Inge Gräßle: „Ich finde die Regierung etwas wehleidig“
Die CDU-Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises Backnang/Schwäbisch Gmünd, Inge Gräßle, spricht sich eindeutig für Waffenlieferungen in die Ukraine aus. Die 61-Jährige warnt davor, dass Russland im Fall eines Siegs die Bedingungen eines Friedens diktieren wird.

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Inge Gräßle hat in der Gaststätte Eintracht in Backnang eine Bürgersprechstunde abgehalten. Foto: Tobias Sellmaier
Von Matthias Nothstein
Backnang. Neun Monate nach der Bundestagswahl fällt das Urteil der CDU-Bundestagsabgeordneten Inge Gräßle über die Ampelkoalition alles andere als freundlich aus. Die direkt gewählte Abgeordnete des Wahlkreises Backnang/Schwäbisch Gmünd räumt angesichts der aktuellen Krisen zwar ein: „Regieren ist in dieser Zeit nicht einfach, aber das war es auch früher noch nie.“ Eine Rechtfertigung zum Jammern sollten die Krisen jedoch auch nicht sein, denn die 61-Jährige weiß: „Politik besteht immer aus einer Ansammlung von Ereignissen, mit denen keiner gerechnet hat.“ Und obwohl die Regierung die Aufgabe hat, die Probleme zu managen, findet sie Gräßle zufolge keine Lösungen: „Ich finde die Regierung etwas wehleidig.“ Ständig würden die Coronapandemie und der Ukrainekrieg als Ausflüchte genannt. Gräßle: „Die Regierung versucht die Probleme anzugehen, aber ihre Rezepte sind die falschen.“
Ukrainekrieg
Besonders ärgert sich Gräßle darüber, dass Deutschland der Ukraine nicht nur keine Waffen liefert, „sondern die Waffenlieferung selbst über Verbündete sogar hintertreibt. Sie blockiert die Lieferungen über das Nichtgenehmigen von Waffenexporten.“ Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz sagt, Deutschland würde liefern, „dann stimmt das nicht“. Die lokale Abgeordnete findet deutliche Worte: „Die Regierung hat es wirklich geschafft, unser internationales Ansehen massiv zu beschädigen. Das ständige Belügen der Öffentlichkeit finde ich nicht nur grenzwertig, sondern eigentlich inakzeptabel.“ Von Hemmungen, Russland nicht zu sehr zu isolieren oder in die Enge zu treiben, hält Gräßle gar nichts: „Wer im 21. Jahrhundert einen Angriffskrieg beginnt, der darf nicht davonkommen.“ Die Regierung betone immer wieder die offizielle Linie, wonach man der Ukraine helfen wolle. Doch die Taten sehen laut Gräßle anders aus: „Man hilft der Ukraine nicht, wenn man das Wichtigste, was diese derzeit braucht, nämlich Waffen, blockiert.“
Sanktionen
Die Sanktionen gegenüber der Weltmacht Russland, die es in abgeschwächter Form seit 2014 gibt, werden fortgesetzt und aufgrund ihrer Ausweitung auch Früchte tragen. Die CDU-Frau erinnert daran, dass Scholz selbst von einer Zeitenwende sprach. „Wir stehen jetzt vor einer wirklichen Zeitenwende, aber die Regierung gestaltet diese Zeitenwende nicht. Die Zeitenwende, die sie selbst ausgerufen hat.“ Dass Scholz zuletzt persönlich nach Kiew gereist war, bezeichnete Gräßle als richtig. „Es war höchste Zeit geworden. Durch das Zögern ist er so unter Druck gekommen, dass er nun gar nicht mehr umhinkam, hinzufahren.“ Aber auch dieser Scholz-Besuch nütze nichts, wenn jetzt nicht auch von der Regierung gehandelt werde.
Diktatfrieden
Die Folgen eines weiteren Zögerns wären katastrophal: „Wenn wir der Ukraine jetzt nicht helfen, wird sie so ins Hintertreffen kommen, dass sie sich einem Diktatfrieden beugen muss.“ Die Ukraine müsse schnellstens militärisch so gestärkt werden, dass sie mit Russland auf Augenhöhe verhandeln kann. „Sonst wird Russland einen Diktatfrieden machen. Da steht drin: Anerkennung der alleinigen Kriegsschuld durch die Ukraine, keine Reparationen, Abtritt von Landesteilen, kein EU-Beitritt. Das kann doch niemand in Deutschland wollen.“
Inflation
Neben dem Ukrainekrieg ist „die schwindelerregende Inflation“ für Gräßle aktuell Deutschlands größtes Problem. Sie geißelt die hohe Staatsverschuldung im Euro-Raum, die ihrer Ansicht nach auf die EZB-Politik des billigen Geldes zurückzuführen ist. Auch Deutschland mache dieses Jahr 138 Milliarden Euro neue Schulden, was Gräßle als „völlig unnötig“ bezeichnet. Wenn die Regierung den Hebel nicht umlegt und gegen die massive Staatsverschuldung vorgeht, werde die Inflation auf Dauer anhalten, so lautet ihre düstere Prognose. Die Lohn-Preis-Spirale könnte Deutschland in eine ganz schwierige Situation bringen. Ein Szenario könnte lauten: „Die gesamten Altersvorsorgekonzepte, die zuletzt über drei Jahrzehnte entwickelt wurden, werden alle nicht mehr funktionieren, weil sich ihr Wert innerhalb von wenigen Jahren halbieren wird.“ Dabei wäre die extreme Verschuldung schon jetzt vermeidbar, „wenn die Regierung die Rücklagen nutzen würde, aber die 42 Milliarden Euro werden nicht angefasst“. Im nächsten Jahr greift jedoch wieder die Schuldenbremse, dann darf die Ampel nur noch 7,5 Milliarden Euro neue Schulden machen. Gräßle fragt sich selbst, wie die Regierung das schaffen möchte. Aktuell jedoch sei es ein großer Fehler, lieber neue Schulden zu machen als die Rücklagen anzufassen. Das werde auch vom Rechnungshof stark kritisiert, erklärt die gebürtige Heidenheimerin.
Ausgaben
Kritik übt Gräßle an einigen Stellen, so etwa am Projekt Tankrabatt, „das ist rausgeschmissenes Geld“. Die CDU hatte als Alternative dafür plädiert, die Mehrwertsteuer zu senken. „Dann müssten wir jetzt auch nicht die Mineralölkonzerne kontrollieren.“ Grundsätzlich wünscht die ehemalige EU-Parlamentarierin, die Regierung würde auch mal an ein paar Ausgaben rangehen. So nennt sie etwa das Kurzarbeitergeld. „Wir haben immer noch sehr hohe Ausgaben beim Kurzarbeitergeld. Diesen Posten würde ich mir schrecklich gerne einmal anschauen, woher diese Forderungen resultieren und gleichzeitig überall Arbeitskräftemangel herrscht.“ Und so lautet ihr nüchternes Fazit: „Die Ampel hat keinerlei Sparwillen.“
Friedrich Merz
Lobesworte hat sie hingegen für Friedrich Merz. Dem CDU-Vorsitzenden sei es gelungen, die Partei zu einen und auch das Verhältnis zur CSU so zu bereinigen, „dass da nicht ständig Schüsse auf die eigene Jagdgesellschaft passieren“. Die Befriedung der Partei sei auf dem Weg zur Stabilisierung der Volkspartei sehr wichtig gewesen. Bei einem „Kanzler Merz“ würde die Haushaltskonsolidierung eine größere Rolle spielen, „davon bin ich fest überzeugt“.
Angela Merkel
Im Rückblick waren die Merkel-Jahre laut Gräßle „goldene Jahre, weil es friedliche Jahre waren“. Der gesamtpolitische Kontext sei geprägt gewesen vom Wachstum und einer relativ sorglosen Phase der Globalisierung. „Wir werden für den Rückzug von der Globalisierung – auch wegen Corona – einen hohen Preis zahlen. Es wird mit Sicherheit nicht so funktionieren, dass wir jetzt alles selber machen. Es wird ein unheimlicher Wettbewerbsdruck entstehen, wir werden an Wettbewerbsfähigkeit verlieren.“
Diplomatie
Eine der größten Enttäuschungen ist für Gräßle, dass sich China nicht gegen den Angriffskrieg Russlands stellt. So könnte der nächste Konfliktherd China lauten. „Aber dann müssen wir uns und unsere Wirtschaft darauf vorbereiten. Ich will nicht in eine Sache reinstolpern, von der wir nicht wissen, was es für uns bedeutet.“ Ihr Credo lautet daher: „Diplomatie, Diplomatie, Diplomatie.“ Aber genau damit habe man es im Falle von Russland viel zu lange versucht, lautete seit dem Kriegsausbruch die heftigste Kritik. Gräßle kennt auch die Lösung: „Wir hätten Tacheles reden und zugleich die Bundeswehr ertüchtigen müssen. Vielleicht wäre dann einiges anders gelaufen. Was Merkel sagt, ist richtig: Die Tatsache, dass Russland die Ukraine angegriffen hat, heißt nicht, dass die Diplomatie falsch war. Aber es war falsch, die Bundeswehr nicht besser auszurüsten.“ Dass zuletzt die CDU 16 Jahre lang am Ruder war, bringt Gräßle nicht ins argumentative Straucheln: „Bei uns in der Koalition hat immer die SPD die bessere Ausrüstung der Bundeswehr verhindert.“ Gräßle ist gewillt, die zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung zu investieren, so wie es in den Nato-Verträgen steht: „Es geht nicht nur um unsere Glaubwürdigkeit, sondern wir müssen unsere Streitkräfte so ertüchtigen, dass es wirklich Streitkräfte sind.“
Murrbahn
Die Murrbahn ist Gräßles eigenen Worten zufolge sehr wichtig, „da muss man schieben, schieben, schieben, damit es zu Veränderungen kommt“. Ganz allgemein hat sie eine sogenannte Bund-Länder-Problematik beobachtet: „Dadurch haben all die unterschiedlichen staatlichen Ebenen wunderbare Ausreden, warum es nicht vorangeht. Die Nichtübernahme von Verantwortung ist für mich ein Riesenhorror.“ Wie Bahnfahren aktuell aussieht, kann die Vielfahrerin gut beurteilen: „Das Reisen ist schwierig, weil der Zustand der Bahn furchtbar ist. Das Schlimmste an meinem Mandat ist tatsächlich das Reisen, es ist so mühsam geworden wegen Corona und in der Folge durch die starke Auslastung der Bahn.“ Starke Auslastung? Dann könnte die Bahn doch ein Erfolgsmodell sein. Ist sie aber nicht. Was auch die Abgeordnete nicht versteht: „Es wird laufend Geld in die Bahn gesteckt, so wie im Übrigen auch immer in die Bundeswehr. Deshalb stellt sich die Frage der Effizienz mit aller Macht. Es besorgt mich, dass die Effizienzfrage bei uns nicht im Mittelpunkt steht, sondern im Hintergrund.“