Geständnis in letzter Minute

Ein Jahr auf Bewährung für Vergewaltigung einer jungen Frau – Kontaktverbot gegenüber Geschädigter als eine Bewährungsauflage

Geständnis in letzter Minute

© BilderBox - Erwin Wodicka

Von Hans-Christoph Werner

WAIBLINGEN. Vor dem Jugendschöffengericht Waiblingen hat sich ein 21-Jähriger zu verantworten. Er ist ein attraktiver Mann. Einwandfrei kann er sich vor Gericht äußern, obwohl Deutsch nicht seine Muttersprache ist. Der Dolmetscher für Arabisch muss kein einziges Mal eingreifen und bleibt arbeitslos. Der Angeklagte soll im Juli letzten Jahres eine junge Frau in seiner Wohnung vergewaltigt haben. Zur Sache will der Angeklagte, so gibt sein Verteidiger an, keine Angaben machen, wohl aber zu seiner Person.

Der Staatsanwalt verliest die Anklageschrift. Sie enthält die unvermeidlichen Details. Vier junge Leute, zwei Männer, zwei Frauen, die sich von der Schule her kannten, verabreden sich per WhatsApp zum „Chillen“. Doch irgendetwas kommt dazwischen, sodass letztendlich nur der 21-jährige Anlagenmechaniker und die junge Frau in der Wohnung des Angeklagten aufeinandertreffen.

Am Tag zuvor hatte er die andere Frau der Vierergruppe zu Gast gehabt. Und da war es einvernehmlich gewesen. Die 18-Jährige, die als Zeugin vernommen wird, gibt an: Man habe sich geküsst und dann miteinander geschlafen. Nach zwei Stunden sei man wieder auseinander gegangen. Und das sei’s dann auch gewesen. Die Begegnung wurde nicht fortgesetzt. Eventuell dachte der Angeklagte, das könne nun wieder so laufen. Aber die junge Frau duldet nicht die Zudringlichkeiten des jungen Mannes, will nicht geküsst werden. Doch er drückt sie aufs Bett. Sie sagt „nein“. Aber das hält ihn nicht ab. Offensichtlich hielt sich die Frau dann noch längere Zeit in der Wohnung des Angeklagten auf. Denn es kommt ein zweites Mal zum ungewollten Geschlechtsverkehr.

Sie behält die Sache für sich. Fünf Monate später kommt man in der Schulklasse, die die junge Frau besucht, auf sexualisierte Gewalt zu sprechen. Da bricht es aus ihr heraus: Sie weint plötzlich hemmungslos. Eine Lehrerin nimmt sich ihrer an. Sie offenbart sich dieser. Die Lehrerin hilft ihr, eine Therapeutin zu finden, die sich sofort mit ihr befasst. Die Therapeutin ist es auch, die sie dann zur Polizei begleitet. Es wird Anzeige erstattet. Die junge Frau zeigt dem Polizeibeamten ein sogenanntes „Memo“, mit dem sie auf ihrem Handy das Geschehene festgehalten hat. Ferner hat sie eine Skizze der Wohnung des Angeklagten angefertigt. Die Skizze deckt sich mit den Fotos, die die Polizei später vom Ort des Geschehens macht. Der Vorfall wird dem Staatsanwalt vorgelegt. Der erlässt einen Haftbefehl. Weil die Polizeibeamten den Gesuchten aber nicht antreffen, dem Angeklagten aber der Polizeibesuch von Beobachtern berichtet wird, geht dieser selbst zur Polizei. Nichts ahnend. Und muss gleich dortbleiben.

Die Folgen dessen, was die junge Frau erlitten hat, sind gravierend. Sie leidet unter Depressionen und bricht die Schule ab. Ihre Aussage macht sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Gute 45 Minuten steht sie dem Schöffengericht und den anderen Beteiligten Rede und Antwort. Sehr klar und strukturiert, so sagt der Richter später, seien ihre Ausführungen gewesen.

Nach dreieinhalb Stunden Verhandlung ziehen sich die an der Verhandlung Beteiligten zur Sachstandserörterung zurück. Der Verteidiger des Angeklagten spricht nochmals mit seinem Mandanten. Die Beweisaufnahme ist demnächst abgeschlossen. Da überrascht der Verteidiger das Schöffengericht mit einer Erklärung im Namen des Angeklagten: Er gesteht die Tat ein.

Schlimmste Missachtung des Selbstbestimmungsrechts der Frau

Der Staatsanwalt ist zuerst mit seinem Plädoyer dran. Das Geständnis des Angeklagten, so sagt er, sei glaubhaft. Die Anklage habe sich bestätigt. Nach seiner Meinung ist die Tat nach Jugendstrafrecht abzuurteilen. Da keine Vorstrafe vorliege und die Sozialprognose günstig sei, sei die Tat mit einem Jahr zur Bewährung zu ahnden. Der Verteidiger des Angeklagten unterstreicht nochmals die Anwendung des Jugendstrafrechts. In der Altersspanne zwischen 18 und 21 Jahre ist individuell zu beurteilen, ob Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht anzuwenden ist. Auch der Aussetzung der Strafe zur Bewährung pflichtet der Jurist bei. Der aus Syrien stammende Angeklagte sei gut integriert, befinde sich im zweiten Lehrjahr zum Anlagenmechaniker.

Nach kurzer Beratung folgt das Schöffengericht in seinem Urteilsspruch dem Vorschlag der Staatsanwaltschaft. Ein Jahr auf Bewährung. Die Bewährungszeit ist mit Auflagen verbunden. Ein Bewährungshelfer soll den Verurteilten über zwei Jahre begleiten. Zehn Gesprächstermine bei der Beratungsstelle gegen sexualisierte Gewalt muss er wahrnehmen. 1500 Euro Schmerzensgeld hat er an die Geschädigte zu zahlen. Ein striktes Kontaktverbot zu der jungen Frau wird auferlegt.

In seiner Urteilsbegründung pflichtet der Richter dem Verteidiger bei: Schon als Teenager habe er sein Heimatland Syrien verlassen, habe im Libanon und in Libyen gearbeitet, ist dann mit einem seiner Brüder über die Balkanroute nach Deutschland geflohen. Hier habe er die deutsche Sprache schnell erlernt, einen Schulabschluss nachgeholt und eine Ausbildung angefangen. Die immer wieder neuen Umstände habe der Angeklagte zwar gut gemeistert, aber sie haben ihm offenbar nicht genügend Zeit gelassen, angemessenes Verhalten gegenüber Frauen zu entwickeln. Das, was er der jungen Frau angetan habe, so betont der Richter, sei die schlimmste Missachtung des Selbstbestimmungsrechts der Frau.

Eine deutsche Familie hat sich seit geraumer Zeit rührend um den Angeklagten gekümmert, ihm auch Wohnraum gewährt. Mit der Tochter der Familie ist er liiert. Die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe spricht sogar von ihm als dem „Schwiegersohn in spe“. Entgegen seinen Beteuerungen gegenüber seinen Förderern muss die Familie nun vor Gericht von der bösen Tat erfahren.

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Erstellt:
29. Juni 2019, 06:00 Uhr

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