Im Rennen um den Bürgerpreis Rems-Murr: Zentrum der Vielfalt in Murrhardt

Bürgerpreis Rems-Murr 2025 Das Zentrum der Vielfalt in Murrhardt engagiert sich für Geflüchtete und mit Geflüchteten für die Gemeinschaft. Die Projekte erreichen mittlerweile unterschiedliche Gruppen und wollen ein friedliches, demokratisches Miteinander im Alltag ermöglichen.

Beim „Inclu-Action-Team“ ging es auf einen Ausflug zur Falknerei in Lorch. Die Kinder hat die Begegnung mit den Greifvögeln tief beeindruckt. Foto: privat

Beim „Inclu-Action-Team“ ging es auf einen Ausflug zur Falknerei in Lorch. Die Kinder hat die Begegnung mit den Greifvögeln tief beeindruckt. Foto: privat

Murrhardt. Im Zentrum der Vielfalt (Vifa) in Murrhardt, 2024 eröffnet, sind dieser Tage immer wieder viele kleine Leute zu Gast – das Team bietet über die schulfreie Zeit zahlreiche Sommerferienprogrammaktionen an. „Wichtig ist uns, dass die Angebote inklusiv und so gestaltet sind, dass sich alle wohlfühlen“, sagt Jochen Schneider, Leiter des Teams und Zentrums. Das Ferienprogramm und die Beteiligung bei der Markungsputzede oder beim Weihnachtsmarkt zeigen, dass sich die Arbeit von Pyramidea, dem Trägerverein mit Sitz in Stuttgart, sowie Vifa ein Stück weit wandelt. Das Engagement Geflüchteter für Geflüchtete entwickelt sich zu einem, das möglichst alle im Blick hat. Eines der jüngsten Projekte heißt „Murrhardter Gemeinsamkeiten“. In diesem soll ein Konzept für die Bürgerbeteiligung in der Stadt entstehen und verschiedene Gruppen wie Menschen mit Behinderung, mit Fluchthintergrund, aber auch Einwohner aus den verschiedenen Teilorten sollen berücksichtigt werden.

Der breite, offene Ansatz bedeutet, für unterschiedliche Gruppen und Bedürftige da zu sein, ihnen Angebote zu machen und zu ermöglichen, sich mit ihren Fähigkeiten, Erfahrungen und besonderen Talenten in die Gesellschaft einzubringen und Brücken zu bauen. Zwei Beispiele: Eine Syrerin hat als Ehrenamtliche in Kursen für Erwachsene und Kinder die Herstellung von Frischkäse vermittelt, ein Ukrainer, der an den Rollstuhl gebunden und gehörlos ist, bietet in regelmäßigen Abständen an, sich defekte Handys anzuschauen und nach Möglichkeit zu reparieren.

Im Rennen um den Bürgerpreis Rems-Murr: Zentrum der Vielfalt in Murrhardt

Diesen Schritt nach außen und auf andere zuzugehen, ist nicht immer einfach und insofern ist es auch ein wichtiges Ziel, gegen Einsamkeit zu wirken, die sich einstellen kann. Bei Geflüchteten spielt anfangs meist die Sprache eine Rolle. „Behinderte Menschen können aber zudem nicht überall hingehen, die Hürden sind noch höher und die Gefahr ist groß, einfach zu Hause zu bleiben“, sagt Jochen Schneider. Im Projekt „Future for all of you“ unterstützt Olena Butova Menschen mit Fluchtbiografie und Behinderung aus der Ukraine und ihre Angehörigen. Dabei geht es beispielsweise um gemeinsame Aktivitäten, aber auch um den Austausch in einem geschützten Raum sowie eine Zukunftsplanung.

Lernen der Sprache fällt älteren Menschen schwerer

Bei älteren Menschen mit Fluchthintergrund kann die Situation ebenfalls schwierig sein – möglicherweise fallen das Lernen der Sprache und die Kontaktaufnahme schwerer. Das Projekt „Altersreich“ möchte ihnen die Hand mit einem Cafétreff und Ausflügen reichen, die Somaia Moradi (Afghanistan) und Anastasiia Halitsyna (Ukraine) begleiten. Bei einem Besuch im Freibad konnten sie sich umschauen und beim Zusammensitzen auf der Terrasse beim Imbiss entstanden Gespräche. „Manche wollten gern von früher erzählen, beispielsweise wie sie schwimmen gelernt haben“, sagt Somaia Moradi. Bei den Cafétreffen können einfache Gesellschaftsspiele helfen, unkompliziert an den anderen anzuknüpfen.

Beim Projekt „Weltfrauen“ der Jungen Landfrauen sind es geflüchtete Frauen und junge Mütter, die angesprochen werden. „Sie kochen beispielsweise zusammen spezielle Gerichte“, erläutert Jochen Schneider.

Weitere Themen

Das „Inclu-Action-Team“ legt, wie der Name schon sagt, Wert auf Inklusion und der Fokus liegt auf barrierefreien Freizeitangeboten für alle. Jochen Schneider erinnert sich an einen Besuch bei der Falknerei in Lorch, der für die Kinder besonders beeindruckend war. Die kleineren oder größeren Ausflüge sind auch deshalb wichtig, weil Einschränkungen aus körperlichen, psychischen oder sozialen Gründen bedeuten können, sich solch einen Schritt nach draußen allein einfach nicht zu trauen oder als Noch-nicht-Verwurzelte nicht um die Möglichkeiten und barrierefreien Zugänge in der Umgebung zu wissen. Um Unterstützung und Wissensvermittlung geht es auch bei einer Reihe weiterer Angebote, die sich an Familien und ihre Kinder mit Fluchthintergrund richten und die neben der Freizeitgestaltung auch Impulse geben, beispielsweise wie sich Strom sparen lässt, wie ein Bewerbungsprozess abläuft oder wie das Jugendamt und die Schulsozialarbeit Eltern unterstützen können. Eine Rolle spielen kann auch Traumaerfahrung – das Thema des Projekts „Murrhardter Mutmacherinnen“, bei dem betroffene Frauen mit Selbsthilfegruppen und Beratung in ihrer psychischen Gesundheit gestärkt werden sollen.

Verständnisprobleme müssen überwunden werden

Dass all diese Angebote und das Zentrum der Vielfalt wirken und nicht zu unterschätzen sind, zeigt auch die Geschichte von Somaia Moradi. Als sie mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern vor zweieinhalb Jahren aus Afghanistan nach Deutschland und Murrhardt kam, musste sie sich ganz neu orientieren. „Ich konnte kein Deutsch und wusste nicht, wie ich Kontakte knüpfen konnte“, erzählt sie. Als in der Unterkunft die Arbeit von Pyramidea, 2017 von Menschen mit Fluchterfahrung gegründet, vorgestellt wurde, begann sie, sich ehrenamtlich im Verein – sie leitete eine Kindergruppe mit Malangebot – und später fürs Vifa zu engagieren. Heute leitet sie selbst das Projekt „Altersreich“ und gehört zum hauptamtlichen Team. „Durch das Zentrum gibt es so viele Möglichkeiten und für mich war es wichtig, mich einzubringen und nützlich zu fühlen.“ Als Geflüchtete sagt sie auch: „Pyramidea macht sehr viel aus, wir haben Glück, hier in Murrhardt zu sein.“

Damit sind die zentralen Anliegen skizziert: Menschen in ihrer Autonomie und Selbstbestimmung zu fördern, die sich so für die Gemeinschaft engagieren und Teil von ihr werden können. Dies im Team zu leben, in dem sich hauptamtlich Tätige fünfeinhalb Stellen teilen und zu dem rund 80 ehrenamtlich Engagierte gehören, bedeutet auch, viel miteinander zu diskutieren, Verständnisprobleme zu überwinden und Kompromisse zu finden, kurz: Vielfalt zu leben.

Leserpreis In einer Serie stellen wir die acht Kandidaten aus unserem Verbreitungsgebiet vor, die beim Bürgerpreis Rems-Murr für den Leserpreis der Backnanger Kreiszeitung und der Murrhardter Zeitung nominiert sind. Abstimmen für den eigenen Favoriten kann man vom 25. August bis zum 7. September auf www.bkz.de oder per Post.

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Erstellt:
5. August 2025, 09:00 Uhr

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