Glücksbringer mit viel Liebe zum Detail

In den vergangenen Tagen ist die Produktion von Glückssymbolen für den Jahreswechsel in vielen Konditoreien auf Hochtouren gelaufen. Bei den Backnanger Bäckereien Weller und Mildenberger sind Marzipanschweine und Neujahrsbrezeln heiß begehrt.

Sonja Kleine von der Bäckerei Mildenberger präsentiert eine Neujahrsbrezel. An Silvester finden diese reißenden Absatz. Foto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Sonja Kleine von der Bäckerei Mildenberger präsentiert eine Neujahrsbrezel. An Silvester finden diese reißenden Absatz. Foto: J. Fiedler

Von Renate Schweizer

BACKNANG. In diesem Jahr hätten wir zu Silvester jeden Glücksbringer nötig, den wir kriegen können – so sollte man meinen. Läuft also jetzt, „zwischen den Jahren“, die Glücksbringerproduktion auf Hochtouren und es wimmelt im Café Weller nur so von Hufeisen, Marzipanschweinchen, Glückspilzen und Miniaturschornsteinfegern in Backstube und Regalen?

Bedauernd schüttelt David Weller, Kuchenflüsterer in fünfter Generation, den Kopf: Das Gegenteil ist der Fall. Beispiel: Marzipanschweinchen. „In früheren Jahren haben wir mit 150 angefangen und bei Bedarf noch mehr gemacht“, erzählt er. „Dieses Jahr machen wir 30. Von unserem Lübecker Lieferanten beziehen wir normalerweise Marzipan in 12,5Kilo-Blöcken. Dieses Jahr hab ich kiloweise bestellt.“ Denn Marzipanschweinchen verschenkt man zur Silvesterparty. Oder zum Neujahrsbesuch. Kaum jemand kauft Marzipanschweinchen zum Selberessen. „Die Stadt Backnang hat immer Hufeisen verschenkt zum Silvesterlauf und für die Sieger was Größeres.“ Entfällt jetzt alles.

Bei der Neujahrsbrezel als Glückssymbol verhält es sich etwas anders, die kaufen sich die meisten Leute für sich selbst. Sie ist vermutlich das weitverbreitetste Glückssymbol überhaupt. Obwohl sich nicht mehr so genau ermitteln lässt, woher der Brauch genau kommt, zum Beginn des neuen Jahres eine Brezel zu backen, darf sie auf vielen Frühstückstischen am ersten Tag des Jahres nicht fehlen. Doch auch in diesem Punkt hat Corona seine Spuren hinterlassen. So berichtet Bäcker und Geschäftsführer Richard Mildenberger vom gleichnamigen Backnanger Backhaus, dass die ganz großen Exemplare mit dem Blechmaß 60 mal 80 Zentimeter dieses Jahr nicht gebacken werden. Er begründet dies damit, dass diese Exemplare meist für größere Feiern vorbestellt wurden. Da solche Feste in diesem Jahr nicht stattfinden dürfen, gibt es auch keinen Bedarf an der Riesenvariante. Für Mildenberger selbst ist die Neujahrsbrezel ein schönes Symbol und gehört fest zum Jahreswechsel dazu. Er berichtet davon, dass das Backwerk in seiner Familie entweder am Ende der Silvesterfeier oder spätestens am Morgen danach angeschnitten wurde. „Am Morgen auf dem Frühstückstisch, da gehört die Brezel einfach dazu.“

Glücksbringerproduktion bei der Konditorei Weller in Backnang. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Glücksbringerproduktion bei der Konditorei Weller in Backnang. Foto: A. Becher

Aber auch wenn die Nachfrage bei den Marzipanschweinchen nicht so groß ist, ein paar machen die kreativen Bäcker bei Weller schon – und wir dürfen zuschauen. Für die kleinen Glücksschweinchen ist das Marzipan mit Lebensmittelfarbe rosa durchgefärbt. Weiß doch jeder: Schweinchen sind rosa. Eine knapp hühnereigroße Menge braucht man für einen der kleinen Glücksbringer. Ein Schnitt an der schmaleren Seite vom „Ei“ und schon ist die Schweineschnauze aufgeklappt mit knuffigen Fältchen über der Nase. Zwei Nasenlöcher setzen, Öhrchen aus blanchierten Mandeln reindrücken – es geht, was soll man sagen?, es geht wie’s Brezelbacken.

David Weller, Juniorchef in der Backstube, und Konditorin Sandra Bauer arbeiten routiniert und fast ein bisschen schneller, als man gucken kann. Zwei Zuckerkügelchen sind die Augen und jedem Auge wird von Hand mit der Spritze eine winzige Schokopupille aufgedrückt. „Sie müssen nach oben gucken. Das ist wichtig, sonst hat man das Gefühl, sie schielen einen an.“ Zum Schluss noch das Ringelschwänzchen – wie man ein so kleines Schwänzchen so exakt ringeln kann, ohne dass es bricht, bleibt ein Rätsel – und ein (nicht essbarer) Glückspilz in die Schnauze – fertig ist der Glücksbringer. „Die meisten werden gar nicht gegessen“, sagt Weller, „die stehen rum, bis sie ganz ausgetrocknet sind – aber das ist schade, weil wir supergute Zutaten verwenden. Eigentlich sollten sie am Neujahrsmorgen gegessen werden, da ist das Marzipan noch ganz saftig.“

Sandra Bauer hat 1991 ihre Lehre als Konditorin begonnen, hier, im Café Weller war das. Ganz schön lang her. Sie lacht und grinst ihren Chef an: Er war drei Monate alt, als sie eingestiegen ist in die Schweinchenmanufaktur und jetzt ist bei Wellers ja schon wieder die nächste Generation am Start. Ist das nicht langweilig, 30 Jahre immer nur Kuchen? Jetzt lachen sie beide, nee, ganz im Gegenteil: Grade sind es die Glücksbringer, vor ein paar Wochen waren es Weihnachtsgutsle und Lebkuchen, bald kommen die Osterhasen, im Sommer das Eis und ganzjährig immer wieder neue Pralinen, Kuchen nach Jahreszeit. Langweilig ist das nie. „Weil wir ein kleiner Betrieb sind und alles selbst machen. Da gibt’s ganz viel Abwechslung.“ Die Schweinchen sind fertig. Die Zeitungsfrau kriegt zum Abschied eins geschenkt. Es ist eindeutig das hübscheste. Sie wird es am Neujahrsmorgen essen. Spätestens.

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Erstellt:
31. Dezember 2020, 06:00 Uhr

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