Gaskrise: Firmen wappnen sich für den Winter

Die Gaskrise macht der Wirtschaft zu schaffen und sorgt auch bei Firmen und Institutionen im Rems-Murr-Kreis für Gedankenspiele, wie man sich die Energie anderweitig besorgen oder den eigenen Verbrauch senken kann.

Über die Tanks und Leitungen der Backnanger Stadtwerke wird unter anderem auch das ortsansässige Unternehmen Tesat mit Gas versorgt. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Über die Tanks und Leitungen der Backnanger Stadtwerke wird unter anderem auch das ortsansässige Unternehmen Tesat mit Gas versorgt. Foto: Alexander Becher

Von Bernhard Romanowski

Rems-Murr. Die Energiekrise im Zuge des Ukrainekriegs, insbesondere die der Versorgung mit Erdgas, zeigt weltweit Folgen. Insbesondere die Wirtschaft blickt bange gen Osten, wo der russische Präsident Wladimir Putin als Herr über den Gashahn einen äußerst wirksamen Hebel besitzt, um das Marktgeschehen in den EU-Ländern zu beeinflussen und deren Regierungen unter Druck zu setzen. Wir haben uns umgehört, inwieweit die Gaskrise sich auch im Rems-Murr-Kreis und im Backnanger Raum niederschlägt und wie die Akteure aus Wirtschaft und Verwaltung darauf reagieren.

Tesat-Spacecom

„Bei Tesat wird ein Notfallplan bei Gasreduzierung aufgestellt und wir haben auch bereits Maßnahmen zur Energieeinsparung eingeleitet“, teilt uns Thomas Reinartz als CEO, also als Geschäftsführer des Backnanger Unternehmens Tesat-Spacecom mit. Neben der Heizung werde bei Tesat auch die Luftqualität für 12000 Quadratmeter Reinräume mit gasbetriebenen Luftbefeuchtern reguliert. Bei einem Reinraum handelt es sich um einen Raum mit sehr geringer Konzentration luftgetragener Teilchen. „Sollte es zu einer Gasabschaltung kommen, würde das unsere Produktion sofort unterbrechen und die wirtschaftlichen Folgeschäden wären unabsehbar, da Schadenersatzforderungen von Kunden weltweit zu erwarten sind“, gibt Reinartz zur Tragweite des Problems zu verstehen. Eine kurzfristige Umstellung der Energiequelle sei für ein Unternehmen der Größe wie Tesat nicht umsetzbar. Reinartz: „Deshalb sind die Stadt Backnang und Tesat im ständigen Austausch, damit die Gasversorgung gesichert ist.“

d&b Audiotechnik

d&b Audiotechnik nutzt Gas zur Wärmeerzeugung in bestimmten Produktionsprozessen und zur Heizung der Gebäude. Die Situation ist volatil und verlässliche Prognosen zur Versorgungssicherheit mit Gas sind momentan nicht zu bekommen. Deshalb haben wir uns nach der ersten Abschaltung von Nord Stream 1 dazu entschlossen, eine alternative temporäre Energieerzeugung auf Basis von Öl zu mieten“, erklärt Amnon Harman auf unsere Nachfrage. Wie der CEO der Backnanger Firma weiter erläutert, wird die Alternative seiner Firma ab September zur Verfügung stehen und die Produktionsprozesse und teilweise die Heizung der Gebäude absichern. Harman spricht hier von Produktionsprozessen, da Gas nicht nur zur Wärmeerzeugung genutzt wird, sondern in der Wirtschaft in vielfältiger Nutzungsweise zum Einsatz kommt.

Industrie- und Handelskammer Rems-Murr

„Bleiben Sie gedanklich im eigenen Haus und denken an das Papier, das Sie zur Produktion der Printausgabe Ihrer Zeitung brauchen“, gibt uns Markus Beier zu verstehen. Der Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Rems-Murr erinnert an den hohen Energieaufwand zur Papierherstellung, weswegen die Kosten für das Produkt entsprechend gestiegen seien. So seien viele Unternehmen zwar indirekt, aber eben doch stark von der Gaskrise betroffen. „Keine Glashütte, kein Stahlwerk und keine Chemiefabrik kommt ohne Gas aus. Ein Mangel in diesem Bereich führt zu einem Mangel an bestimmten Vorprodukten, auf die Unternehmen angewiesen sind“, verdeutlicht Beier weiter und nennt hier insbesondere auch die aluminiumverarbeitenden Betriebe, den Bereich Maschinen- und Fassadenbau, die Verpackungsindustrie und die Autozulieferer. Auch auf den Lebensmittelbereich – etwa mit Blick auf Molkereiprodukte – verweist er, um deutlich zu machen, wie weitreichend und komplex das Problem jenseits des Themas Heizen im Winter ist.

IHK Region Stuttgart

Um den Unternehmen eine Hilfestellung zu bieten, hat die IHK Region Stuttgart bereits zwei Infoveranstaltungen im Internet organisiert. Zuletzt gaben Nicole Oeter von NetzeBW, einer hundertprozentigen Tochter des Energieversorgers EnBW, sowie Hauke Dierks vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag sehr detaillierte Informationen unter anderem über den dreistufigen Notfallplan Gas der Bundesnetzagentur, über deren Priorisierung bei einer notwendigen Abschaltung der Leitungen bestimmter Kunden und über die staatlich geförderten Möglichkeiten für Unternehmen, ihre bestehenden Energieerzeugungsanlagen technisch zu erneuern oder umzurüsten. Zu der Frage, warum überhaupt Kunden bei einer entsprechenden Notlage vom Netz genommen werden sollen, nannte Oeter die sogenannte Systemstabilität, die gewahrt werden müsse. Wenn nämlich der Druck im Gasnetz mangelbedingt zu sehr abfalle, drohe der Kollaps des gesamten Netzes, was unter allen Umständen vermieden werden müsse.

L-Mobile

Christian Gmehling in Sulzbach an der Murr hat indessen Nachrichten parat, die seine Kollegen erfreuen dürften: „Wir merken die Folgen nur indirekt durch die Inflation. Wir haben uns dazu entschieden, für alle Mitarbeiter pauschal das Gehalt um die Höhe der Inflation anzuheben, zirka die Hälfte jetzt zum Juli, den Rest dann Ende des Jahres, wenn die Höhe der tatsächlichen Inflation bekannt ist“, teilt uns der Marketingleiter der Softwarefirma L-Mobile mit. Im Übrigen sei die Auftragslage für die Sulzbacher Firma nach wie vor gut. „Einzig Interessenten mit hohem Gasverbrauch stellen ihre Investitionsentscheidung zurück“, so Gmehling.

Stihl AG & Co. KG

Ein Global Player, also ein am weltweiten Markt agierendes Unternehmen wie die Stihl AG & Co. KG, ist da schon unmittelbarer von steigenden Energiepreisen betroffen. „Den Strom- und Gasbedarf für die Jahre 2022 und 2023 haben wir bereits überwiegend über bestehende Lieferverträge eingedeckt. Sollten die Energiepreise jedoch auf dem aktuellen hohen Niveau bleiben oder noch weiter steigen, erwarten wir ab 2024 spürbare Auswirkungen auf unsere Energiekosten“, lässt uns Sabrina Haufler wissen. Wie die Referentin für externe Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit des Waiblinger Konzerns weiter mitteilt, versucht man bei Stihl, die Bestände an Waren zu erhöhen, die für die Produktion benötigt werden, da ein Ausfall von Gas Auswirkungen auf einen Großteil der Lieferkette hätte. „Allerdings gestaltet sich dies in der aktuellen Situation ebenfalls schwer“, wie Haufler berichtet. In ihrem Hause wird derzeit ein Notfallplan erarbeitet mit dem Ziel, die Produktion im Falle eines Ausfalls oder einer Reduzierung der Gasversorgung bestmöglich aufrechtzuerhalten. Außerdem werden Maßnahmen vorbereitet, um kurzfristig sowohl den Energieverbrauch zu reduzieren als auch Erdgas durch Öl und Strom für die Versorgung der Werke – zumindest teilweise – zu ersetzen. „Eine Reduzierung bis zu einem gewissen Umfang könnte durch die bereits vorbereiteten Maßnahmen mit Mehrkosten, aber ohne Produktionsstillstände abgebildet werden. Ein Komplettausfall von Gas ohne Ersatz würde auch bei Stihl zu deutlichen Produktionskürzungen beziehungsweise teilweise zu Produktionsausfällen führen“, führt Haufler aus und weitet den Blick aus auf europäisches Parkett. Ein Komplettausfall von Gaslieferungen, die andere Lieferanten nicht kurzfristig ersetzen können, wäre ihr zufolge ein gewaltiger Stresstest für die Europäische Union: „Dies würde die Industrie massiv schwächen und hat unabsehbare Folgen für Versorgungssicherheit, Wachstum, Beschäftigung und die politische Handlungsfähigkeit.“

Kreisverwaltung Rems-Murr

Der Rems-Murr-Kreis wappnet sich unterdessen auch für die drohende Verschärfung der Gaskrise und stimmt konkrete Maßnahmen für den Herbst und Winter ab. „Dabei dienen die Vorgaben des Landes als Richtschnur“, sagt Martina Keck von der Pressestelle des Landratsamts. Konkret meint sie einen Beschluss des interministeriellen Verwaltungsstabes Gas des Landes Baden-Württemberg von Mitte Juli. Darin gibt das Land nach Angaben von Keck folgende Punkte vor:

- Nutzung regenerativer Energien, energetische Sanierung

- Absenkung der Raumtemperatur und Optimierung von Heizungen

- Reduzierung des Verbrauchs von Warmwasser und Strom, Optimierung von Verbräuchen

„Das heißt: Auch wir werden aller Voraussicht nach die Temperatur in unseren Liegenschaften senken – dort, wo es Sinn macht. Eine Absenkung der Raumtemperatur von 21 Grad Celsius auf 20 Grad würde zum Beispiel eine Ersparnis von rund sechs Prozent der Heizkosten in allen Verwaltungs-und Bildungsobjekten bedeuten“, rechnet man im Landratsamt vor.

„Zudem erweisen sich jetzt unsere Bemühungen um energetische Sanierung und moderne Energiekonzepte ohne fossile Energieträger als umso wertvoller“, heißt es weiter aus dem Waiblinger Kreishaus. Über 40 Prozent der Gebäude im Bestand der Kreisbaugruppe werden bereits über Wärmepumpen, Fernwärme oder Ähnliches beheizt: das Landratsamt am Alten Postplatz in Waiblingen zum Beispiel mit Fernwärme.

Im Rahmen des Klimaschutzhandlungsprogramms der Kreisbaugruppe sei man gerade dabei, den Immobilienbestand in Kreisbesitz zu überprüfen. „Dazu hat uns ein ausgewiesener Experte bescheinigt, dass der Energieverbrauch unseres Immobilienbestandes weit besser sei als der Durchschnitt“, so Pressesprecherin Keck. Mit dem Experten meint sie Professor Ralf Wörner, der das Institut für Nachhaltige Energietechnik und Mobilität der Hochschule Esslingen leitet. Wie bereits mehrfach berichtet, hat der Kreis hat ihn und seine Studenten mit ins Boot geholt, um im Rahmen eines Studienprojekts eine CO2- und Energiebilanz für die Liegenschaften des Kreises zu erstellen. Auch mit Blick auf die Energiekrise spricht vieles für unsere Neubauprojekte, zum Beispiel für den Erweiterungsbau des Landratsamts am Alten Postplatz oder die Wohnungen über dem Parkhaus des Gesundheitszentrums Backnang, beides in klimafreundlicher Holzbauweise und energetisch auf dem neuesten Stand.

Landrat Richard Sigel sagte bei der jüngsten Pressekonferenz der Kreisbaugruppe, dass es nicht darum gehe, in Panik zu verfallen, sondern vielmehr darum, jetzt die richtigen Weichen zu stellen. „Wir haben uns einen Überblick über die Liegenschaften, ihre Energieversorgung und die möglichen Maßnahmen verschafft und stimmen nun die nötigen Maßnahmen in Anlehnung an die Vorgaben des Landes ab“, so der Landrat. Wichtig sei dabei auch der enge Austausch mit den Beteiligten, zum Beispiel den Energieversorgern.

Wie wird im Rems-Murr-Kreis geheizt?

Der Backnanger SPD-Landtagsabgeordnete Gernot Gruber hat sich jüngst schlau gemacht zum Stand der Heizungen im Kreis.

Fossile Mehrheit Neun von zehn Wohngebäuden mit Zentralheizung im Rems-Murr-Kreis werden fossil beheizt, so Gruber.

Zur Hälfte Erdgas Von den 73631 Wohngebäuden mit Zentralheizung im Rems-Murr-Kreis wird fast die Hälfte mit Erdgas beheizt. Das geht aus einer Antwort der Landesregierung auf eine Antwort des Backnanger Landtagsabgeordneten hervor.

Über Landesschnitt „Das liegt im bundesdeutschen Durchschnitt und damit deutlich über dem Schnitt in Baden-Württemberg, wo Erdgas nur für etwas mehr als 30 Prozent der zentral beheizten Wohngebäude verbrannt wird“, sagt der Abgeordnete aus Backnang.

Gas gegen Kohle Bei Ölheizungen liegen der Rems-Murr-Kreis und Baden-Württemberg mit 40 Prozent gleichauf, aber in klimatischer Hinsicht deutlich hinter dem Bund (30 Prozent), da Gas eine bessere CO2-Bilanz habe als Öl. Der Austausch einer Öl-Niedertemperaturheizung gegen einen Gas-Brennwertkessel könne sogar rund 40 Prozent an CO2 einsparen.

Unabhängigkeit Für den Klimaschutz entscheidend sei, wie effizient die Heizanlage arbeitet und wie es gelingen kann, den Anteil regenerativer Energien zu erhöhen: „Das wäre nicht nur ein Beitrag für den Klimaschutz, damit macht sich Deutschland auch unabhängiger vom Import fossiler Brennstoffe“, so Gruber.

Klimaschutzbilanz Bei einem Umstieg von einer Ölheizung auf eine Wärmepumpe oder ein Nahwärmenetz sind CO2-Einsparungen von über 50 Prozent möglich. Je höher der Anteil an regenerativen Energien einer Heizung sei , desto besser werde die Klimaschutzbilanz, erklärt der Landtagsabgeordnete.

Wärmedämmung „Mindestens so wichtig wie effiziente Heizanlagen ist die Wärmedämmung der Häuser. Dann können die Heizungen kleiner dimensioniert und aufgrund geringerer Vorlauftemperaturen Energie, Geld und CO2 eingespart werden“, so Grubers Recherche.

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Erstellt:
2. August 2022, 06:00 Uhr

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