Flucht in den Irak

Facharbeiter Nieves Ribullen verlässt Heimatland Venezuela und heuert in anderem Krisengebiet an – Bundespräsident Steinmeier besucht Südamerika

Punto Fijo (AP/tok). Nieves Ribullen ist ein gefragter Mann – allerdings nicht in seiner Heimat. Um seiner Familie in Venezuela ein anständiges Leben zu ermöglichen, hat er einen Job im Irak angenommen. Aktuell, in einem Raffinerie-Komplex in der venezolanischen Hafenstadt Punto Fijo, verdient er weniger als 20 Dollar (17,50 Euro) im Monat. Im Irak werden ihm mehr als 3500 Dollar versprochen. Viele seiner Kollegen haben bereits ähnliche Angebote angenommen – in Angola, Kuwait oder Chile.

Nach Jahren der Misswirtschaft ist die Ölindustrie Venezuelas nur noch ein Schatten ihrer selbst. Viele sehen daher inzwischen keine andere Wahl, als irgendwo anders auf der Welt ihr Glück zu versuchen. „Mein Einkommen reicht gerade mal für ein Kilo Fleisch und ein Huhn pro Monat“, sagt Ribullen, der eine Frau und drei Kinder zu versorgen hat. „Das ist hier das reinste Chaos.“

Der Oppositionsführer Juan Guaidó, der bereits von etwa 40 Staaten als rechtmäßiger Übergangspräsident Venezuelas anerkannt wird, kommt bei vielen der desillusionierten Fachkräfte der Ölindustrie gut an. Doch selbst wenn er sich im Machtkampf mit dem bedrängten Regierungschef Nicolás Maduro am Ende durchsetzen sollte – der Exodus der Spezialisten macht eine baldige Erholung der Branche immer unwahrscheinlicher.

Aktuell liegen die Fördermengen auf dem niedrigsten Stand seit sieben Jahrzehnten. 3,5 Millionen Barrel pro Tag förderte Venezuela einst pro Tag. Heute bringt die nationale Erdölgesellschaft nicht einmal ein Drittel dessen zustande. Mittelfristig könnte es sogar noch weiter bergab gehen. Denn um das Regime von Maduro unter Druck zu setzen, hat US-Präsident Donald Trump gerade zusätzliche Sanktionen gegen die Gesellschaft und deren im texanischen Houston ansässiges Tochterunternehmen Citgo veranlasst. Obwohl dies die Krise in Venezuela zunächst weiter verschlimmern dürfte, bezeichnet Guaidó die Strafmaßnahmen als notwendigen Schritt, um die „Diktatur“ Maduros zu beenden.

Dass wichtige Fachkräfte der Ölindustrie das Land verlassen, ist nicht ganz neu. Eine erste Ausreisewelle begann 2003. Damals hatte Präsident Hugo Chávez nach einem wochenlangen Streik Tausende von ihnen gefeuert. Nach Schätzung von Tomás Páez von der Zentraluniversität von Venezuela verließen damals etwa 30 000 Ölarbeiter das Land. Wie viele angesichts der zunehmenden Probleme unter Maduro zuletzt gegangen seien, sei schwer zu sagen, sagt er. Fest stehe aber, dass fast überall dort, wo Erdöl gefördert werde, inzwischen Venezolaner im Einsatz seien – in mehr als 90 Ländern.

Der 43-jährige Ribullen hat sich seine Entscheidung nicht leicht gemacht. Seine Familie wird er in den kommenden Jahren nur selten sehen. Doch er hofft, dass er im Nahen Osten genug Geld verdienen kann, um die Familie eines Tages ins wohlhabende Chile oder in die USA schicken zu können. Als er vor 16 Jahren in der Branche angefangen habe, habe er sich einen Toyota kaufen und jedes Jahr mit der Familie Urlaub machen können. Doch das Auto habe er schon lange nicht mehr – und der letzte Urlaub liege schon sieben Jahre zurück.

Aber nicht nur die Ölarbeiter verlassen das Land. Seit Jahren flüchten immer mehr Venezolaner wegen der katastrophalen Versorgungslage und staatlicher Repressionen in Länder wie Kolumbien oder Ecuador. Für diese Staaten ist der Flüchtlingsstrom eine riesige Herausforderung. Er wird deshalb eines der großen Themen während des an diesem Montag beginnenden sechstägigen Besuchs von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Kolumbien und Ecuador sein. In der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá, in der inzwischen Zehntausende venezolanische Migranten leben, ist unter anderem ein Besuch Steinmeiers in einer Anlaufstelle für venezolanische Flüchtlinge geplant.

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Erstellt:
11. Februar 2019, 03:04 Uhr

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