In Baden wird jedenfalls gebaut
Das Badische Staatstheater feiert seinen 300. Geburtstag – und erfindet sich für die Zukunft ganz neu
Zukunft - Rund zehn Jahre lang wird das Staatstheater in Karlsruhe geprägt sein von einer umfangreichen Sanierung. Der Generalintendant Peter Spuhler will aber nicht einfach nur ein neues, verwandeltes Gebäude. Er will auch das Theater neu denken.
Karlsruhe In Karlsruhe kann man einen Moment reinsten Theaterglücks erleben. Das ist am Ende der „Götterdämmerung“. Nicht dass die knapp sechs Stunden Spieldauer vor diesem Ende Unglück erzeugt hätten. Im Gegenteil: Der Regisseur Tobias Kratzer erzählt den Richard-Wagner-Opern-Koloss trotz vieler schräger Inszenierungsideen (oder gerade deswegen?) überraschend spannend und schlüssig.
Doch der größte Knaller kommt zum Schluss, wenn die Bühne schon mit Leichen übersät ist und jeder Wagnerianer darauf wartet, dass nun endlich auch die Götter ihr Ende finden. In Karlsruhe beschließt Brünnhilde allerdings, den Todessprung mit Pferd ins offene Feuer zu verweigern. Stattdessen drückt sie lieber auf die Rücklauf-Taste. Sie spult die ganze „Götterdämmerung“ komplett zurück. Und während sich das Orchester durch das lange musikalische Endspiel der Oper pflügt, erlebt der Zuschauer tatsächlich alles bisher Gesehene wie in einem Film im Rückwärtsgang: Tote werden wieder lebendig, Morde bleiben ungeschehen, Verrat verschwindet aus der Welt. Und zur musikalischen Erlösung findet Brünnhilde ihren Siegfried wieder da, wo sie mit ihrem Recken ganz am Anfang schon lag – im Bett.
Das sind Momente, in denen Theater alles auf den Kopf stellt und dem Zuschauer Augenblicke größtmöglicher Sinnesöffnung beschert. Eben Glück. Es zeigt, wie gut das Badische Staatstheater sein kann. Im November ist die Inszenierung der „Götterdämmerung“ mit dem Theaterpreis „Faust“ für die beste Operninszenierung 2018 ausgezeichnet worden. Eine überzeugende Entscheidung – und natürlich hat Peter Spuhler, der Generalintendant, die Trophäe stolz beim Schlussapplaus nach der Vorstellung präsentiert. Spitzentheater.
„Das war ein Riesenerfolg“, sagt Spuhler ein paar Wochen später. „Aber eigentlich sehen wir es gar nicht mehr als unsere Kernaufgabe, unter Beweis zu stellen, dass wir in Karlsruhe besser sein können als Berlin, Frankfurt, München. Oder Stuttgart. Wir haben nicht das nationale Ranking im Blick. Für uns zählt das Regionale und das Internationale. Wir müssen regional bestmöglich vernetzt sein mit der Szene vor Ort. Und wir müssen den Blick nach draußen lenken, über die Grenzen hinweg, ins Internationale: Künstleraustausch, Gastspiele, Kooperationen.“ Wie lautet darum sein Zielbestimmung für das Badische Staatstheater, das an diesem Wochenende mit einem Auftritt des Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann seinen 300. Geburtstag feiert? „Maximal regional, maximal international.“
Der 53-jährige gebürtige Berliner ist nach Theaterstationen in Stendal, Rostock, Tübingen und Heidelberg 2011 in Karlsruhe angekommen. Das Staatstheater der badischen Metropole mit ihren rund 300 000 Einwohnern und dem Bundesverfassungsgericht leistet traditionell solide Arbeit in allen Sparten – und ein Theater-Maniac wie Spuhler ist der Letzte, der so etwas nicht zu schätzen wüsste. Aber der Sinn stand ihm von Anfang an nach mehr: „Theater ist Kunst, aber Theater ist auch gesellschaftlicher Auftrag. Dem müssen wir gerecht werden. Wir müssen uns öffnen und erneuern. Sonst haben wir keine Zukunft.“
Ebenso befeuerte er darum auch die öffentliche Debatte um die Sanierung des Staatstheaters am Hermann-Levi-Platz – ein Gebäude aus den 1970er Jahren, das längst nicht mehr diversen Bau- und Sicherheitsstandards entspricht. „Wir haben uns von Anfang an nicht einfach nur bauliche Verbesserungen gewünscht, sondern ein Theatergebäude, das sich weit hin öffnet zur Stadt und das im Grunde 24 Stunden am Tag für die Bürger offen und nutzbar ist.“ Der Entwurf des Wiener Architektenbüros Delugan Meissl ist für Spuhler darum ein Glücksfall: „Im Grunde wirkt unser jetziger Bau ja ein bisschen wie ein Kreuzfahrtschiff. Und dieses Schiff werden wir durch die Sanierung weit öffnen, ohne dass wir unsere Geschichte dadurch verraten.“
Mehr als 300 Millionen Euro investieren das Land und die Stadt in dieses Projekt. Zehn Jahre lang und in drei Abschnitten wird bis zur Einweihung gebaut – von Ende 2019 bis Mitte 2030. Glaube niemand, dass die politische Debatte darüber den Verantwortlichen in Karlsruhe leichtgefallen wäre. Aber das Ergebnis im Modell überzeugt – vor allem, weil es den Theaterleuten eben nicht nur um Steine, Beläge und elektrische Leitungen geht, sondern auch um neue Theaterkonzepte. Und dies nicht erst in ferner Zukunft nach der Sanierung, sondern schon jetzt.
„Ist unser Haus, ist unser Programm, ist unser Auftreten wirklich ein Spiegel der Gesellschaft in dieser Stadt?“ fragt Spuhler. In Kooperation mit der Bundeskulturstiftung soll das ein zentrales Thema der nächsten Jahre werden. Man ahnt: Die große Geburtstagsfeier in Karlsruhe an diesem Sonntag ist weniger Anlass für allgemeines Schulterklopfen. Sie soll ein Aufbruch werden – für das Theaterglück auch zukünftiger Zuschauergenerationen.