Jugendarbeit in Backnang: „Der Bedarf wächst leider“

Die Mobile Jugendarbeit des Vereins Kinder- und Jugendhilfe hat neue Räume in der Mühlstraße 3 in Backnang bezogen. Jugendliche haben ihr neues Domizil renoviert und nach ihren Vorstellungen gestaltet.

Leiten die Mobile Jugendarbeit: Tatjana Riekert (rechts) und Ronja Weller. Foto: Tobias Sellmaier

© Tobias Sellmaier

Leiten die Mobile Jugendarbeit: Tatjana Riekert (rechts) und Ronja Weller. Foto: Tobias Sellmaier

Von Carmen Warstat

Backnang. Bei Essen, Trinken und Milkshakes beisammen sein und am Tischkickerturnier teilnehmen, am Glücksrad drehen oder Dart spielen und vieles andere mehr – das versprach der Tag der offenen Tür der Mobilen Jugendarbeit des Vereins Kinder- und Jugendhilfe und zog damit zahlreiche junge Leute in seine Räumlichkeiten. Seit knapp einem Jahr befinden diese sich über dem Jugendzentrum in der Mühlstraße 3, wo es ideale Bedingungen gibt. Mithilfe der Stadt haben Jugendliche ihr neues Domizil renoviert und nach ihren Vorstellungen gestaltet. Dazu hatte man einen Graffitiworkshop angeboten, der bestens ankam und dessen Ergebnis nun eine Wand ziert.

Über die Arbeit der „Mobilen“, wie die Mobile Jugendarbeit von Insidern kurz genannt wird, berichtete das zweiköpfige Team und nannte die vier Themenfelder seiner wichtigen Tätigkeit: Streetwork, Einzelfallhilfe, Gruppenarbeit und Gemeinwesenarbeit. Tatjana Riekert und Ronja Weller betonten, dass die Basis ihrer Arbeit mit jungen Menschen auf der absoluten Freiwilligkeit aller Angebote beruht, ein zweiter wichtiger Aspekt ist ihre Schweigepflicht. Diese beiden Punkte bildeten Grundvoraussetzungen für das Vertrauen der Jugendlichen, ohne das eine erfolgreiche Arbeit mit ihnen nicht möglich sei. Das Verhältnis von Nähe und Distanz mit Feingefühl zu gestalten, sei ebenso wichtig, nicht nur, aber auch um extreme emotionale Belastungen der Helfenden zu vermeiden – ebenso eine Bedingung guter Arbeit, die durch regelmäßigen Austausch in Teammeetings und Supervision durch externe Fachleute gewährleistet ist.

Hilfestellung bei Problemenin der Schule oder in der Ausbildung

Die Angebote der Mobilen Jugendarbeit, deren Träger der Verein Kinder- und Jugendhilfe ist, richten sich an 12- bis 27-Jährige aus Backnang. „Wir sind für euch da, akzeptieren euch, setzen uns für euch ein, stehen unter Schweigepflicht“, versprechen Tatjana Riekert und Ronja Weller, die selbst noch recht jung und fundiert ausgebildet sind: Tatjana Riekert hat Sozialpädagogik, Ronja Weller hat Erziehungswissenschaften studiert, beide mit Abschluss Bachelor. Konfrontiert werden sie von den Jugendlichen mit vielfältigen Themen. Da sind Schul- und Ausbildungsprobleme, Identitätsfragen (etwa in der Zeit der Pubertät) und beispielsweise aktuell problematische Coronafolgen, mit denen gerade auch die Jüngeren schon zu kämpfen haben. Nicht selten sind Suchtprobleme, die Tatjana Riekert und Ronja Weller allein nicht in Angriff nehmen können, sondern die Betroffenen an Hilfsorganisationen wie Horizont/Caritas (niederschwellige Drogenhilfe im Rems-Murr-Kreis) vermitteln, wobei sie diese auf Wunsch auch begleiten.

Was das Team der Mobilen Jugendarbeit zusichert, sind außerdem Freizeitaktivitäten, Beratung in- und außerhalb seiner Räumlichkeiten, Cliquenangebote. Da gibt’s vierzehntäglich donnerstags von 16 bis 18 Uhr etwa die Mädchenzeit in der Mühlstraße 3, für Jungs verschiedener Altersstufen Fußball in der „Freitagshalle“ (Katharinenplaisir) und einen Mädchentreff im Treffpunkt 44 (freitags von 13 bis 15 Uhr.) Das Streetwork-Team kommt montagabends mit einem Pavillon an die Murr beim Willy-Brandt-Platz. Dieses „mobile Jugendhaus“ bringt Tischkicker mit und setzt auf die Umkehrung der traditionellen Streetwork: Die Jugendlichen kommen auf das Team zu. „Das macht echt Spaß, weil es gut angenommen wird“, sagt Tatjana Riekert, die seit gut einem Jahr in Vollzeit in Backnang arbeitet. Ronja Weller, seit zweieinhalb Jahren dabei, kennt schon sehr viele Jugendliche.

Jugendarbeit lebt vom Netzwerken und von Beziehungsarbeit

Als reines Frauenteam setzen die beiden auf eine professionelle Haltung – „egal ob wir es mit Jungen oder Mädchen zu tun haben“. Sie genießen das Vertrauen beider und nennen die „Beziehungsarbeit“ als eine wichtige Basis, um dieses zu schaffen und zu erhalten. Ferienprogramme und eine Fitnessecke sowie Ausflüge runden die Angebote ab, und natürlich ist das Jugendhaus in der Mühlstraße 3 regelmäßig geöffnet. „Der Bedarf wächst ja leider auch“, bemerkte die pädagogische Leiterin des Vereins Kinder- und Jugendhilfe Backnang, Karin Thoma, und dass Jugendarbeit vom Netzwerken lebt. Genau zu diesem Zweck hatte man die verschiedensten Kooperationspartner eingeladen, und auch der Vorstandsvorsitzende Heinz Franke und Oberbürgermeister Maximilian Friedrich äußerten sich in ihren Ansprachen in diesem Sinne. Am Rande lieferten sich Maximilian Friedrich und Martin Röhrle (Ambulante Erziehungshilfe) ein Tischkickerduell, das mit Spannung und Humor verfolgt wurde – eine lockere Einlage, die die Nähe der beiden zur Jugend schön veranschaulichte.

Schließlich gehörte die Mühlstraße wieder den jungen Leuten, die zum Teil Freunde mitbrachten, denen das Angebot bislang nicht bekannt war. „Es war einiges los“, resümierte Ronja Weller und erzählte vom Tischkickerturnier mit sieben Mannschaften in einem vollen Haus. Die Neuntklässlerinnen Rouweida und Gizem äußerten sich ganz begeistert vom Team der Mobilen Jugendarbeit. Sie kommen sehr gern, basteln, kochen, gehen ins Kino oder beteiligen sich an Ausflügen – alles kostenfrei und: „Wir dürfen machen, was wir wollen.“

Öffnungszeiten Die Mobile Jugendarbeit in der Mühlstraße 3 in Backnang ist montags von 13 bis 18 Uhr, dienstags von 13 bis 16 Uhr, mittwochs nur mit Termin, donnerstags von 13 bis 17 oder 18 Uhr und freitags nur mit Termin geöffnet.

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Erstellt:
8. Oktober 2022, 06:00 Uhr

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