20 Jahre Facebook: Das hat sich im Rems-Murr-Kreis getan

Im Februar 2004 geht in den USA das soziale Netzwerk Facebook online. Was als Projekt einer Gruppe von Harvard-Studenten beginnt, schickt sich bald an, die Welt zu verändern – ob zum Besseren oder nicht, darüber gehen die Meinungen 20 Jahre später auch in Backnang auseinander.

Für Matti Burkhardt, bei den American Footballern der Backnang Wolverines seit 2011 zuständig für den Social-Media-Auftritt, hat Facebook zu Anfang der 2010er-Jahre eine enorme Bedeutung. Mittlerweile stagniere die Entwicklung allerdings, stellt er fest. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Für Matti Burkhardt, bei den American Footballern der Backnang Wolverines seit 2011 zuständig für den Social-Media-Auftritt, hat Facebook zu Anfang der 2010er-Jahre eine enorme Bedeutung. Mittlerweile stagniere die Entwicklung allerdings, stellt er fest. Foto: Alexander Becher

Von Kai Wieland

Rems-Murr. Pechschwarze Wolken verfinstern am Abend des 30. Juni 2012 den Horizont. Es ist ein Samstag, der Backnang unfreiwillig auf die Bühne bundesweiter Nachrichtenformate wie „Brisant“ zerrt. Allerdings nicht wegen des heftigen Gewitters, das in der Nacht über die Stadt hereinbricht, sondern vor allem wegen der denkwürdigen Szenen in den Stunden zuvor. Inspiriert vom im selben Jahr erschienenen Kinofilm „Project X“ hatte ein bis heute unbekannter Nutzer auf der Plattform Facebook eine Veranstaltung erstellt: Die Einladungen zu dieser Party im Plattenwald verbreiteten sich in dem Netzwerk wie ein Lauffeuer, mehr als 22000 Menschen meldeten sich an, Stadt und Polizei schlugen Alarm. Letztlich versammeln sich am besagten Tag „nur“ rund 1000 feierbereite Jugendliche in der Stadt, dazu ein beachtliches Polizeiaufgebot, welches die jungen Leute am Betreten des Plattenwalds hindert. Das soziale Netzwerk Facebook ist den meisten Backnangern zu diesem Zeitpunkt längst ein Begriff. Es ist aber wohl das erste Mal, dass dessen Potenzial zur Mobilisierung von Menschenmassen in der Region sicht- und spürbar wird.

Die sogenannte Project-X-Party im Plattenwald nimmt im Juni 2012 dank Facebook bedrohlich an Fahrt auf und bringt Backnang bundesweit in die Medien. Archivbild: Edgar Layher

© Edgar Layher

Die sogenannte Project-X-Party im Plattenwald nimmt im Juni 2012 dank Facebook bedrohlich an Fahrt auf und bringt Backnang bundesweit in die Medien. Archivbild: Edgar Layher

Seit März 2008 gibt es einen deutschsprachigen Facebook-Auftritt, doch in der Breite erreicht das neue soziale Netzwerk Backnang erst in den 2010er-Jahren. Was es damals von anderen Plattformen wie Kwick oder StudiVZ unterscheidet ist die Tatsache, dass nicht nur Privatpersonen, sondern auch Unternehmen, Organisationen, Vereine und Kommunen in diesem digitalen Neuland präsent sein wollen. Am 23. November 2010 erstellt die Firma Harro Höfliger aus Allmersbach im Tal eine Seite für das Unternehmen, am 15. Februar 2011 ist es auch bei Tesat so weit. Noch früher springen Musikerinnen und Musiker wie Andrea Berg (22. April 2010) oder die Gruppe Wendrsonn (9. Juni 2010) auf den Zug auf. „Wir werden hier auf Konzerte hinweisen, öfter neue Videos verlinken und alle sonstigen Neuigkeiten verbreiten“, erklärt die Band in ihrem ersten Post. Bis heute kann sie mehr als 4000 Follower, die Währung sozialer Netzwerke, um sich scharen.

Eine direkte Form der Kommunikation

Eine der ersten Kommunen, die sich in der Region einen Facebook-Auftritt zulegt, ist am 19. Juli 2013 Althütte. „Unser Ziel war es, auf den unterschiedlichsten Wegen die einzelnen Zielgruppen anzusprechen, mit entsprechend aufbereiteten Informationen“, erklärt Bürgermeister Reinhold Sczuka, der den Kanal bis heute selbst bespielt. „Mit Facebook war die Möglichkeit gegeben, mittels wenig Text und Bildern die Informationen zu streuen, und dies vor allem auf eine sehr schnelle Art und Weise.“

Nur wenige Tage später, am 6. August, zieht die Stadt Backnang nach. Der Impuls sei damals aus dem Stadtmarketingverein gekommen, erklärt Pressesprecher Christian Nathan. Anfangs habe man die Plattform daher vor allem genutzt, um Veranstaltungen zu bewerben, später seien städtische Informationen hinzugekommen. „Der Kanal wurde über die Jahre mit unterschiedlicher Ausrichtung und Intensität bespielt.“ Heute stünden unter Oberbürgermeister Maximilian Friedrich für die Social-Media-Arbeit extra Stellenanteile zur Verfügung, um die Bürger dort zu erreichen, wo sie sich ohnehin immer öfter ihre Informationen beschafften. „Der große Vorteil von Facebook wie sozialen Medien im Allgemeinen ist die direkte Kommunikation miteinander in Echtzeit und ohne einen redaktionellen Gatekeeper“, erklärt Nathan und schränkt ein, dass dort zugleich eine wesentliche Gefahr der sozialen Netzwerke liege.

Für Nischensportarten wie American Football birgt diese direkte Kommunikation Anfang der 2010er-Jahre eine nie da gewesene Chance. „Wir sind früh auf den Zug aufgesprungen, da wir als Randsportart extrem auf erfolgreiche Spielerwerbung angewiesen sind“, erklärt Matti Burkhardt, kommissarischer Vorstand der Backnang Wolverines und seit 2011 zuständig für den Social-Media-Auftritt. „Wir haben Facebook in erster Linie zu Werbezwecken genutzt und tun das auch heute noch aktiv, teils auch mit bezahlter Werbung, um potenzielle Spieler auf uns aufmerksam zu machen.“

Die Zielgruppe ist entscheidend

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Von diesem Werbeeffekt weiß auch Christos Kiroglou, Betreiber des Merlin in Backnang, zu berichten: „Facebook-Partys gingen damals durch die Decke, es war ganz wichtig, dass man da dabei war“, betont er. Noch heute habe Facebook enorme Bedeutung für sein Geschäft, auch wenn er darüber hinaus Instagram und TikTok nutze.

Je nach Zielgruppe hat Facebook diese Bedeutung nicht für alle bewahrt, denn die Plattform hat sich seit der Anfangszeit verändert. „Wir machen seit Jahren die Erfahrung, dass unsere Follower-Anzahl stagniert, während wir auf Instagram netto 200 Follower in 2023 hinzugewonnen haben“, berichtet Burkhardt. „Facebook wird unserem Gefühl nach inzwischen eher von Älteren benutzt. Wenn beispielsweise zu einem Probetraining zehn Neulinge kommen, sind davon sieben über Instagram auf uns aufmerksam geworden und einer über Facebook, wenn überhaupt.“

Die Plattform hat sich gewandelt

Dieses Gefühl trügt nicht. Laut der Online-Studie von ARD und ZDF ist der durchschnittliche Facebook-Nutzer älter als auf anderen Social-Media-Plattformen. Der Anteil der 14- bis 29-Jährigen, die mindestens einmal wöchentlich Facebook nutzen, betrug im Zeitraum von 2019 bis 2023 nur 34 Prozent, während es beim Marktführer Instagram 79 Prozent, bei TikTok 41 Prozent und bei Snapchat 52 Prozent waren. In den Altersgruppen 30 bis 49, 50 bis 69 und ab 70 hängt Facebook hingegen alle Wettbewerber ab. Allerdings werden auch Begleiterscheinungen wie Fake News, Shitstorms und Cybermobbing stark mit Facebook assoziiert, wenngleich sie auch auf anderen Plattformen auftreten. „Ich weiß nicht, ob wir Facebook etwas zu verdanken haben“, sagt der Musiker Gitze, welcher sich im Februar 2012 aus Neugier eine Seite erstellte. „Ich befürchte, dass solche Plattformen nicht zu mehr Menschlichkeit beitragen.“

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Erstellt:
6. Februar 2024, 06:00 Uhr

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