Jürgen Braun gegen Björn Höcke

Streit in der AfD: Der Bundestagsabgeordnete aus Kirchberg an der Murr bringt sich in Stellung

Björn Höcke Foto: Imago

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Björn Höcke Foto: Imago

Von Peter Schwarz

WAIBLINGEN/KIRCHBERG AN DER MURR. In der AfD tobt ein Richtungskampf, und Jürgen Braun, Bundestagsabgeordneter aus dem Rems-Murr-Kreis, kämpft mit: Er hat den sogenannten „Appell der 100“ unterzeichnet – prominente AfD-Leute werfen Björn Höcke, dem völkischen Posterboy der Partei, „exzessiven Personenkult“ vor.

„Der Herr aus Thüringen“: So bezeichnete Jürgen Braun schon vor Jahren Björn Höcke, als wolle sich da einer den Schmerz ersparen, den Namen des Gottseibeiuns auszusprechen. Jetzt hat Braun – in der AfD-Bundestagsfraktion alles andere als ein Hinterbänkler, sondern parlamentarischer Geschäftsführer – den Ton verschärft: Er ist Mitunterzeichner des „Appells der 100“, gemeinsam unter anderem mit fünf Bundesvorstandsmitgliedern, dem Bundesschatzmeister, den Landesvorsitzenden aus Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Hessen und mehreren Bundestagsabgeordneten.

In dem Appell heißt es: Mit seiner „Rede beim Kyffhäuser-Treffen“ habe Björn Höcke die „innerparteiliche Solidarität verletzt“ und „spaltende Kritik“ am Bundesvorstand geäußert. „Wir sagen sehr klar: Die AfD ist und wird keine Björn-Höcke-Partei!“ Die „überwiegend bürgerliche Mitgliedschaft“ der AfD lehne „den exzessiv zur Schau gestellten Personenkult um Björn Höcke“ ab.

Das jährliche Kyffhäuser-Treffen ist das Stelldichein des sogenannten Flügels, der völkischen Parteigruppierung um Höcke – und diesmal geriet die Zusammenkunft zu einer Inszenierungsmelange aus RTL-Boxshow und Reichsparteitag. Höcke sei, wie Beobachter berichten, zu „pathetischer Musik vom Band“ einmarschiert, begleitet von „Fahnenzügen in Reih und Glied“, habe „links und rechts Hände“ geschüttelt, sich mit „Höcke, Höcke, Höcke“-Sprechchören feiern lassen, das „silberne Flügelabzeichen“ und die „Bismarckmedaille“ an treues Gefolge verteilt und einen Imagefilm über sich selbst vorführen lassen; der Werbestreifen habe Höcke unter anderem beim Schafefüttern und bei der Leibesertüchtigung – neudeutsch: Joggen – gezeigt. Den Moderaten in der Partei rief er zu: „Geht in die FDP und lasst uns endlich in Ruhe!“ Und was aus der Parteispitze wird, die Höcke offenbar zu gemäßigt ist, erklärte der Redner seinen Getreuen so: „Ich kann euch garantieren, dass dieser Bundesvorstand in dieser Zusammensetzung nicht wiedergewählt wird.“ Wenn Höckes Kurs sich als Kampfansage an die vergleichsweise bürgerlich Gemäßigten in der Partei interpretieren lässt, dann kann man den „Appell der 100“ nun wohl in einem Satz zusammenfassen: Ab jetzt wird zurückgeschossen. Die Frage ist nur: Ist das, was Braun und Co. vorbringen, ein Ausdruck gewachsenen Selbstbewusstseins und neu entdeckter Stärke? Oder ein Verzweiflungsschrei im Rückzugsgefecht? Der Richtungsstreit tobt vielerorts in der Partei. In Bayern hat sich die AfD-Landtagsfraktion in ihre Einzelteile zerlegt beim internen Hauen und Stechen. Die baden-württembergische Fraktion hat seit ihrem Einzug in den Landtag 2016 Maßstäbe gesetzt in der Disziplin Selbstzerfleischung. Und neulich in Nordrhein-Westfalen stoben die Teilnehmer am eigentlich zweitägig geplanten Landesparteitag schon nach einem Tag zornqualmend auseinander.

Auch der Parteispitze entgeht das nicht – in einem internen Schreiben der Führung, das der dpa vorliegt, heißt es: Die AfD laufe Gefahr, „von Rechtsextremisten unterwandert zu werden“ und „politisch zu implodieren“.

Wie stark ist der Flügel? Aus Brauns Umfeld hört man: Falls Höcke bei einer Wahl des Bundesvorstands kandidieren würde, bliebe er bei allenfalls 30 Prozent hängen. Das mag stimmen; Braun gilt als intimer Kenner der Mehrheitsverhältnisse in den verschiedenen Parteigremien.

Großes Aber: Drei Landtagswahlen könnten im Herbst gewaltig Aufwind unter die Flügelschwingen blasen.

Erstens, Brandenburg: Dort ist Andreas Kalbitz der AfD-Frontmann. Seine Verbindungen ins rechtsextreme Milieu haben viele Medien dokumentiert. Beim Kyffhäuser-Treffen erntete der Höcke-Vertraute Kalbitz Jubel, als er den Flügel als „wesentliches Korrektiv der Partei“ pries.

Zweitens, Sachsen: Spitzenmann Jörg Urban bezeichnete in seinem Grußwort beim Kyffhäuser-Treffen die Anwesenden als „Gleichgesinnte“ und wird im Verfassungsschutz-Gutachten zur AfD zitiert – sein Spruch, dass „ein Volk nur die eigene Einigkeit und Freiheit bewahren“ könne, „wenn es weitgehend homogen bleibt“, deute auf ein „völkisch-nationalistisches Gesellschaftsbild“ und „fremden- und minderheitenfeindliche Positionen“ hin.

Drittens, Thüringen: Björn Höckes Revier. Beim Kyffhäuser-Treffen, schreibt der Berliner Tagesspiegel, habe ein Höcke-Vertrauter gar gesagt: „Du bist unser Anführer, dem wir gerne bereit sind, zu folgen.“ Man könnte das auch kürzer ausdrücken: Führer befiehl, wir folgen.

In allen drei Bundesländern dürfte die AfD ordentlich abräumen, wie Umfragen nahelegen. Es wäre ein Triumph des völkischen Flügels und ein mächtiges Argument im internen Machtkampf: Seht her, von Höcke lernen heißt siegen lernen.

Jürgen Braun Foto: BKZ-Archiv

Jürgen Braun Foto: BKZ-Archiv

Jürgen Braun gegen Björn Höcke

© Edgar Layher

Info
Sehr dezent

Im Streit zwischen den Unterzeichnern des „Appells der 100“ und Björn Höcke legt sich die Parteispitze nicht recht fest. Jörg Meuthen, der eine Bundessprecher, hat zwar erklärt, der „zuweilen betriebene Personenkult“ um Höcke passe nicht zur AfD – dagegen unterschrieben hat Meuthen aber nicht. Alexander Gauland, der andere Bundessprecher, hat Höckes Kyffhäuser-Auftritt als „unangebracht“ bezeichnet – und den Appell dagegen als „ähnlich unangebracht“.

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Erstellt:
17. Juli 2019, 06:00 Uhr

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