Israel stoppt Hilfsschiff

Gaza, die „Madleen“ und das Völkerrecht – Wo steht Deutschland?

Ein Hilfsschiff für Gaza wird in internationalen Gewässern gestoppt, Aktivisten an Bord festgenommen. Ein Völkerrechtler erklärt, warum das rechtlich heikel ist.

Das Hilfsschiff „Madleen” liegt am 10. Juni 2025 im südlichen Hafen von Ashdod vor Anker. Es wurde am Vortag von israelischen Streitkräften abgefangen.

© JACK GUEZ/AFP

Das Hilfsschiff „Madleen” liegt am 10. Juni 2025 im südlichen Hafen von Ashdod vor Anker. Es wurde am Vortag von israelischen Streitkräften abgefangen.

Von Gülay Alparslan

Es sollte wohl vielmehr ein symbolischer Appell, als ein ernsthafter Durchbruchversuch sein: Anfang Juni machten sich zwölf Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten, darunter Greta Thunberg und die EU-Abgeordnete Rima Hassan, mit dem Schiff „Madleen“ von Sizilien aus auf den Weg Richtung Gazastreifen – an Bord: Babynahrung, medizinisches Material und Wasseraufbereitungsanlagen. Die von der Freedom Flotilla Coalition organisierte „Madleen“ sollte die öffentliche Aufmerksamkeit auf die katastrophale humanitäre Lage in Gaza lenken und ein Signal an die internationale Gemeinschaft senden.

Denn seit dem 2. März blockiert Israel den Zugang zum Küstenstreifen nahezu vollständig. Eine Lockerung der Blockade im Mai blieb laut Beobachtern „symbolisch“: Viele Lieferungen stauen sich seither an den Grenzübergängen.

Am Montagmorgen dann die Ernüchterung: Die israelische Marine stoppte das Schiff, das unter britischer Flagge segelt, in internationalen Gewässern rund 185 Kilometer vor der Küste Gazas. Die „Madleen“ wurde in die Hafenstadt Ashdod gebracht, die Besatzung inhaftiert.

Vorgehen Israels ist ein „Verstoß gegen die Seerechtskonvention“

Der Vorfall wirft völkerrechtliche Fragen auf, insbesondere was die Rechtmäßigkeit des Eingreifens in internationalen Gewässern betrifft. Prof. Dr. Matthias Goldmann ist Inhaber des Lehrstuhls für Internationales Recht an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht in Wiesbaden. Zudem ist er Senior Research Fellow am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg. Mit unserer Redaktion sprach er über die völkerrechtliche Einordnung des Vorfalls rund um die „Madleen“.

Das Eingreifen der israelischen Marine ist laut dem Rechtsexperten aus völkerrechtlicher Sicht eindeutig zu bewerten. Die „Madleen“ befand sich in internationalen Gewässern. Dort gilt seit mehr als 500 Jahren die Freiheit der Meere. Das Vorgehen Israels bezeichnet er als „klaren Verstoß gegen die Seerechtskonvention“, sagt Goldmann. In internationalen Gewässern dürfe jeder verkehren. Die Bedingungen, unter denen Schiffe kontrolliert oder gar angegriffen werden dürften, seien äußerst eng gefasst. Das gelte auch bei einer Blockade in Zusammenhang mit einem Krieg.

Im Fall der „Madleen“ gab es keine Hinweise darauf, dass von dem Schiff eine Gefahr ausging. Es waren weder Waffen noch anderes sicherheitsrelevantes Material geladen, sondern ausschließlich humanitäre Güter. Eine Aufbringung sei demnach völkerrechtswidrig, so Goldmann.

Die deutsche Bundesregierung verhält sich derweil defensiv

Die israelische Regierung verteidigt ihr Vorgehen damit, dass man keine unkontrollierte Einfuhr von Hilfsgütern über Seewege dulde. Der einzige erlaubte Zugang sei über den Hafen von Ashdod. Der Sicherheitsminister Israels, Itamar Ben-Gvir, ließ die Aktivistinnen und Aktivisten zunächst in Einzelhaft unterbringen. Einige von ihnen verweigerten die Unterzeichnung von Abschiebepapieren, darunter Rima Hassan, die nach ihrer Festnahme in Israel am Donnerstag nach Frankreich zurückkehrte. Laut der Nachrichtenagentur AFP landete sie am Donnerstagabend auf dem Pariser Flughafen Charles-de-Gaulle.

An Bord der „Madleen“ befand sich mit Yasemin Acar auch eine deutsche Staatsbürgerin. Eine offizielle Reaktion der Bundesregierung auf den Vorfall blieb bislang aus. „Man möchte wahrscheinlich nicht dazu ermutigen, dass solche Fahrten stattfinden – zumal bekannt ist, dass Israel solche Aktionen grundsätzlich unterbindet“, sagt der Völkerrechtler Goldmann. In dem Moment, in dem es dabei „zu unschönen Bildern kommt“, gerate die Bundesregierung in einen diplomatischen Konflikt: einerseits mit dem völkerrechtlichen Anspruch auf Schutz eigener Staatsbürger, andererseits mit ihrer traditionell engen Beziehung zur israelischen Regierung.

Auch im Fall des Schiffs „Conscience“, einem Hilfsschiff, das einen Monat zuvor auf dem Weg nach Gaza war und vor der Küste Maltas durch eine Drohne schwer beschädigt wurde, blieb eine offizielle Reaktion aus. Die Crew vermutete Israel hinter dem Angriff. Eine offizielle Stellungnahme seitens Israels gab es nicht – weder Regierung noch Militär haben sich bislang dazu geäußert.

„Israel besetzt den Gazastreifen völkerrechtswidrig“

Doch wie sieht es mit den Hilfslieferungen aus? Würde Israel den Gazastreifen völkerrechtlich legitim besetzen, könnte es auch die Kontrolle über die Küste Gazas übernehmen, so Goldmann. In dem Fall könnte Israel auch entscheiden, wen es hineinlässt und wen nicht. Aber genau das sei nicht der Fall, erläutert Goldmann. Israel besetze den Gazastreifen wie auch das übrige palästinensische Gebiet völkerrechtswidrig. „Ich bin auch der Ansicht, dass der 7. Oktober daran nichts ändert“, so der Experte. Zwar könne über einzelne Rechtsfragen diskutiert werden, grundsätzlich handele es sich aber um eine illegale Besatzung, die bereits vor dem Hamas-Angriff bestanden habe. Der Angriff der Hamas, so Goldmann, berechtige zwar zur Selbstverteidigung, mache aber die vorhergehende Besetzung nicht einfach rechtmäßig. Da die israelische Kontrolle über den Gazastreifen völkerrechtswidrig sei, sei auch das Abfangen eines Hilfsschiffs auf dem Seeweg nicht legitim.

Daran ändere sich auch nichts aufgrund des Rechts eines kriegsführenden Staats, gegnerische Häfen blockieren zu dürfen. Denn dieses Recht finde eine Grenze im humanitären Völkerrecht. Gemäß Artikel 59 der Vierten Genfer Konvention ist eine Besatzungsmacht dazu verpflichtet, Hilfslieferungen für die Zivilbevölkerung zuzulassen, sofern diese unzureichend versorgt ist. Die Verteilung der Hilfsgüter soll dabei unter Aufsicht einer Schutzmacht erfolgen. Alternativ können auch neutrale Staaten, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz oder anerkannte humanitäre Organisationen diese Aufgabe übernehmen.

Ob das Schiff „Madleen“ deshalb hereingelassen werden musste, ist laut Matthias Goldmann durchaus diskutabel. Grundsätzlich habe ein besetzender Staat ein Auswahlermessen bei Hilfsangeboten, könne also bestimmte Lieferungen abweisen, andere aber zulassen. „Aber im Moment sieht es so aus, als würden sie alle Angebote von dritter Seite ablehnen. Diese Gesamtablehnung an sich ist rechtswidrig“, sagt Goldmann.

Instrumentalisiert Israel den Zugang zu humanitärer Hilfe politisch?

Israel könne sich dabei zwar auf Organisationen wie die Gaza Humanitarian Foundation (GHF) berufen, doch gebe es klare Anzeichen dafür, dass diese den Anforderungen an Neutralität nicht genüge. Es gebe Hinweise darauf, dass die israelische Regierung die Organisation gezielt einsetzt, um den Zugang zu humanitärer Hilfe politisch zu instrumentalisieren.

So kam es bei einer Verteilaktion der GHF im Mai 2025 in Rafah zu chaotischen Zuständen, als Tausende Palästinenser versuchten, an Lebensmittelpakete zu gelangen. Dabei feuerten israelische Soldaten nach eigenen Angaben Warnschüsse ab, wodurch mindestens drei Menschen getötet und 48 weitere verletzt wurden. Die UN kritisierte die Aktion als unkoordiniert und gefährlich. Auch die Organisation „Ärzte ohne Grenzen” übte Kritik an der wiederholten Blockade von Hilfsgütern durch die israelischen Behörden und beschrieb die humanitäre Lage im Gazastreifen als katastrophal. Einige Überlebende bezeichneten die Verteilzentren der GHF als „Todesfallen” statt als Hilfszentren.

Unterdessen wurde das Schiff „Madleen“ von den israelischen Behörden beschlagnahmt. Bislang gibt es keine gesicherten Angaben zum weiteren Verbleib des Schiffs.

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Erstellt:
13. Juni 2025, 19:42 Uhr

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