Frischer als die Ware aus dem Supermarkt

Regionale Lebensmittel sind seit dem Beginn der Coronapandemie gefragter denn je. Auch aus Backnang und den umliegenden Gemeinden kann man Obst und Gemüse beziehen – oder gleich selbst anbauen.

In seinem Hofladen verkauft Landwirt Jürgen Benignus das Obst und Gemüse, das er selbst anbaut. Foto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

In seinem Hofladen verkauft Landwirt Jürgen Benignus das Obst und Gemüse, das er selbst anbaut. Foto: J. Fiedler

Von Melanie Maier

BACKNANG/WEISSACH IM TAL. Erst war der Apfel dran, es folgten der Weißkohl, die Kartoffel und Rote Bete: Jeden Monat möchte das Verbundprojekt Prima Klima aus Weissach im Tal den Fokus auf ein Lebensmittel aus der Region richten und so dafür sorgen, dass wieder mehr Menschen zu regionalem und saisonalem Obst und Gemüse greifen. Der Trend geht deutschlandweit hin zu regionalen Lebensmitteln, insbesondere zu Coronazeiten. Die Coronakrise habe den „enormen Stellenwert“ einer flächendeckenden, regionalen Erzeugung „für uns alle“ deutlich gemacht, sagt auch Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU). Dem neuesten Ernährungsreport ihres Ministeriums zufolge legen mehr als vier von fünf Befragten (83 Prozent) beim Einkauf Wert darauf, dass ein Lebensmittel aus der Region kommt. 2017 waren es noch 78 Prozent. Das langfristige Ziel des Verbundprojekts Prima Klima, das aus der Gemeinde Weissach, den Vereinen Klimaschutz konkret und Kubus besteht und vom Bundesumweltministerium gefördert wird, ist es, pro Einwohner und Jahr zwei Tonnen CO2 einzusparen. Die Wertschätzung für Lebensmittel aus der Gegend ist einer der Wege, mit dem das erreicht werden soll.

Zu Beginn des Projekts, das noch bis Ende September läuft, habe man darüber nachgedacht, wie man die Weissacher am besten mitnehmen kann, berichtet die Projektleiterin Silke Müller-Zimmermann. Koch-Events vor Ort waren 2020 wegen der Pandemie nicht möglich. So kam die Idee auf, einen Saisonkalender mit klimafreundlichem Obst und Gemüse zu erstellen, dessen Anbau und Transport möglichst wenig CO2 verursacht. „Wir Menschen sind nur ein kleiner Teil der Natur“, sagt Müller-Zimmermann. „Doch was wir tun und wie wir uns verhalten, kann verheerende Auswirkungen auf das ökologische Gleichgewicht haben.“

Die Ernährung sei einer der elementaren Bereiche, mit dem man den persönlichen CO2-Fußabdruck möglichst klein halten kann, sagt Müller-Zimmermann. Um das lokal zu fördern, bietet Prima Klima zudem verschiedene Liefer- und Bringservices an. Vor allem Kurzstrecken wie die samstägliche Fahrt zum Bäcker seien fatal, so die Projektleiterin: „Die Leute denken nicht an die Abgase, die sie wegen drei Brötchen in die Luft stoßen.“

Die Vorteile regionaler Lebensmittel liegen auf der Hand: Man bekommt sie frischer als die Ware aus dem Supermarkt, weite Transportwege und unnötige Verpackungen entfallen. Besonders, wenn man selbst anbaut. „Wer einen Garten hat, sollte Rote Bete unbedingt einpflanzen“, rät Müller-Zimmermann.

„In Deutschland geben wir für alles viel Geld aus – für die Miete, für das Auto. Nur nicht für Lebensmittel.“

Ein „Äggerle“ kann man in Backnang zum Beispiel nahe des Ungeheuerhofs bewirtschaften. Dort vermietet Landwirt Jürgen Benignus von Mai bis Oktober Parzellen in verschiedenen Größen an Privatpersonen. Im vergangenen Jahr – dem ersten des Projekts – wurden 24 Flächen à 60 oder 100 Quadratmeter bepflanzt und beackert. Momentan sind zirka 28 Parzellen vergeben, mehr könnte Benignus aber jederzeit bereitstellen. Auch ihm geht es darum, die Wertschätzung für Lebensmittel zu erhöhen. „In Deutschland geben wir für alles viel Geld aus – für die Miete, für das Auto“, sagt er. „Nur nicht für Lebensmittel.“ Der Landwirt, der bereits seit 20 Jahren selbstständig ist, ist sich sicher, dass sich die Bereitschaft dazu, Bauern einen angemessenen Preis für ihre Erzeugnisse zu bezahlen, ändern würde, wenn die Leute wüssten, welcher Aufwand hinter ihrem Anbau steckt. „Selbst Lebensmittel zu erzeugen bedeutet auch einen gewissen Stress“, sagt er. Viele seiner Mieter waren täglich auf ihrer Parzelle, um zu gießen oder Unkraut zu jäten. Gedüngt werden darf auf den Flächen nicht: Benignus pocht auf biologische Landwirtschaft.

Was die Leute anpflanzen, bleibt ihnen dagegen selbst überlassen. Und so wuchs im vergangenen Jahr auf den Feldern „eigentlich alles, was man sich vorstellen kann“, sagt Benignus: Salate, Tomaten, Kohlrabi, Blumenkohl, Kürbisse, Fenchel, Paprika, Auberginen, Zucchini, Lauch, Brokkoli, Wirsing, Mangold, Bohnen – sogar Wassermelonen. „Am Schluss war das eine regelrechte Tauschbörse“, sagt Benignus und schwärmt: „Es ist echt toll, was viele daraus gemacht haben.“ Einige haben auch Blumen angepflanzt. Sein Highlight sei eine Kiwitomate gewesen. „Die habe ich vorher nicht gekannt.“ Zwei Reihen mit Kartoffeln und Zwiebeln bereitet der Landwirt und Betreiber eines Hofladens im Weiler Ungeheuerhof aber vor, um den Start zu erleichtern.

Empfehlungen, was man als Anfänger anbauen sollte und was nicht, möchte Benignus nicht geben. „Man kann alles versuchen“, sagt er. „Ich würde grundsätzlich niemandem von etwas abraten.“ Mit den Jahren würden die Erfahrungswerte zwar steigen. Aber die Sorten, die in einem Jahr gut wachsen, wachsen im nächsten nicht zwangsläufig genauso gut, weiß Benignus: „Das hängt vor allem von der Witterung ab.“ Was das Klima angehe, wachse im Rems-Murr-Kreis mittlerweile fast alles. Dem Klimawandel sei Dank, ausnahmsweise. Die Frage, die man sich stellen müsse bei der Wahl der Obst- und Gemüsesorten, sei vor allem: „Wie viel Zeit bin ich bereit zu opfern?“, erklärt der Landwirt.

Mehr als um alles andere geht es ihm und seinen Mietern aber um die Freude, in der Natur zu sein, und um die gemeinsame Zeit, die während der Pandemie viel zu kurz kommt. „Am Schluss war das letztes Jahr ein eingeschworener Haufen“, so Benignus. „Wenn ich tagsüber Stress hatte, bin ich abends eine Stunde durch die Gärten gelaufen. Da ist mir das Herz aufgegangen.“

Silke Müller-Zimmermann vom Verbundprojekt Prima Klima möchte Ende des Jahres ein Buch zusammenstellen aus den Rezepten, welche die Weissacher Bürger eingeschickt haben. So können auch in ein paar Jahren noch andere von der Aktion profitieren, indem sie die Rezepte nachkochen – mit regionalen oder selbst angebauten Lebensmitteln.

Wer ein Rhabarberrezept einreichen möchte (gerne mit Foto), kann es per E-Mail an primaklima@kubusev.org beziehungsweise per WhatsApp an 0176/55529374 schicken oder es beim Klimakultur-Zentrum, Welzheimer Straße 43 in Unterweissach, einwerfen. Mehr Infos zu Prima Klima unter www.klimaschutzweissachimtal.de. Alle Infos zum „Äggerle“-Projekt gibt es unter https://aeggerle-benignus.jimdosite.com.

Aussaat-Kalender

Bei vielen Gemüsearten gibt es Früh- und Spätsorten. Trotzdem kann man meistens Zeiträume festlegen, in denen sich die Pflanzen besonders gut entwickeln. Eine Auswahl (Erntezeitraum in Klammern).

Eine Aussaat im April eignet sich bei unter anderem bei Blumenkohl (frühe Sorten, Juli), Karotten (ab Mai), Kohlrabi (Juni bis Oktober), Kopfsalat (ab Mai), Erbsen (ab Juni), Pastinaken (September bis November), Spinat (Frühjahrsaussaat, April bis Juni), Radieschen (frühe Sorten, April bis Juni) und Zwiebeln (August bis September).

Bis Mai – traditionell bis zu den Eisheiligen – sollte man bei frostempfindlichen Gemüsearten warten. Ab Juni können manche Sorten nachgesät werden. Buschbohnen (Juli bis September), Brokkoli (Juli bis Oktober), Gurken (Juli bis September), Kürbis (September bis Oktober), Mangold (Juli bis Oktober), Radieschen (Folgesaat, Juli bis September), Salat (Folgesaat, Juli bis September), Rosenkohl (Oktober bis Februar), Zucchini (Juli bis September).

Im Juli oder August ausgesät werden Feldsalat (September bis Dezember), Porree (September bis Dezember), Radieschen (August bis Oktober) und Spinat (Herbstaussaat, September bis Oktober).

Eine herbstliche Aussaat im September ist angesagt bei Feldsalat (ab März im Folgejahr), Mangold (ab März), Rucola (ab Oktober), Spinat (ab März) Winter-Portulak (ab März), Winterknoblauch (ab März), Rucola (ab März).

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Erstellt:
12. April 2021, 06:00 Uhr

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