„Konjunkturhimmel ist kohlrabenschwarz“

Metallunternehmer im Kreis blicken wenig zuversichtlich in die Zukunft – „Die Industrie steckt in einer tiefen Rezession“

Von Rezession und wenig Zuversicht ist die Rede. Die Unternehmer der Metall- und Elektroindustrie (M+E) im Kreis zeichneten gestern ein äußerst düsteres Bild ihrer Erwartungen. Einer Umfrage zufolge erwarten für 2020 nur 22,2 Prozent der M+E-Unternehmen eine ansteigende Geschäftsentwicklung, während 55,6 Prozent mit rückläufigen Geschäften rechnen. Aber es gibt Ausnahmen. Eine davon ist das Backnanger Raumfahrtunternehmen Tesat-Spacecom.

Arbeiten am Tesat-Laserkommunikationsterminal, das an Bord des europäischen Relaissatelliten für signifikant höhere Übertragungsgeschwindigkeiten und schnellere Zugriffszeiten sorgt. Archivfoto: Tesat-Spacecom

Arbeiten am Tesat-Laserkommunikationsterminal, das an Bord des europäischen Relaissatelliten für signifikant höhere Übertragungsgeschwindigkeiten und schnellere Zugriffszeiten sorgt. Archivfoto: Tesat-Spacecom

Von Florian Muhl

WAIBLINGEN. Genau vor einem Jahr habe sich bereits abgezeichnet, dass sich der Konjunkturhimmel zu verdunkeln beginne, „inzwischen ist er kohlrabenschwarz“, sagte Michael Prochaska, Vorsitzender der Südwestmetall-Bezirksgruppe Rems-Murr, gestern bei der Vorstellung der Umfrage unter Mitgliedsfirmen (siehe Infokasten). Angesichts der trüben Aussichten plant demnach mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen mit rückläufigen Beschäftigtenzahlen und nur 13 Prozent mit steigenden.

„Nach drei aufeinanderfolgenden Quartalen mit schrumpfender Produktion befindet sich die Metall- und Elektroindustrie in einer tiefen Rezession“, sagte Prochaska. „Wir erleben in unserer Branche derzeit den markantesten konjunkturellen Rückgang seit der Finanz- und Wirtschaftskrise vor zehn Jahren“, so der Vorsitzende weiter. Die Auftragseingänge der befragten Unternehmen seien durchschnittlich um fast zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr eingebrochen. Und es gebe auch keine Anzeichen für eine kurzfristige Trendwende.

„Die Raumfahrt ist unabhängig von anderen Marktentwicklungen“

Im Gegensatz dazu die Raumfahrtbranche: „Wir hatten letztes Jahr ein tolles Jahr gehabt“, sagte Marc Steckling. „Wir haben vergangenes Jahr 50 Jahre Menschen auf dem Mond gefeiert“, so der Tesat-Chef weiter. Die erste Mondlandung war im Juli 1969. Nur vier Monate später habe Deutschland seinen ersten Satelliten mit dem Namen Azur ins All geschossen. Vor dem Hintergrund dieser Anlässe habe sich 2019 die Raumfahrt im Aufwind befunden. „Die Raumfahrt ist mit ihrer ganz eigenen Konjunktur zu großen Teilen unabhängig von anderen Industrien und Marktentwicklungen“, erläuterte der Geschäftsführer des mit knapp 1000 Mitarbeitern größten Arbeitgebers in Backnang. „Der Telekommunikationsmarkt hat sich auf einem Niveau stabilisiert, das o.k. ist“, sagte Steckling. An den 13 geostationären Telekomsatelliten, die im vergangenen Jahr weltweit in Auftrag gegeben worden seien, sei Tesat beteiligt.

Als guten Erfolg bezeichnete Steckling die Tatsache, dass Tesat 2019 einen neuen Kunden gewonnen habe, das Jet Propulsion Laboratory (JPL; englisch für Strahlantriebslabor) der Nasa in Pasadena/Kalifornien. Das JPL baut und steuert Satelliten und Raumsonden. „Das ist beachtlich, weil die Nasa sich sehr wohl aussucht, mit wem sie außerhalb der USA Kooperationen eingeht.“

Der Aufschwung bei der Raumfahrt im vergangenen Jahr habe insbesondere in Deutschland zu großen positiven Entwicklungen geführt, beispielsweise zur deutschen Rekordinvestition im Rahmen der Esa-Ministerratskonferenz Ende 2019 in Höhe von 3,3 Milliarden Euro für europäische Raumfahrtprogramme. In 2020 drängen mit Firmen wie SpaceX, Amazon und OneWeb neue Marktteilnehmer aufs Parkett und revolutionieren mit ihren Vorstellungen von Megakonstellationen und Satellitenstückzahlen im vierstelligen Bereich die Industrie, so der Tesat-Chef weiter. Als weltweit einziger Hersteller weltraumerprobter Laserkommunikation liefere Tesat ein essenzielles Kernelement für den Expansionsmarkt der Zukunft. Wie Steckling sagte, seien die Komponenten im Vergleich zum ersten Exemplar mittlerweile wesentlich kleiner und auch preisgünstiger.

In Bezug auf die kommenden Monate und die Sicherung der Arbeitsplätze in Metallunternehmen sagte Michael Prochaska: „Trotz der gegenwärtigen Doppelbelastung aus konjunkturellem Abschwung und massivem Strukturwandel tun die M+E-Unternehmen, was sie können, um die Arbeitsplätze am heimischen Standort zu sichern.“ Mit dem Strukturwandel meinte der Bezirksgruppen-Vorsitzende einerseits die Digitalisierung und andererseits notwendige Maßnahmen, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren.

Von der Politik erwarte Prochaska, dass sie den M+E-Unternehmen keine weiteren Steine in den Weg legt. „Wir brauchen jetzt dringend ein Belastungsmoratorium für unsere Wirtschaft.“ Dass die Unternehmen bereits ab 76 Beschäftigten nur noch 2,5 Prozent der Belegschaft sachgrundlos befristet beschäftigen dürfen sollen, sei „nicht nur willkürlich, sondern beraubt die Unternehmen ihrer dringend benötigten Flexibilität“, kritisierte Prochaska. Befristungen seien für die Unternehmen aber unabdingbar, um auch bei einer unsicheren Auftragslage, wie sie derzeit in weiten Teilen der M+E-Industrie herrscht, noch Personal einstellen zu können.

Mit Blick auf die kommende Tarifrunde mahnte der Vorsitzende, es müsse gelingen, einen Abschluss mit Augenmaß und vernünftigen, den Strukturwandel flankierenden Elementen zu finden: Auch die IG Metall müsse ein Interesse daran haben, dass die Unternehmen die großen Herausforderungen der Digitalisierung und des Umstiegs auf klimafreundliche Antriebe erfolgreich bewältigen.

Info
Umfrage im Rems-Murr-Kreis: Kaum Optimismus bei M+E-Unternehmen

Einer aktuellen Umfrage der Bezirksgruppe zufolge erwarten für 2020 nur noch 22,2 Prozent der Metall- und Elektroindustrie (M+E)-Unternehmen eine ansteigende Geschäftsentwicklung. In der Vorjahresumfrage hatten dies noch 30,8 Prozent gesagt, ein Jahr davor 48,5. Im Gegenzug stieg der Anteil der Unternehmen, die zurückgehende Geschäfte erwarten, von 30,8 auf jetzt 55,6 Prozent. 22,2 Prozent der Unternehmen gehen von einer gleichbleibenden Entwicklung aus (Vorjahresumfrage: 38,5 Prozent).

Nur noch 20 Prozent der Unternehmen bezeichnen ihren Auftragsbestand als gut (Vorjahr 42,3). 44,4 Prozent bewerten ihn als befriedigend (Vorjahr 46,2) und 33,3 Prozent beurteilen ihn als schlecht (11,5).

Lediglich 18,8 Prozent der Maschinenbauer erwarten fürs laufende Jahr steigende Geschäfte (Vorjahr 40), ebenfalls 18,8 Prozent gleichbleibende (Vorjahr 40) und 62,5 Prozent rückläufige (Vorjahr 20 Prozent).

Unter den Elektro-Unternehmen gehen nur 37,5 Prozent von steigenden Geschäften aus (Vorjahr 20). 25 Prozent erwarten inzwischen nur noch gleichbleibende Geschäfte (Vorjahr 60) und 37,5 Prozent sogar rückläufige (Vorjahr 20 Prozent).

In der Metallbranche erwarten nur 10 Prozent der Unternehmen, die sich an der Umfrage beteiligt haben, eine steigende Geschäftsentwicklung (Vorjahr 0 Prozent). 20 Prozent sehen nun eine gleichbleibende Geschäftsentwicklung (Vorjahr 57,1 Prozent) und 70 Prozent sogar eine rückläufige Entwicklung (Vorjahr 42,9 Prozent).

Bei den Automobilzulieferern zeigt sich ein ähnliches Bild: Keines der befragten Unternehmen erwartet hier steigende Geschäfte (Vorjahr 50), 40 Prozent gleichbleibende (Vorjahr 16,7) und 60 Prozent rechnen mit einem Rückgang (Vorjahr 33,3 Prozent).

Lediglich 13,3 Prozent aller befragten Unternehmen erwarten steigende Beschäftigungszahlen (Vorjahr 23,1), 35,6 Prozent gehen von gleichbleibenden Beschäftigungszahlen aus (Vorjahr 38,5) und 51,1 Prozent planen sogar mit rückläufigen Beschäftigungszahlen (Vorjahr 23,1 Prozent).

Die Umfrage hat die Südwestmetall-Bezirksgruppe Rems-Murr Ende vergangenen Jahres unter ihren Mitgliedsbetrieben durchgeführt. Von den 69 angeschriebenen Unternehmen haben 45 geantwortet.

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Erstellt:
22. Januar 2020, 06:00 Uhr

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