das befürchten einige Weinbauern im Rems-Murr-Kreis – zumindest, wenn eine geplante EU-Richtlinie tatsächlich umgesetzt wird. Ein Entwurf der EU-Kommission sieht nämlich vor, die Verwendung chemischer Pestizide bis 2030 um 50 Prozent zu reduzieren (siehe Info). Auf den ersten Blick hört sich das zumindest im Sinne des Artenschutzes eigentlich nach einer ganz guten Idee an. Doch es regt sich schon so einiges an Widerstand gegen die Richtlinie, unter anderem, weil sie in sogenannten empfindlichen Gebieten noch deutlich weiter geht: Die Europäische Union will außerdem den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in Landschaftsschutzgebieten generell verbieten. In den Schutzgebieten würden unter die Regelung also nicht nur chemische, sondern auch biologische Pflanzenschutzmittel fallen.

Günther Ferber von der WG Aspach findet die Richtlinie inakzeptabel

„Davon wäre dann fast der komplette Aspacher Weinbau betroffen“, sagt Günther Ferber, Vorstandsvorsitzender der Weingärtnergenossenschaft Aspach. Unter anderem sind nämlich die Allmersbacher und Kleinaspacher Weinberge mit Rohrbachtal als Schutzgebiet ausgewiesen, ebenso wie ein Weinberghang am Hornungshof. Für Ferber steht fest: Die Richtlinie ist nicht akzeptabel und wäre außerdem in höchstem Maße ungerecht. „In Aspach haben wir die Pflanzenschutzmittel ohnehin schon seit Jahren reduziert.“

Ungerecht findet er, dass selbst auf die reduzierte Menge in Schutzgebieten dann komplett verzichtet werden muss – beziehungsweise dass die reduzierte Menge noch weiter vermindert werden soll –, während in anderen Regionen und Bereichen, die bisher um ein Vielfaches mehr Pflanzenschutzmittel einsetzen, lediglich reduziert werden muss. „Wir verwenden schon seit Jahren keine Insektizide mehr und auch kein Glyphosat, wir sind schon auf dem richtigen Weg.“ Aber es sei nicht richtig, komplett auf jegliche Mittel zu verzichten, meint Ferber.

Immer mehr Richtlinien und Vorschriften belasten kleine Betriebe

Auch Andreas Schwarz, der in Allmersbach am Weinberg nicht nur Weinbau betreibt, sondern auch Felder bewirtschaftet, sieht die Richtlinie als extrem problematisch. „Wenn bestimmte Mittel verboten werden, müssen wir Alternativen finden. Die sind teurer und wirken meist nicht so gut“, sagt er. So könnte man im Weinberg alternativ zum Beispiel auch den Boden direkt bearbeiten, das allerdings hätte ein Vielzahl von Nachteilen. „Statt einmal müssten wir fünf- bis sechsmal fahren. In nassen Jahren öfter, da wächst das Gras besser“, so Schwarz. Das sei nicht nur aufwendiger und teurer, sondern belaste auch den Boden durch das wiederholte Befahren.

Ihm mache nicht nur die aktuell geplante Richtlinie Sorgen, vielmehr sei die Vielzahl an immer neuen und immer strengeren Vorschriften ein Problem für kleinere regionale Betriebe. Nachrüstungen an Geräten werden immer teurer, immer neue vorgeschriebene Seminare und Bürokratie kosten Zeit. Das sorge für große Unsicherheit bei den Landwirten. „Keiner weiß, wo es noch hingeht. Und mit solchen Verboten nimmt man die kleinen und regionalen Hersteller aus der Produktion.“ Gleichzeitig gebe es zum Teil bei importierter Ware deutlich weniger Vorschriften in der Produktion.

Landrat bezieht Stellung

Auch Landrat Richard Sigel hat sich mit dem Thema befasst und bezieht eine klare Stellung: „Insbesondere im Weinbau und in Sonderkulturen ist eine Produktion ohne den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zur Gesunderhaltung der Pflanzen und Ertragssicherung der Ernte schlichtweg nicht möglich – unabhängig davon, ob es sich um ökologisch oder konventionell wirtschaftende Betriebe handelt“, heißt es in einem Schreiben des Landrats an die Abgeordneten des Land- und Bundestags, das auch viele Bürgermeister von Weinbaukommunen im Kreis mit unterzeichnet haben. „Letztendlich hätten solche Vorschriften auch gravierende Auswirkungen auf das Landschaftsbild und in der Folge auf den Tourismus im Landkreis“, heißt es weiter.

Ohne den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln wäre in Teilen des Kreises schlicht kein Weinbau mehr möglich. Die über Jahrhunderte hinweg gepflegten Weinberge würden brachliegen und verwildern. „Touristen würden ausbleiben und damit neben den betroffenen Winzerfamilien auch die Gastronomie und Hotellerie sowie die gesamte Region leiden“, so Sigel. Auch betont der Landrat, dass sich die Landwirte in Zusammenarbeit mit dem Landwirtschaftsamt des Kreises ohnehin schon bemühen, auf Pestizide zu verzichten, sofern es möglich ist.

Das bestätigt auch Oliver Hütt vom Weingärtnerverein Kirchberg an der Murr. „Insektizide lehnen die meisten von uns ohnehin ab. Herbizide zu verwenden ist bei uns mittlerweile auch verpönt, wir mähen beziehungsweise mulchen“, erklärt er. Allerdings könne man auf Fungizide Stand heute nicht verzichten. „Ohne die Bekämpfung von echtem und falschem Mehltau hätten wir in manchen Jahren große Probleme, eine vernünftige Ernte hinzubekommen.“

Hauk: Rund die Hälfte der Flächen im Land wäre betroffen

Langfristig macht sich Hütt aber auch hier auf die Suche nach Alternativen. Versuchsweise hat er einen Steillagenweinberg mit einer pilzwiderstandsfähigen Sorte angepflanzt. „Die Sorte heißt ‚Prior‘ und muss wesentlich weniger, in optimalen Jahren fast gar nicht mit Pflanzenschutz behandelt werden. Ob das so ist, wollen wir testen. Wenn das positiv ausgeht, sehen wir Chancen, auch den Steillagenweinberg zu erhalten und das mit Vorteilen für die Umwelt“, meint Hütt.

Das Problem betrifft nicht nur den Rems-Murr-Kreis, rund 48 Prozent der Flächen im Land wären von der EU-Verordnung tangiert, das schreibt Landwirtschaftsminister Hauk. „Die Landesregierung begrüßt das grundsätzliche Ziel des Entwurfs der EU-Kommission“, antwortet Hauk in einer Stellungnahme zum Thema. Zeitgleich halte er „den vorliegenden Vorschlag jedoch für nicht geeignet, um diese vielfältigen Ziele zu erreichen. Vielmehr ist zu befürchten, dass er zu einem unverhältnismäßig hohen Aufwand an Bürokratie und Kosten sowie zu einem Rückgang und einer erheblichen Verteuerung der landwirtschaftlichen Erzeugung führen wird.“ Das betreffe insbesondere den vor allem in Deutschland überproportional hohen Anteil an Schutzgebieten.

Die geplante EU-Richtlinie

Entwurf Einen ersten Entwurf zur nachhaltigen Nutzung von Pflanzenschutzmitteln hat die Europäische Kommission bereits am 22. Juni 2022 vorgeschlagen.

Neue Richtlinie Ziel der neuen Richtlinie ist es, die Verwendung chemischer Pestizide bis 2030 um 50 Prozent zu reduzieren. Durch strenge neue Vorschriften über umweltfreundliche Schädlingsbekämpfung soll sichergestellt werden, dass alle Anwender von Pestiziden die Grundsätze des integrierten Pflanzenschutzes einhalten.

Schutzgebiete Zudem schlägt die Kommission ein Verbot jeglicher Pflanzenschutzmittel in empfindlichen Gebieten vor. Das gilt für Orte wie städtische Grünflächen, Spielplätze, Schulen, Freizeit- und Sportplätze, öffentliche Wege sowie für alle Arten von Schutzgebieten.

Widerstand In mehreren Regionen – besonders in solchen mit viel Weinbau – gibt es bereits Einspruch gegen die geplante Richtlinie. Sowohl landwirtschaftliche Verbände als auch Gemeinderäte und ganze Landkreise haben sich in Resolutionen klar gegen die geplante Richtlinie ausgesprochen. Auch haben einige Abgeordnete der Region Stuttgart im Europaparlament schon angekündigt, den Entwurf nicht mitzutragen.

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Erstellt:
11. November 2022, 06:00 Uhr

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