Handwerk gegen Azubi-Mindestlohn

Arbeitgeber und Gewerkschaften schlagen Mindestvergütung von 515 bis 715 Euro vor

Mindestvergütung - Die Arbeitgebervereinigung und der Gewerkschaftsbund einigen sich auf eine Mindestausbildungsvergütung mit starken Zuwächsen in den nächsten Jahren. Das vernichte Lehrstellen, warnt der Zentralverband des Handwerks.

Stuttgart Es war ein bitterer Kompromiss für die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, dennoch hat sich die BDA mit dem Gewerkschaftsbund (DGB) auf eine einheitliche Mindestausbildungsvergütung geeinigt – um Schlimmeres zu verhindern, wie es im Arbeitgeberlager heißt. Das ­Vorhaben steht im schwarz-roten Koalitionsvertrag. Ein Konsens mit dem DGB erschien den Arbeitgebern daher erträglicher zu sein als eine Verweigerungshaltung, die den weiteren Fortgang unkalkulierbar gemacht hätte.

Nach dem gemeinsamen Vorschlag sollen Azubis nun vom 1. Januar 2020 an im ersten Ausbildungsjahr mindestens 515 Euro, im zweiten Jahr 615 Euro und im dritten Jahr 715 Euro pro Monat erhalten. 2021 gibt es jeweils 35 Euro obendrauf, dann lauten die drei Stufen 550, 650 und 750 Euro. 2022 reicht die Bandbreite von 585 bis 785 Euro, und 2023 gibt es 620 im ersten, 720 im zweiten und 820 Euro im dritten Lehrjahr.

Von 2024 an soll die Anhebung automatisch „nach der gewichteten tariflichen Durchschnittserhöhung“ erfolgen. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) wird den Vorschlag von BDA und Gewerkschaftsbund bei der geplanten Novelle des Berufsbildungsgesetzes dem Vernehmen nach übernehmen. Somit wird auch die große Koalition grünes Licht geben.

Im Arbeitgeberlager ist das Murren aber unüberhörbar. Da ist es lediglich ein schwacher Trost, dass die BDA noch den grundsätzlichen Vorrang tarifvertraglicher Vereinbarungen zur Ausbildungsvergütung ausgehandelt hat. Dennoch heißt es auch im Konsenspapier, dass alle bestehenden Tarifvereinbarungen unterhalb der Mindestausbildungsvergütung bis 2024 an die gesetzlichen Mindestsätze herangeführt werden sollen. Das bedeutet: Für bestehende Tarifverträge wurde eine Übergangszeit ausgehandelt. Trotzdem stößt der Eingriff in die Tarifautonomie aufseiten der Arbeitgeber heftig auf. Wohl auch deswegen hält sich der DGB vor dem endgültigen Beschluss lieber bedeckt – jubeln kann er später noch.

Von einer Seite kommt freilich besonders harsche Kritik: Das Handwerk sieht sich als großer Verlierer des Kompromisses, weil der neue Azubi-Mindestlohn in die Bezahlung einer großen Zahl von Ausbildungsberufen eingreift. „Natürlich wollen unsere Betriebe eine Ausbildung bieten, die auch finanziell attraktiv ist“, sagte der Generalsekretär im Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH), Holger Schwannecke, unserer Zeitung. „Allerdings kann man nicht einfach alle Gewerke und Regionen in einen Topf schmeißen: Was für einen Betrieb oder eine Region finanziell im Rahmen des Möglichen ist, ist für einen anderen Betrieb oder eine andere Region schlicht nicht leistbar.“

Das heißt: In Baden-Württemberg dürfte der Azubi-Mindestlohn weniger Probleme machen – in Ostdeutschland aber wird das Handwerk massiv belastet. 2017 wurde im Westen mit durchschnittlich 518 Euro die niedrigste Azubivergütung im Schornsteinfegerberuf bezahlt – im Osten war es die Fleischerbranche mit 383 Euro. „Ich sehe die Gefahr, dass manche Betriebe die Ausbildung in Zukunft gar nicht mehr anbieten können“, warnt Schwannecke. „Das kann sich unsere Gesellschaft in Zeiten des enormen Fachkräftebedarfs nicht leisten.“

Aus ZDH-Sicht gehört die Höhe von Azubi-Vergütungen allein in die Hände der Sozialpartner. „Angesichts der Tatsache, dass eine solche Mindestausbildungsvergütung politisch gewollt ist“, sei der Vorschlag von BDA und Gewerkschaftsbund besser als das, was zuvor an Zahlen im politischen Raum gestanden hätte. Denn noch zu Jahresbeginn hatten DGB und SPD-Vorstand sogar 660 Euro pro Monat im ersten Lehrjahr gefordert – da lagen Bundesbildungsministerin Karliczek und die CDU noch bei 504 Euro. „Die Mindestausbildungsvergütung bedeutet, dass es für unsere Betriebe künftig deutlich teurer wird, junge Menschen auszubilden“, moniert Schwannecke. Die Ausbildung junger Menschen sei eine Investition in die Zukunft der Betriebe, aber auch der gesamten Gesellschaft. „Wenn die Politik die Mehrkosten dafür nun allein auf die ausbildenden Betriebe abwälzt, dann muss sie diese an anderer Stelle entlasten“, fordert der Zentralverband des Deutschen Handwerks.

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Erstellt:
23. April 2019, 10:19 Uhr

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