Jugendliche sind problembewusster

Im Rahmen der Backnanger Bildungsgespräche stellt Christine Uhlmann, die Leiterin des Sinus-Instituts, die Ergebnisse der jüngsten Studie vor. Demnach hat sich einiges gewandelt, vor allem soziale Werte gewinnen an Bedeutung.

Die Sinus-Studie zeigte eine starke Veränderung beim Thema Klimaschutz und im politischen Interesse. Offenbar setzen sich Jugendliche mehr mit Problemlagen auseinander – etwa in Sachen Klimaschutz, wie die „Fridays for Future“-Proteste zeigen. Archivfoto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Die Sinus-Studie zeigte eine starke Veränderung beim Thema Klimaschutz und im politischen Interesse. Offenbar setzen sich Jugendliche mehr mit Problemlagen auseinander – etwa in Sachen Klimaschutz, wie die „Fridays for Future“-Proteste zeigen. Archivfoto: J. Fiedler

Von Heidrun Gehrke

Backnang. Die Umweltaktivisten von Fridays for Future sind in den vergangenen zwei Jahren stark in die Schlagzeilen gerückt. Das steigende politische Interesse der jüngeren Generation schlägt sich auch erstmals in der Jugendstudie des Sozialforschungsinstituts Sinus nieder, wie Christine Uhlmann, die Leiterin des Sinus-Instituts, im Rahmen der Backnanger Bildungsgespräche erklärte. Wie ticken die Jugendlichen von heute sonst? Darauf gab die Expertin Antworten.

Soziale Werte und Vorbilder gewinnen an Bedeutung. Die negativen Folgen der Individualisierung treten stärker ins Bewusstsein. Viele schlagen sich mit Leistungsdruck und Zeitmangel herum und haben das Gefühl, „zu viel um die Ohren“ zu haben, dies erkläre einen steigenden Wunsch nach Chillen und Sport. Die Rede ist von einer Jugend, die im Großen und Ganzen „nicht euphorisch, aber zufrieden mit ihrem Alltag“ sei, wie Christine Uhlmann erläutert, anhand der Ergebnisse der Studie.

Wo drückt den Jugendlichen der Schuh? Welche Wünsche haben sie? Wofür brennen sie? Die Rangfolge jugendrelevanter Themen findet sich in der SinusJugendstudie, die für das Jahr 2020 Überraschendes zutage fördert. Die stärkste Veränderung zeige sich beim Thema Klimaschutz und im politischen Interesse. Das Forschungsinteresse zielte ab auf die Alltagswelten, in denen eben nicht mehr Hedonismus und Partymachen dominieren. „Jugendliche sind ernster und problembewusster. Die Suche nach Sicherheit, Halt und Geborgenheit ist für die meisten wichtiger als Aus- und Umbrüche“, so die Referentin.

Was sie eint, sei die Sorge um die Zukunft. Während die „traditionell Bürgerlichen“ natur- und heimatorientierte, fleißige „Familienmenschen mit starker Bodenhaftung“ und einem hohen Sicherheitsbedürfnis seien, ziehe es die „Expeditiven“ raus in die Welt. Sie lebten nach dem Motto: „Grenzen sind dazu da, überwunden zu werden.“ Die dritte Gruppe – die sogenannten „Konsummaterialisten“ – zeichnet sich aus durch eine starke Leistungsorientierung. Geld, Konsum und Luxus finden sie gut und ihnen ist bewusst, dass sie für die erste eigene Rolex-Uhr auch etwas tun müssen.

Weiche Faktoren sind wichtiger als die harte Währung „Gehalt“

Am stärksten verändert habe sich die Datenlage in der Gruppe der „Postmateriellen“, der „Expeditiven“ und „Experimentalisten“, diese vornehmlich „bildungsnahen Jugendlichen“ hätten besonders ausgeprägt den Klima- und Umweltschutz für sich entdeckt. Befragt wurden 72 Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren aus dem gesamten Bundesgebiet im Jahr 2019, die dann zur Veranschaulichung in sieben verschiedenen „Jugendwelten“ verortet wurden (siehe Infobox).

Zu den wesentlichen Schnittmengen der soziokulturellen Milieus zählt die individuelle berufliche Entwicklung. Den richtigen Job zu finden sei elementar, bereite vielen aber Sorge: „Die Notwendigkeit, sich zu entscheiden, ist häufig mit Ängsten verbunden“, so Uhlmann. Bei der Suche resignierten viele vor einer riesigen Auswahl mit 300 Ausbildungsberufen und über 20000 Studiengängen. „Es beschäftigt jeden, aber in den Interviews merkten wir, dass die Beschäftigung damit den Jugendlichen keinen großen Spaß macht“, so Uhlmann. Sie könnten klare Kriterien benennen, darunter tauche das Gehalt erst an sechster Stelle auf. Der Job muss Spaß machen, auf die Vereinbarkeit mit Privatleben und Familie wollen sie nicht verzichten. Vor dem Verdienst werden ein gutes Verhältnis zu Vorgesetzten und Kollegen, Abwechslung im Job sowie ein gesundes Arbeiten ohne Überforderung genannt.

Die Studie, für die die Jugendlichen auch Fotos von ihren Wohlfühlorten und ihren Zimmern machten, zeichne ein aufschlussreiches Porträt, beinhaltet laut der Sozialforscherin aber auch einen Appell: „Jugendliche fühlen sich aktuell in unserer Gesellschaft zu wenig gehört, daran müssen wir dringend etwas ändern.“

Die „Sinus-Studie“

Herangehensweise Die seit 2008 alle vier Jahre vom Heidelberger Sinus-Institut durchgeführte Jugendstudie zeichnet auch im Jahr 2020 ein lebendiges Porträt vom „Mindset“ der jugendlichen Generation. Die 72 befragten Jugendlichen konnten in einer Liste ankreuzen, was ihnen wichtig ist. Zudem waren sie aufgefordert, ihre „Wohlfühlorte“ und Zimmer zu fotografieren, die Rückschlüsse erlauben über die sieben verschiedenen soziokulturellen Lebenswelten.

Ziele Mehr als um statistisch repräsentative Schärfe gehe es in der Studie um ein charakteristisches und psychologisches Stimmungsbild. Zu den Initiatoren der Sinus-Studie zählen unter anderem die Deutsche Jugendstiftung und die Bundeszentrale für Politische Bildung.

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Erstellt:
27. Oktober 2021, 06:00 Uhr

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