Carl Bergengruen über 30 Jahre MFG

„KI wird die Filmproduktion komplett umkrempeln“

Mit einem Festakt feiert die Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg am 18. Juli ihr 30-jähriges Bestehen. Welche Bilanz zieht Geschäftsführer Carl Bergengruen?

Carl Bergengruen ist Geschäftsführer der Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg

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Carl Bergengruen ist Geschäftsführer der Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg

Von Nikolai B. Forstbauer

Die Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg ist Drehscheibe und Schrittmacher der Filmförderung im Land. Am 18. Juli wird in Anwesenheit von Ministerpräsident Winfried Kretschmann in den Wagenhallen in Stuttgart das 30-jährige Bestehen gefeiert. Wie sieht Carl Bergengruen, seit 2013 Geschäftsführer der MFG, die Entwicklung? Und was sind neue Herausforderungen? Wir haben nachgefragt.

Herr Bergengruen, die MFG fördert, berät, coacht und vernetzt die Film- und die Gamesbranche. Sie agiert als Impulsgeber. Welche Rolle ist für Sie am wichtigsten?

Das alles ist wichtig, aber für die Unternehmen zählt am meisten die Förderung ihrer Einzelprojekte. Wer einen Spiel- oder Dokumentarfilm, einen Animationsfilm für Kinder oder ein digitales Game in Baden-Württemberg produzieren will, der braucht vor allem eines: öffentliche finanzielle Unterstützung für sein Projekt. Sonst kann er im knallharten Förderwettbewerb anderer Standorte und im Wettbewerb mit dem angelsächsischen Raum kaum bestehen.

Warum?

Im englischsprachigen Raum warten mehr als zehn Mal so viele Zuschauer auf den nächsten Spielfilm wie bei uns in Deutschland. Entsprechend höher sind dort die Filmbudgets. Aber mit Förderung gleichen wir das aus und sorgen so für Arbeitsplätze und Investitionen in Baden-Württemberg. Gerade die Games- und Animationsindustrie befruchtet damit auch andere Wirtschaftsbranchen, zum Beispiel die Gesundheitswirtschaft oder die Architektur.

Die Bedeutung der Ebenen hat sich im Filmbereich über die Jahre verschoben. In welcher Weise? Und welche Aufgabe ist heute vordringlich?

Meine Haltung hat sich seit 2013 nicht geändert. Ein gesunder Filmstandort braucht alles zusammen: Spielfilme, Dokumentarfilme und Animationsfilme bzw. visuelle Spezialeffekte. Visuelle Spezialeffekte sind die Teile eines Films, in denen eine Action-Szene, eine historische Szene und mehr ganz ohne Dreharbeiten nur am Computer geschaffen wird. Und im Bereich Animation und visuelle Spezialeffekte sah ich, als ich kam, das größte Potenzial für Baden-Württemberg und habe diesen Bereich prioritär gepusht.

Ist die Rechnung aufgegangen?

Absolut. Der hiesige Standort für Animation und visuelle Spezialeffekte ist in zehn Jahren um 800 Prozent gewachsen, wie uns die Studie eines Forschungsinstituts gerade bestätigt hat. In diesem Bereich ist Baden-Württemberg mittlerweile deutschlandweit die Nummer 1. Vielen Firmen von hier stellen dabei digitale Spezialeffekte für Hollywoodfilme her. Aber das Ganze funktioniert nur, weil wir in diesem Bereich mehr Fördermittel investieren als in die anderen Bereiche.

MFG-geförderte Produktionen sind immer wieder sehr erfolgreich, ökonomisch, aber auch bezüglich hochrangiger Auszeichnungen. Vor zwei Tagen sind gleich drei MFG-geförderte Produktionen für einen Emmy, international wichtigste TV- und Streaming-Auszeichnung, nominiert worden. Welche Rolle spielen solche Erfolge für die MFG?

Natürlich sind die vielen Emmys, Lolas, Oscars, Grimme-Preise der letzten Jahre für MFG-geförderte Filme eine wunderbare Bestätigung, dass unsere Förderjury ein gutes Händchen für Filmstoffe hat. Aber bei unseren Förderentscheidungen schielen wir nie auf Preise. Es geht in erster Linie immer darum, was ein Filmprojekt für den Standort Baden-Württemberg bringt, Ansiedlung, Umsatz, Qualität etc., und nicht, was das Projekt für die MFG bringt. Und mindestens ebenso wichtig ist mir, dass MFG-geförderte Filme immer wieder unter den erfolgreichsten deutschen Filmen auftauchen, denken Sie nur an den Kinderfilm „Die Schule der magischen Tiere“.

Die MFG ist auch ,Dienerin‘ - auch die Rollen von Land und SWR haben sich über die Jahre verschoben. War es ein steiniger Weg zum Souverän MFG?

Nein, denn ich habe ein ganz anderes Verständnis unserer Rolle: Wir erhalten Steuergeld. Und dann müssen doch die Steuerzahler, die Bürger entscheiden, wofür wir diese Steuergelder ausgeben. Und die Bürger werden vertreten durch die gewählte Regierung und ihre Ministerien. Deren verlängerte Werkbank sind wir. Als ich kam, habe ich alle Aktivitäten der MFG, die das Land gar nicht von uns haben wollte, zum Beispiel die Betreuung der IT-Wirtschaft oder des E-Learning-Bereichs, beendet. Seither führen wir nur Aktivitäten aus, die das Land und übrigens auch der SWR als zweiter Gesellschafter ausdrücklich gutheißen. Bei der Umsetzung erhalten wir dann große Freiräume. 

Sie selbst vertreten die Filmförderung national wie international. Wie wichtig ist diese Verankerung?

Ich bin als Person nicht wichtig. Aber die MFG muss ihre Förderangebote natürlich auch gut nach außen kommunizieren. Ein Beispiel: Als ich kam und als erste deutsche Förderung bei uns ein neues, passgenaues Förderinstrument für den Bereich Animation und visuelle Effekte implementiert habe, habe ich diese Instrumente zusammen mit den hiesigen Firmen in jedem Hollywood-Studio einzeln vorgestellt. Wir haben klargemacht: auf diese Förderungen aus Baden-Württemberg kann man sich verlassen. Danach sind die Aufträge aus Hollywood nach Stuttgart sprunghaft angestiegen und bis heute auf dem hohen Niveau geblieben.

Dieses Mitspielen und Gesehen Werden hat natürlich auch viel mit Geld zu tun. Filmschaffende fordern knapp mindestens eine Verdopplung der Fördersummen. Wie sehen Sie das?

Ich bin schon froh, wenn ich derzeit mit kontinuierlicher Lobbyarbeit Etatkürzungen verhindern kann. An eine Verdopplung glaube ich nicht. Aber man soll nie aufhören, nach den Sternen zu greifen. Mit der von vielen geforderten Verdopplung unserer Etats könnten wir natürlich versuchen, im Spielfilm-, Dokumentarfilm- und im Games-Bereich in einem überschaubaren Zeitraum zu großen Standorten wie Berlin und Köln aufzuschließen. Und wir könnten die jetzige Vorreiterrolle Baden-Württembergs im Bereich Animation und visuelle Digitaleffekte weiter ausbauen. So würde die damit verbundene technologische Innovation im Land bleiben und andere Industrien würden weiterhin davon profitieren.

Wie würden Sie selbst Ihre eigene Rolle sehen?

Die MFG ist, so sehe ich es, Dienstleister der Branchen, die zu fördern ihr die Politik aufgegeben hat. Dementsprechend bin ich sozusagen deren oberster Dienstleister. In diese Rolle bringe ich all mein Know-how, meine Erfahrungen und Kontakte aus fast 40 Jahren in der Film- und TV-Branche und natürlich auch meine langjährige dramaturgische und Produktionserfahrung ein.

KI revolutioniert auf unterschiedlichsten Ebenen die Filmproduktion und wohl auch die Distribution. Sind sich die Beteiligten des Umfangs der Veränderungen aus Ihrer Sicht wirklich bewusst?

Allen ist klar, dass KI die Filmproduktion komplett umkrempeln wird. Aber niemand kann heute wissen, wie und wann genau das geschehen wird. Jedenfalls kann KI zum Beispiel in einer Komödie heute noch keinen künstlichen Schauspieler erschaffen und agieren lassen, der jemanden wie Christoph Maria Herbst überzeugend genug ersetzen würde. Aber alle arbeiten dran, und irgendwann wird es kommen, vermutlich in einem stark disruptiven Prozess.

Sehen Sie die MFG hier auch als „Steuerungsinstrument“ und „Vermittlungsebene“?

Ja, aber nicht als regulatives Steuerungsinstrument. Sondern wir bieten Fort- und Weiterbildungen, Vorträge, Seminare, Netzwerkveranstaltungen, Orientierungs- und Start-up-Beratungen an, damit die Unternehmen der Film- und Kreativwirtschaft lernen, mit den stürmische Entwicklungen im Bereich KI umzugehen. Diese Angebote werden von diesen Branchen sehr rege genutzt.

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Erstellt:
18. Juli 2025, 11:02 Uhr

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