Verfassungsgericht

Hochspannung vor der Richterwahl: Wird die AfD zum Königsmacher?

Die Spitze der Unionsfraktion versucht bis unmittelbar vor der Wahl potenzielle Abweichler einzufangen. Die Linke legt sich erst am Freitagmorgen fest.

Da die Union nicht mit den Linken spricht, kommt der von Alice Weidel geführten AfD-Fraktion eine Schlüsselrolle zu.

© SOEREN STACHE/AFP

Da die Union nicht mit den Linken spricht, kommt der von Alice Weidel geführten AfD-Fraktion eine Schlüsselrolle zu.

Von Norbert Wallet

Im Bundestag kommt es an diesem Freitag zu drei Abstimmungen mit erheblicher staatspolitischer Bedeutung. Zur Wahl stehen drei Personalvorschläge für frei werdende Richterstellen am Bundesverfassungsgericht. Besonders zwei Wahlgänge sind von besonderer Brisanz.

Worum geht es? Für die Wahl der höchsten Bundesrichter schreibt das Gesetz eine Zweidrittelmehrheit vor. Allerdings – und das könnte noch wichtig werden – zwei Drittel der abgegebenen Stimmen, nicht also der Mitglieder des Hauses. Union, SPD und Grüne verfehlen zusammen die Zweidrittelmehrheit, aber nur knapp. Es fehlen sieben Stimmen. Das heißt, soll die Wahl zustande kommen, werden zusätzliche Stimmen benötigt, und die müssen dann entweder von der AfD oder der Linkspartei kommen.

Union schwenkte auf Karlsruher Vorschlag ein

Das führt bei allen drei Abstimmungen zu erheblichen Problemen. Zunächst wird über den Kandidaten Günter Spinner abgestimmt. Der 52-Jährige ist bislang Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht. Er ist formal der Vorschlag der Union. Wobei die Geschichte hierzu eigentlich komplizierter ist. Eigentlich hatte die Union in der abgelaufenen Wahlperiode den Bundesverwaltungsrichter Robert Seegmüller vorgeschlagen. Der aber stieß bei den Grünen auf Widerstand. Er hatte in der Partei durch Äußerungen zum Asylrecht für Widerspruch gesorgt. Um die Hängepartie aufzulösen, hatten die Karlsruher Richter selbst Spinner vorgeschlagen. Die Union hat den Vorschlag nun übernommen. SPD, Grüne und auch die AfD tragen das mit.

Die Linke nicht, und das ist ein Problem. Es könnte dadurch gut sein, dass Spinner der erste Verfassungsrichter wird, der sein Amt entscheidend der Unterstützung durch die AfD zu verdanken hat. Die Union weigerte sich bis zuletzt, Gespräche mit der Linken zu suchen und verweist auf ihren Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber Linkspartei und AfD, der ihr das angeblich verbiete.

Die Linke hatte von der Union nicht viel verlangt

Die Vertreter der Linkspartei haben von der Union für ihre Zustimmung nicht viel verlangt, eigentlich nur ernsthafte Gespräche mit ihnen. Und „perspektivisch“ die Aussicht, künftig in den Verteilungsschlüssel aufgenommen zu werden, um auch eigene Richtervorschläge machen zu können. Einen neuen Schlüssel muss es ohnehin geben, denn in der gültigen Arithmetik spielt noch die FDP eine Rolle, die ja nicht mehr im Bundestag vertreten ist.

Die Union glaubt auf den Kontakt mit der Linken verzichten zu können. Sie verweist darauf, dass Spinner ja der Karlsruher Vorschlag ist, dem sich kein Demokrat ernsthaft verweigern könne. Allerdings machte sich am Donnerstag in der Fraktion auch eine andere Hoffnung breit: Wenn die Abgeordneten von Union, SPD und Grüne nur möglichst komplett erscheinen würden, könnte die Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen doch noch zustande kommen. Das aber setzt darauf, dass von Linken und AfD genug Parlamentarier der Abstimmung fernbleiben. Das ist reine Spekulation. Da geheim abgestimmt wird, glaubt man in der Union auch nicht, dass sich die AfD zum Königsmacher stilisieren könnte. Daran ist so viel richtig, dass der eine oder andere linke Abgeordnete aus staatsbürgerlicher Verantwortung doch Spinner mitwählen könnte. Tatsächlich hat Bundestagsvizepräsident Bodo Ramelow das bereits angekündigt.

Kulturkampf um Brosius-Gersdorf

Der Spinner-Wahlgang ist nicht die einzig heikle Abstimmung. Die Wahl der Staatsrechtlerin Ann-Katrin Kaufhold, einer der beiden SPD-Vorschläge, wird wohl unproblematisch verlaufen. Die SPD hatte das Gespräch mit den Linken gesucht und stieß dort auf offene Ohren. Das Problem ist der zweite SPD-Vorschlag. Die Professorin Frauke Brosius-Gersdorf ist in der Union hoch umstritten. Sie gilt wegen ihrer Positionen etwa zum Lebensschutz und zur Menschenwürde mit Blick auf das Abtreibungsrecht konservativen Abgeordneten als „linke Aktivistin“. Brosius-Gersdorf hatte in der von der Ampelregierung eingesetzten Kommission zu reproduktiver Selbstbestimmung mitgearbeitet. Diese empfahl die Legalisierung von Abtreibungen bis zur zwölften Woche. Kirchenvertreter haben sich skeptisch zu ihrer Kandidatur geäußert. In der Unionsfraktion wird die Gruppe ihrer Gegner auf bis zu 60 geschätzt. Würde ihre Wahl an der Union scheitern, bedeutete dies eine erhebliche Belastung für die neue Regierung.

In der Union liefen bis zuletzt Überzeugungsversuche, um Abweichler bei der Brosius-Wahl auf Kurs zu bringen. Die Linksfraktion entscheidet erst am Freitagmorgen über ihre endgültige Haltung zur Personalie Spinner. Es bleibt also spannend bis zum Schluss.

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Erstellt:
10. Juli 2025, 15:42 Uhr
Aktualisiert:
10. Juli 2025, 19:43 Uhr

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