Kreuzfahrttourismus
Im Gummiboot gegen Kreuzfahrtriesen
David gegen Goliath an der Côte d’Azur: Der Bürgermeister von Nizza stellt sich im Gummiboot gegen einen Kreuzfahrtriesen.

© imago/robertharding
Der Hafen von Nizza
Von Stefan Brändle
Als Bürgermeister von Nizza gebietet Christian Estrosi über eine der größten und schönsten Städte Frankreichs. Als der Mittepolitiker aber mit dem Gummiboot der Hafenpolizei vor der zwölfstöckigen Fassade des Vergnügungsdampfers Voyager of the Seas hielt, als befände er sich am Fuß einer riesigen Felswand, muss er sich ziemlich klein vorgekommen sein.
Umso lauter schrie er dem Schiffspersonal an der Reling auf Englisch zu: „Sie haben keine Erlaubnis, hier den Anker zu werfen! Sie werden dafür hart bestraft werden!“ Mit der Autorität des Bürgermeisters fügte er an, während die Lokalsender filmten: „Sie sind hier niemand!“
Der Kapitän zeigte sich nicht. Er hatte am Donnerstag schon einen Brief von Estrosi erhalten, in dem zu lesen war, dass Schiffe mit mehr als 2500 Passagieren seit 1. Juli kein Recht mehr hätten, in der Bucht zu halten. Die Voyager of the Seas zähle aber 3224 Passagiere.
Schwefeldioxid, Stickoxiden und Feinstaub
Da die Voyager of the Seas aber keine Anstalten machte, den Anker zu lichten, musste Christian Estrosi schließlich ans Festland zurückkehren. In einem Schreiben kündigte er aber an: „Ich werde hart bleiben.“ Der Stadtvorsteher kämpft seit Monaten gegen die Präsenz der Kreuzfahrtdampfer vor Nizza und Villefranche.
Seine Argumente: Die meisten dieser „Paquebots“ benützten den schmutzigen Treibstoff HFO (Heavy Fuel Oil) und verursachten hohe Emissionen von Schwefeldioxid, Stickoxiden und Feinstaub, die noch im Stadtzentrum die Leute husten machten. Neuere Schiffsmodelle benützten zwar Flüssigerdgas, doch verursachten sie umso mehr klimaschädliches Methan. Da sie über keinen Landstromanschluss verfügten, liefen die HFO-Motoren auch im Hafen, moniert Estrosi, der politisch Staatschef Emmanuel Macron nahesteht. Ein Tag am Pier sorge für so viel Luftverschmutzung wie 30 000 Autos. Und kaum wieder auf See, ließen die Riesendampfer ihre Abwässer ins Meer ab.
Ozeanriesen vor der Stadt
Estrosi steht mit seinem Feldzug gegen die Ozeanriesen an der französischen Mittelmeerküste nicht allein da. Der konservative Bürgermeister von Cannes, David Lisnard, kämpft seit 2023 gegen Ozeanriesen. In Marseille und dem Militärhafen Toulon fordern Anwohnervereine ein Landungsverbot oder zumindest Landstrom-Anschluss, Gebühren und Kontingente. Das Umweltkollektiv „Stop Croisières“ versperrte in Marseille den Dampfern MSC World Europa (16 Stockwerke) und Costa Smeralda (12) mit Kayaks schon die Hafeneinfahrt.
Auch Estrosis medial flankierter, in den sozialen Medien teils belächelter „Enterversuch“ zeigt auf, wie sehr das Kreuzfahrtthema an der Côte d’Azur polarisiert. Unklar ist, ob der Bürgermeister nach französischem Recht überhaupt Landungsverbote aussprechen kann. Zuständig ist eher das Departement, wenn nicht die Regierung in Paris. Und sie weiß, dass die größten Passagierschiffe der Welt in Frankreich – in den Atlantik-Werften von Saint-Nazaire – gebaut werden. Tausende von Arbeitsplätzen sind damit verbunden. Auch der Hafen von Marseille verdankt seinen Aufschwung nach langen Jahren des Niedergangs in erster Linie der Kreuzfahrt-Wirtschaft.
Estrosi musste seine Hauptforderung eines Hafenverbotes für schwere HFO-Dampfer schon im Januar fallenlassen. Als Kompromiss schlug er vor, in Nizza jährlich nur noch 65 dieser Schiffe bis zu 450 Passagiere zuzulassen. Tourismusbetriebe und Restaurants in der Stadt sind dagegen. Auch der Kreuzfahrt-Verband CLIA tat Estrosis Vorschlag „voll Verblüffung“ ab. Der Kampf von David und Goliath ist noch nicht entschieden.