Kampf gegen Klimawandel
Europa verliert das Interesse am Umweltschutz
In der EU wird heftig darum gerungen, mit wie viel Ehrgeiz der Kampf gegen den Klimawandel weitergeführt wird. Die Bremser haben inzwischen die Oberhand.
© Angelika Warmuth
Die Folgen des Klimawandels sind vor allem in den Bergen nicht mehr zu übersehen. Kaum noch Schnee aber dafür viel Geröll liegt auf dem Schneeferner-Gletscher auf dem Zugspitzplatt.
Von Knut Krohn
Europas Klimaschützer blicken mit Sorge in die Zukunft. Immer lauter werden die Forderungen der Industrieunternehmen, die strengen EU-Vorgaben zum Umweltschutz aufzuweichen. Immer häufiger stoßen sie mit ihren Warnungen bei der Politik auf offene Ohren. Als Wortführer profiliert sich immer deutlicher Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), der sich jüngst beim Bundeskongress der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) in Hannover erneut dafür aussprach, die energieintensiven Industrien zu entlasten, damit diese im internationalen Wettbewerb keine Nachteile hätten.
Ein Schlag ins Gesicht der Klimaschützer
Ein Schlag ins Gesicht der Klimaschützer war dieser Tage aber der EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Brüssel. Das Thema Umwelt wurde nur am Rande behandelt und tauchte in der Abschlusserklärung als wachsweiche Formulierung auf. Deutlich wurde: der „Green Deal“, der Umbau Europas zu einem klimaneutralen Kontinent rückt angesichts des Krieges in der Ukraine, des Handelsstreit mit den USA und des wirtschaftlichen Drucks aus China in die zweite Reihe. Der Fokus beim Kampf gegen den Klimawandel soll in Zukunft auf einem „gerechten, pragmatischen, kosteneffizienten und sozial ausgewogenen“ Wandel liegen, heißt es nun.
Konkret fordern die EU-Spitzen etwa, Änderungen am Handelssystem mit Treibhausgas-Zertifikaten vorzunehmen – und damit ein Aufweichen der geplanten gesetzlichen Vorgaben. Um den Ausstoß von klimaschädigenden Gasen zu verringern, wurde 2005 das sogenannte Emissionshandelssystem (ETS) eingerichtet. Dies gilt bisher für die Industrie und den Energiesektor: Bestimmte Unternehmen müssen Zertifikate für den Ausstoß klimaschädlicher Gase wie Kohlendioxid (CO2) vorweisen und können nach Bedarf auch damit handeln. Das soll als Anreiz dienen, um Treibhausgase einzusparen. Nun soll ab 2027 das System EU-weit auf das Heizen von Gebäuden und den Verkehr ausgeweitet werden (ETS2). Damit soll ein Anreiz für mehr Sparsamkeit sowie zum Umstieg auf klimafreundliche Technologien gesetzt werden – also zum Beispiel auf Elektroautos oder klimafreundlichere Heizungen. Viele Experten erwarten dadurch einen regelrechten Preisschock für die Verbraucher. Der ADAC etwa rechnet beginnend mit 2027 und in den Folgejahren mit Steigerungen von bis zu 19 Cent pro Liter Benzin und Diesel – abhängig davon, wie schnell es beim Klimaschutz vorangeht.
Der Wind in der Diskussion dreht sich
Die Umweltschützer spüren, dass sich der Wind dreht und stemmen sich gegen das Ausdünnen der Regeln und das Verwässern der für 2040 angepeilten EU-Klimaziele. Um ihre Argumente mit Fakten zu unterfüttern, veröffentlichen sie immer neue Expertengutachten, wissenschaftliche Studien und warnende Berichte von Umweltinstituten, die die dringende Notwendigkeit des Kampfes gegen den Klimawandel belegen sollen. So haben die Grünen im Europaparlament ein Papier zur Rechtslage in Auftrag gegeben. Das Fazit ist eindeutig: Würde die EU ihre geplanten Klimaziele nicht einhalten, könnte eine bedrohliche Klagewelle auf alle Beteiligten zurollen. Das sei geradezu eine „Einladung“ vor Gericht zu ziehen, betont der Grünen-Abgeordnete Michael Bloss. Seine Partei-Kollegin Lena Schilling präsentierte am Dienstag eine Studie, die die „makroökonomischen, gesundheitlichen und arbeitsmarktbezogenen Schäden“ auflistet, die durch das Nichtstun beim Kampf gegen den Klimawandel bereits entstanden sind und noch entstehen könnten.
Offene Briefe werden ausgetauscht
Die Auseinandersetzung um die Klimaziele wird inzwischen gerne auch mittels offener Briefe ausgetragen. In diesen Tagen haben mehr als 2000 Forschende in einem Schreiben gewarnt, die Erkenntnisse der Wissenschaft zu ignorieren. Sie betonen, dass die Maßnahmen für mehr Umweltschutz eine „existenzielle Notwendigkeit“ für Europa seien. Fast zur selben Zeit landete ein offener Brief von mehr als 20 europäischen Staats- und Regierungschefs in den Briefkästen der EU-Institutionen. Als Initiator gibt sich Bundeskanzler Merz zu erkennen, gefordert wird darin, „überflüssige, übertriebene oder unausgewogene Regelungen“ abzuschaffen. Doch der deutsche Regierungschef plant weitaus mehr: Er will einen Kulturwandel in Brüssel erzwingen. Es brauche ein neues „Mindset der regulatorischen Zurückhaltung“, heißt es aus dem Kanzleramt.
Alte Ziele werden von der EU aufgegeben
Große Enttäuschung herrscht bei den Klimaschützern über EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, jene Politikerin, die den Green Deal vor knapp fünf Jahren aus der Taufe gehoben hat. Scheinbar kampflos schraubt sie bereits beschlossene Vorgaben wieder zurück. Möglich ist das auch mit der neuen, rechtskonservativen Mehrheit im Europaparlament. Den Landwirten wurden von Brüssel bereits weitreichende Zugeständnisse gemacht, das umstrittene Lieferkettengesetz steht im Namen des Bürokratieabbaus auf dem Prüfstand und es scheint nur eine Frage der Zeit, bis zumindest der geplant rigiden Form des Verbrenner-Aus für Autos das Totenglöckchen läutet.
