Seit Dreifach-Suizid
„Habe Schreie der Mädchen gehört“ – Pforzheimer warnt vor ungesichertem Turm
Der Turm „Hohe Warte“ bei Pforzheim ist seit dem Suizid von drei Mädchen gesperrt. Patrick Eisenhardt warnt vor der Öffnung eines ungesicherten Turms – und zieht im Ort Unmut auf sich.

© privat
Patrick Eisenhardt geht mit seinen Hunden immer wieder in der Nähe des Aussichtsturms spazieren. Wie eine Gruppe von Eltern mit einer Gedenk-Aktion im Dezember (links) setzt auch er sich für die Sicherung des Turms ein.
Von Florian Dürr
An die Schreie der Mädchen an jenem Novembertag muss Patrick Eisenhardt immer wieder denken, auch heute fast ein Jahr nach dem Suizid der drei Teenager lässt ihn der schreckliche Vorfall nicht los. Der 48-Jährige ist gerade mit seinen Hunden spazieren, nur wenige Minuten entfernt vom Aussichtsturm „Hohe Warte“, als er die Schreie aus der Entfernung spielenden Kindern zuordnet.
Aussichtsturm ist einsturzgefährdet und soll zurückgebaut werden
Erst am nächsten Morgen erfährt er, dass sich die Achtklässlerinnen mit einem Sprung von dem 40 Meter hohen Bauwerk im Pforzheimer Stadtteil Hohenwart das Leben genommen haben. „Da war für mich klar: Der Turm muss gesichert werden“, sagt Eisenhardt heute. Denn es sind nicht die ersten Suizide im Jahr 2024 und in der Zeit seit der Erbauung des Turms im Jahr 2002, berichtet der Mann, der bereits sein ganzes Leben in dem Pforzheimer Stadtteil wohnt.
Doch eine Sicherung des jetzigen Turms mit seiner anfälligen Holzkonstruktion ist quasi ausgeschlossen: Das Bauwerk ist einsturzgefährdet, wie jüngst ein von der Stadt in Auftrag gegebenes Gutachten ergab. Pforzheims Baubürgermeister Tobias Volle (parteilos) ordnete daraufhin den schrittweisen Abbau des Turms an, um das Material noch vor dem Wintereinbruch weiter zu untersuchen.
Eine Petition befürchtet „vorschnelle Entscheidung zum Abriss“
Doch was folgt danach? Dafür hat Volle drei mögliche Szenarien skizziert – von denen eines Patrick Eisenhardt unbedingt verhindern will: Denn sollte nach der weiteren Materialuntersuchung doch noch eine Sanierung des Turms in Frage kommen, steht als Szenario auch der Erhalt des Aussichtsturms ohne Sprungschutzmaßnahmen im Raum. „Da die Konstruktion des Turms keine zusätzlichen Lasten aufnehmen kann“, heißt es von der Stadt.
Für Eisenhardt, der sich sonst zufrieden zeigt mit den bisherigen Maßnahmen der Stadt, ist diese Möglichkeit undenkbar – im Gegensatz zum Wunsch von fast 800 Personen, die eine Petition mit dem Titel „Erhaltet den Aussichtsturm ‚Hohe Warte’ in Pforzheim“ unterzeichnet haben. Der anonyme Initiator schreibt von „angeblichen Sicherheitsgründen“ und befürchtet „eine vorschnelle Entscheidung zum Abriss“.
Bei einem Fest wird ihm der Handschlag verwehrt, berichtet Eisenhardt
Man appelliere an die Stadt, den Turm zu sanieren und der Öffentlichkeit mit dem Hinweis „Betreten auf eigene Gefahr“ wieder zugänglich zu machen. Eisenhardt ist besonders irritiert von der Formulierung „angebliche Sicherheitsgründe“: „Da wird das Gutachten angezweifelt“, kritisiert der 48-Jährige, der sich mit seiner Position zum Aussichtsturm nicht gerade Freunde macht im Ort.
Einmal wird ihm bei einem Fest sogar der Handschlag verwehrt, erzählt er. „Entweder du bist für den Turm und damit gut – oder du bist gegen den Turm und böse, leider sind in Hohenwart die Grautöne verloren gegangen“, klagt der 48-Jährige. Dabei sei er selbst kein Gegner des Aussichtsturms, der könne mit entsprechender Sicherung auch bleiben oder wiederaufgebaut werden, betont Eisenhardt. „Aber nach mehr als 20 Jahren, in denen hier Leute zu Tode kommen, muss man irgendwas unternehmen und gegensteuern“, sagt er.
Unterstützung durch Berliner Anti-Mobbing-Trainer Carsten Stahl
Von der Argumentation, Menschen könnten sich auch von Brücken stürzen oder vor einen Zug werfen, hält der 48-Jährige nichts: „Das höre ich immer wieder, aber wir können unsere Brücken und Schienen nicht abreißen, sonst sind wir wieder im Mittelalter.“ Ein Aussichtsturm aber sei für Deutschlands Wirtschaft nicht relevant, sondern ein „nice to have“.
Die Petition der Gegenseite könnte Eindruck bei der Stadt Pforzheim machen, befürchtet der 48-Jährige und hat deshalb als Reaktion darauf ebenfalls eine veröffentlicht, Titel: „Nur gesichert! Keine Wiedereröffnung des Aussichsturms Hohe Warte ohne Sicherung“. Unterschrieben haben zwar mit 125 Personen deutlich weniger als bei der anderen Petition, doch Eisenhardt und Co. haben mit dem Berliner Anti-Mobbing-Trainer Carsten Stahl auch einen bekannten Unterstützer.
Eisenhardt: Rettungskräfte vor traumatisierenden Einsätzen schützen
Inzwischen sind der Pforzheimer und rund ein Dutzend weitere sogar dabei, einen eigenen Verein zur Suizidprävention zu gründen. Ihr Ziel: Die Zahl von Selbsttötungen an verschiedenen Orten zu erheben, sogenannte „Hotspots“ zu begehen, vor Ort Flyer für Hilfsangebote zu verteilen. „Wir wollen einfach nur Leben retten“, sagt er. Allein im vergangenen Jahr hätten sich am Pforzheimer Turm fünf Menschen das Leben genommen plus viele weitere in der Zeit seit der Erbauung. „Wie hoch die Dunkelziffer ist, wissen wir nicht“, sagt Eisenhardt.
In die Richtung derer, die die andere Petition unterzeichnet haben, sagt der Pforzheimer: „Unsere Hand ist ausgestreckt.“ Man müsse miteinander statt übereinander reden. Ihm gehe es auch darum, Rettungskräfte vor traumatisierenden Einsätzen zu schützen – und um diejenigen, die die Toten finden.
Von seinem Vater weiß er, was solche Einsätze bedeuten: Der sei bei der Berufsfeuerwehr in Karlsruhe immer wieder mit Suiziden konfrontiert gewesen. „Ich möchte nicht wissen, wie es dem geht, der die drei Mädchen am Aussichtsturm gefunden hat.“
Sie haben suizidale Gedanken? Hilfe bietet die Telefonseelsorge. Sie ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr unter 0 800 / 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222 und unter https://ts-im-internet.de/ erreichbar. Eine Liste mit Hilfsangeboten findet sich auf der Seite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention: https://www.suizidprophylaxe.de/