„Ich bin das beste Beispiel für Integration“

Befürworter eines türkisch-muttersprachlichen Unterrichts in Kirchberg zeigen Unverständnis für negatives Gemeinderatsvotum

Die Kirchbergerinnen Ebru Scharfe und Derya Aydin haben sich für einen türkisch-muttersprachlichen Unterricht für ihre Kinder in einem Grundschulraum eingesetzt. „Im Rems-Murr-Kreis findet der Unterricht an bereits 49 Schulen erfolgreich statt“, führt Aydin an. Dass der Kirchberger Gemeinderat abwinkte, ist für die Mütter unverständlich. Auch das Staatliche Schulamt Backnang befürwortet einen solchen Unterricht.

In den Räumen etlicher Schulen im Kreis gibt es Konsulatsunterricht. In Kirchberg gab es kein grünes Licht dafür. Symbolfoto: Adobe Stock/M. Ozaslan

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In den Räumen etlicher Schulen im Kreis gibt es Konsulatsunterricht. In Kirchberg gab es kein grünes Licht dafür. Symbolfoto: Adobe Stock/M. Ozaslan

Von Ingrid Knack

BACKNANG. Ebru Scharfe ist eine der Mütter, die sich für den muttersprachlichen Unterricht starkgemacht haben. Die deutsche Staatsbürgerin mit türkischem Migrationshintergrund ist hier geboren und aufgewachsen. Die Diplom-Pädagogin, die Germanistik und Anglistik studiert hat, arbeitet seit 20 Jahren als kaufmännische Angestellte in einem Betrieb, der als einer der größten deutschen Automobilzulieferer im internationalen Umfeld gilt. Mit Aufenthalten in der Türkei, im Iran, in Frankreich und in Japan. Sie ist mit einem deutschen Mann verheiratet und Mutter einer siebenjährigen Tochter, die nun die 2. Klasse an der Grundschule in Kirchberg besucht.

„Ich bin das beste Beispiel für Integration“, sagt Ebru Scharfe. Ihre Tochter möchte sie bilingual erziehen. Die Familiensprache aber sei Deutsch. Konkret sehe das etwa so aus: Wenn sie ihre Tochter in türkischer Sprache anspricht, antwortet das Mädchen auf Deutsch. „Uns geht es nur darum, dass die Kinder in Sprache und Kultur Unterstützung bekommen. Ich kann nicht die gesamte türkische Kultur und Grammatik vermitteln.“

Neun Kinder wollen in Kirchberg türkische Sprache und Kultur lernen

Der muttersprachliche Unterricht sei im Übrigen nichts Neues, betont sie. „Ich bin auch so aufgewachsen.“ Schon sie habe in den 1980er-Jahren einmal in der Woche einen solchen Unterricht besucht.

Um eine Klasse zusammenzubekommen, müssen mindestens fünf Kinder teilnehmen. In Kirchberg wollen neun Kinder mitmachen. „Kein Kind trägt ein Kopftuch“, erklärt Scharfe. Der Unterricht könne in jedem öffentlichen Raum stattfinden. Es handele sich um 90 Minuten in der Woche außerhalb des Schulplans. „Der Lehrplan wird mit dem türkischen Konsulat und der deutschen Regierung abgestimmt. Was unterrichtet wird, ist transparent und eindeutig.“ Sie und Derya Aydin, die sich mit ihr für den muttersprachlichen Unterricht in Kirchberg engagiert habe, seien „ziemlich enttäuscht“ von der Entscheidung des Gemeinderats (wir berichteten). „Es ist absolut nicht so, wie es dargestellt wird.“

Die Konsequenz der gemeinderätlichen Absage sei nun nicht, dass ihre Kinder keinen muttersprachlichen Unterricht erhalten. Vielmehr erhöht sich eventuell der Aufwand der Eltern. „Ich würde meine Tochter auch nach Backnang fahren“, so Ebru Scharfe. Ihre Mitstreiterin Derya Aydin, ebenfalls mit türkischen Wurzeln und deutscher Staatsbürgerschaft, die mit einem türkischstämmigen Mann verheiratet ist, versichert: „Meine Familie würde ich als eine offene und liberale Familie charakterisieren.“ Das Ehepaar hat drei Kinder im Alter von sechs Jahren, vier Jahren und drei Monaten. Die Gymnasiallehrerin ist genauso wie ihr Mann, ein Luft- und Raumfahrttechniker, vielfach ehrenamtlich aktiv. Zur Integration gehöre aber noch viel mehr. „Die Grundlage bildet eine persönliche Identität, welche von möglichst vielen Faktoren beeinflusst wurde. Die Erfahrung habe ich zumindest bisher gemacht. Zur Identität der in Deutschland geborenen Deutschen mit Migrationshintergrund gehört eben auch die Sprache und Kultur des Herkunftslandes der Eltern oder eher der Großeltern.“ Laut einer Studie der Marmara-Universität in Kooperation mit der PH Weingarten sprächen etwa 60 Prozent der türkischstämmigen Deutschen hierzulande sowohl zu Hause als auch mit ihren Freunden eine Mix-Sprache aus Deutsch und Türkisch. „Sie verfügen oft über einen begrenzten Wortschatz und können sich nicht ausschließlich in einer Sprache ausdrücken. Der türkische Konsulatsunterricht bietet den Kindern die Chance, die türkische Sprache professionell von einem ausgebildeten Lehrer zu lernen, welcher weitaus kompetenter ist als die eigenen Eltern. Das reizt mich sehr am Konsulatsunterricht, weshalb ich meine Tochter hierfür in Kirchberg angemeldet hatte.“

Eine Auseinandersetzung mit der eigenen Kultur spielt nach den Worten Aydins auch eine entscheidende Rolle für die Integration. Im Türkischunterricht werde die Sprache mit Inhalten erlernt. Dabei seien für die Eltern vor allem die geografischen und historischen Aspekte des Konsulatsunterrichts sehr bedeutend. Denn selbst für diejenigen Eltern, die einen höheren Bildungsabschluss hätten – nur vier Prozent der türkischstämmigen Deutschen erreichten indes das Abitur –, sei es im Alltag eine Herausforderung, ihren Kindern sachlich dieses Wissen zu übermitteln. „Ich denke, dass die Auseinandersetzung mit der zweiten Kultur besonders wichtig ist für unsere Kinder. Man darf nicht vergessen, dass wir in einer Zeit des Rechtspopulismus in Europa leben und daher noch mehr kompetente Personen brauchen, welche als Brücke zwischen zwei Kulturen und Gesellschaften dienen. Um Vorurteile abzuschaffen und Offenheit schaffen zu können, müssen die Kinder heute ihre Muttersprache und Kultur kennen. Nur so kann man als guter Gesprächspartner in der deutschen Gesellschaft erfolgreiche Debatten und Gespräche führen.“

Konsulatsunterricht auch in anderen Sprachen

Auch im Hinblick auf die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei spiele die Sprache eine wichtige Rolle und stelle eine Chance für türkischstämmige Deutsche dar. „Dass der türkische Staat über den Konsulatsunterricht unsere Kinder einseitig beeinflusst, halte ich für absurd.“ Aktuell nähmen in Baden-Württemberg zirka 40000 Schüler aus 14 Herkunftsländern an einem muttersprachlichen Zusatzunterricht teil. Die größte Gruppe bilde mit rund 23000 Schülern der türkische Konsulatsunterricht. Aydin bedauert: „Unsere Kinder hätten parallel zum Religionsunterricht am muttersprachlichen Zusatzunterricht teilgenommen. Nun sind es zwei ,Freistunden‘, in welchen sie von einer Lehrkraft beaufsichtigt werden.“

Die Backnanger Plaisirschule ist eine dieser Schulen, die schon sehr viele Jahre Räume für muttersprachlichen Unterricht zur Verfügung stellt. Schulleiterin Annedore Bauer-Lachenmaier begrüßt das Angebot. Der Kirchberger Grundschulrektor Alfred Stephan sagte auf Anfrage, er sei über das Votum des Gemeinderats überrascht gewesen. Er sehe dies aber als neutraler Betrachter. Bedenken gegen einen solchen Unterricht in Schulräumen habe er nicht. „Ich habe es weder befürwortet noch abgelehnt, weil es nicht meine Entscheidung ist.“

Sabine Hagenmüller-Gehring, leitende Schulamtsdirektorin beim Staatlichen Schulamt Backnang, zeigt sich aufgeschlossen gegenüber dem Thema. „Mir ist es wichtig, dass wir gut zusammenschaffen und dass da Vorurteile abgebaut werden.“ Auch der Bildungsplan für den muttersprachlichen Unterricht sei bekannt, es herrsche Transparenz. „Da ist keine Religion drin.“ Die Vermittlung von Sprache und Kultur und dass Kinder ihre kulturellen Wurzeln erfahren dürfen und zweisprachig aufwachsen, sieht sie als Wert. Wer seine Muttersprache gut könne, könne auch besser Deutsch. Das sei wissenschaftlich belegt.

Ümit Kapti vom Türkischen Generalkonsulat Stuttgart versicherte: „Wir arbeiten eng mit dem Kultusministerium zusammen.“ In dem Unterricht gehe es allein um Sprache und Kultur. „Wir machen keinen Religionsunterricht.“ Die Lehrer, die Konsulatsunterricht geben, kämen aus unterschiedlichen Glaubensrichtungen. „Der Unterricht hat nichts mit der türkischen Regierung zu tun.“ Kapti kündigt an, dass er in dieser Sache noch Gespräche führen will, unter anderen mit dem türkischen Elternverein Ludwigsburg (Lutev) und der Föderation der Vereine türkischer Elternbeiräte.

Das Kultusministerium lässt wissen, dass es sich in den vergangenen beiden Jahren eingehend mit dem Konsulatsmodell beschäftigt und die unterschiedlichen Modelle auf Initiative von Ministerin Eisenmann auch in der Kultusministerkonferenz beraten hat. „In Baden-Württemberg sind wir zum Entschluss gekommen, den Konsulatsunterricht in seiner derzeitigen Form zu belassen.“

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Erstellt:
13. September 2019, 06:00 Uhr

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